Von Stephen Wilmot

NEW YORK (Dow Jones)--Früher machten sich die Anleger Sorgen um die Nachfrage nach Elektroautos. Doch jetzt könnte sich das Angebot als eigentliches Problem herausstellen. Insgesamt sind derweil die US-Aktienmärkte wieder verrückt nach Elektrofahrzeugen. Der über eine Billion US-Dollar hohe Marktwert von Tesla spricht Bände, aber noch extremer war der Sprung der Aktien des erfolgreichsten US-Nachahmers Lucid um 31 Prozent gegen Ende der Vorwoche. Der Kursanstieg, der anscheinend nicht mit bedeutenden Neuigkeiten zusammenhing, ließ den Aktienwert des Unternehmens auf 57 Milliarden Dollar in die Höhe schnellen. Lucid liefert an diesem Wochenende seine ersten Fahrzeuge an Kunden aus.

"Nichts Luzides an einer 57-Milliarden-Dollar-Bewertung für ein Elektroauto-Start-up". So lautete die Überschrift eines Artikels bereits Ende Februar, als die Fusion mit einer speziellen Übernahmegesellschaft (Spac), die Lucid an die Börse brachte, eine Welle des Hypes auslöste. Das Start-up hat ein vielversprechendes Produkt, aber es hat sich nichts geändert, was die heutige, zufällig identische Bewertung noch klarer erscheinen lässt. Wenn überhaupt, dann hat ein Jahr mit Lieferengpässen die Kluft zwischen großartigen Ideen und ihrer Umsetzung verdeutlicht.


   Musk selbst wundert sich über aktuellen Hype 

Elon Musk selbst gestand diesen Punkt diese Woche in einer Antwort auf Twitter auf einen Investor ein, der die Bestellung von 100.000 Teslas durch Hertz bejubelte. Diese Nachricht katapultierte den Marktwert des Autoherstellers über die 1-Billionen-Dollar-Marke. "Seltsam, dass sich die Bewertung verschoben hat, denn Tesla hat ein Problem mit der Produktionssteigerung und nicht mit der Nachfrage", hieß es vom Firmenchef freimütig. Wenn das bei Tesla, das seine ersten Fahrzeuge 2008 herstellte, der Fall ist, dann gilt das umso mehr für Lucid und sein Schwesterunternehmen Rivian, das gerade mit der Produktion seines viel bewunderten Pick-ups beginnt, bevor es an die Börse geht.

Das Thema der aktuellen Berichtssaison bei den Autoherstellern war das knappe Angebot. Die Halbleiterengpässe haben die meisten Unternehmen dazu gezwungen, einen Teil der Produktion zu stoppen, was sich auf den Umsatz auswirkt, aber die Preise in die Höhe treibt. Erst kürzlich meldete Daimler gemischte Ergebnisse, da ein geringerer Gewinn im Kerngeschäft Automobil durch einen Gewinn im Finanzierungsgeschäft ausgeglichen wurde, das von dem beispiellosen Boom bei den Gebrauchtwagenwerten profitiert.


   Ford als rühmliche Ausnahme 

Die meisten Marktteilnehmer waren im dritten Quartal stärker von der Chipversorgung betroffen als im zweiten Quartal. Dabei bildete Ford eine bemerkenswerte Ausnahme, die es dem Unternehmen ermöglichte, seine Prognosen anzuheben. Daraufhin kletterte der Aktienkurs um 9 Prozent. Führungskräfte aus der Branche gehen davon aus, dass sich die Verfügbarkeit von Chips ab jetzt verbessern wird, allerdings nur langsam. Das deutet darauf hin, dass die Angebotsdynamik, die die Ergebnisse der Automobilhersteller in diesem Jahr mehr oder weniger stark eingetrübt hat, nicