Die Automobilindustrie steht in den kommenden Jahren vor enormen Herausforderungen. Im Sog des anstehenden Wachstums haben OEMs wie Zulieferer die nächste Welle des Strukturwandels zu bewältigen. Dieser eröffnet zwar neue Chancen, erfordert aber auch immense Investitionen. Schon heute sind die finanziellen Spielräume vieler Supplier begrenzt - nicht zuletzt aufgrund niedriger Profitabilität und zunehmend anspruchsvolleren Kapitalgebern. Gerade die klassischen mittelständischen Automobilzulieferer wandeln daher auf einem schmalen Grat. Wollen sie den Strukturwandel 2.0 und die damit verbundenen Kosten stemmen, müssen sie vor allem an ihrer strategischen Ausrichtung und operativen Exzellenz arbeiten und so ihre Profitabilität und Kreditwürdigkeit sicherstellen. Dies sind Ergebnisse der Oliver Wyman-Analyse zu den Folgen des Strukturwandels für die Zulieferindustrie.

Globalisierung und technologischer Fortschritt werden der Automobilindustrie in den kommenden Jahren weltweit Dynamik und Wachstum bescheren. So entwickeln sich die großen Schwellenländer rasant weiter und beschleunigen damit die regionale Marktverschiebung. Allein in China wird sich das jährliche Pkw-Produktionsvolumen bis 2020 fast verdoppeln - von heute 18 auf dann 33 Millionen Fahrzeuge. In Indien ist nahezu mit einer Verdreifachung von vier auf elf Millionen zu rechnen. Gleichzeitig stagnieren traditionelle Automobilregionen wie West- und Südeuropa, unter anderem getrieben durch geringe Absatzzahlen. So hat der westeuropäische Fahrzeugmarkt im Juni 2013 mehr als fünf Prozent gegenüber Juni 2012 verloren.

Zudem geben OEMs aufgrund ihrer zunehmenden Fokussierung auch künftig mehr und mehr Aufgaben an die Zulieferer ab. Speziell in Forschung und Entwicklung sowie in der Produktion werden Supplier zusätzliche Wertschöpfungsanteile gewinnen. Laut Oliver Wyman wird sich die automobile Wertschöpfung 2025 auf 1,25 Billionen Euro belaufen. Davon entfallen 69 Prozent auf die Zulieferer - gemessen an den 61 Prozent der 840 Milliarden Euro im Jahr 2012 eine klare Steigerung. Zu guter Letzt nimmt die Komplexität im Produktspektrum neue Dimensionen an. Mehr denn je wird die Automobilindustrie in den kommenden Jahren geprägt sein von neuen Fahrzeugkonzepten, neuen Modellen und neuen Technologien.

Hoher Kapitalbedarf - günstige Fremdfinanzierung aber nur bei intaktem Geschäftsmodell

Das anstehende Wachstum löst die nächste Welle des Strukturwandels aus. Für alle Player in der Automobilindustrie eröffnen sich dadurch weit reichende Chancen. Fakt aber ist auch, dass nur ertrags- und kapitalstarke Zulieferer die erforderlichen Investitionen in globale Strukturen sowie neue Technologien werden angehen können. ?Gerade die mittelständisch geprägte Zuliefererlandschaft ist durch den Aufbau der Strukturen für das anstehende Wachstum außerhalb Europas einem enormen Druck ausgesetzt", betont Lars Stolz, Partner bei Oliver Wyman. ?Bei vielen könnte die Profitabilität lange Zeit massiv beeinträchtigt werden." Tatsächlich stehen in den nächsten Jahren hohe Investitionsbedarfe an. Schon die Strukturanpassungen der vergangenen Jahre erforderten enorme Aufwendungen und hatten deutliche Folgen für die Profitabilität. So stieg die Summe aus Abschreibungen auf Investitionen in Wertschöpfungsstrukturen und Aufwendungen für Forschung, Produktentwicklung und Verwaltung von 2008 bis 2011 jährlich im Schnitt von 19,1 auf 20,3 Prozent vom Umsatz, das operative Ergebnis hingegen fiel international im Schnitt von 7,5 auf 5,5 Prozent zurück.

Für den anstehenden weiteren Strukturwandel und den damit verbundenen, abermaligen Übergang in ein neues Wertschöpfungssystem sind noch weitaus höhere Investitionen und Zusatzaufwendungen nötig, die die Profitabilität einmal mehr und wesentlich stärker belasten werden. Nach Berechnungen von Oliver Wyman könnten diese strukturell bedingten Kosten in der Übergangsphase auf bis zu 23,3 Prozent vom Umsatz zulegen und das operative Ergebnis auf durchschnittlich nur noch 2,5 Prozent drücken. Für einen Zulieferer mit einem Umsatz von 300 Millionen Euro beispielsweise würde ein solcher Anstieg zusätzliche Kosten von rund zehn Millionen Euro bedeuten und die Profite entsprechend schrumpfen lassen. Eine operative Umsatzrendite von 2,5 Prozent dürfte aber in den seltensten Fällen genügen, um nach Zinsen und Steuern ein positives Ergebnis zu erreichen.

Hinzu kommt, dass die globale Automobilindustrie kein lineares Wachstum aufweist, sondern von erheblichen Schwankungen geprägt ist. Bleiben die Umsätze in Zeiten hoher Investitionen hinter den Erwartungen zurück, könnte der Profit noch schneller unter die Nulllinie rutschen. Ohne ausreichendes Profitabilitätspolster aber werden die meisten Zulieferer kaum in der Lage sein, den Strukturwandel 2.0 aus eigener Kraft zu stemmen. Die externe Finanzierung wiederum gestaltet sich teilweise schwierig. Aufgrund gestiegener Anforderungen im Risikomanagement müssen Banken die Kreditwürdigkeit von Unternehmen stärker hinterfragen. Dies bekommen auch die Automobilzulieferer zu spüren. Erfolgreiche und profitable Supplier profitieren derzeit von niedrigen Zinsen und guter Verfügbarkeit von Fremdkapital. Unternehmen mit einem unklaren Geschäftsmodell oder einer schlechten Position im Wettbewerb hingegen stellen einen erschwerten Zugang zu den dringend benötigten externen Finanzmitteln fest.

Lokalisierte Globalisierung gefordert

Insbesondere mittelständische Supplier mit starken Kundenbeziehungen zu europäischen Herstellern haben den Strukturwandel der letzten Jahre nur punktuell vorangetrieben und großteils über den Export an der internationalen Expansion partizipiert. Dies war möglich, da auch die OEMs neue Märkte oftmals noch aus westeuropäischer Produktion belieferten. In Zukunft aber ticken die Uhren der Globalisierung anders. Die Autohersteller errichten in den großen Schwellenländern, allen voran China, aber auch in Amerika immer mehr Entwicklungszentren und zahlreiche Produktionsstätten, was sie nunmehr auch von ihren Zulieferern erwarten.

Wollen mittelständische Supplier künftig vom weltweiten Volumenwachstum profitieren, müssen sie im Fahrwasser ihrer Kunden mitschwimmen und die entsprechenden Strukturen vor Ort schaffen. Die meisten aber haben weder die Profitabilität noch die Finanzmittel, um die dafür nötigen Investitionen zu stemmen. ?Für viele mittelständische Zulieferer ist es fünf vor Zwölf", erklärt Tom Sieber von Oliver Wyman. ?Jetzt rächt sich, dass sie in der Vergangenheit dem Absinken ihrer Profitabilität weitgehend tatenlos zugesehen haben. Wenn sie nicht schnell handeln, setzen sie die Existenz ihres Unternehmens aufs Spiel, weil ihnen die Mittel für das Wachstum der Zukunft fehlen."

Umdenken nötig

Konsequenter denn je müssen die mittelständischen Zulieferer jetzt an ihrer strategischen Positionierung arbeiten - und dies langfristig gesehen. Dazu gehören unter anderem klare Footprint- und Portfolio-Strategien, aber auch die strategische Definition der werthaltigen Aktivitäten und des eigenen Wertschöpfungsbeitrages. Zugleich gilt es, nicht nur in Einkauf, Produktion oder Entwicklung gut aufgestellt zu sein. Die Herausforderung besteht darin, in allen Bereichen entlang der gesamten Wertschöpfungskette besser als die Wettbewerber zu agieren, um sich so differenzieren zu können. Dies umfasst die optimale Auswahl und Priorisierung von Projekten, eine professionelle Einkaufsorganisation, striktes Kostenmanagement, die Optimierung der Produktionseffizienz und -qualität sowie die Auslagerung von Logistikprozessen.

Darüber hinaus sollten die mittelständischen Zulieferer offen sein für alle Finanzierungsoptionen - seien es Unternehmensanleihen oder Nachrangdarlehen, sei es Kapitalzufluss durch Private-Equity-Gesellschaften oder andere strategische Investoren. ?Der Grat zwischen Durchkommen und Abstürzen ist extrem schmal", so Stolz. ?Wer nicht ins Minus rutschen und einen Liquiditätsengpass riskieren will, sollte sich jetzt strategisch richtig ausrichten und operativ massiv auf Profitabilität trimmen."

ÜBER OLIVER WYMAN

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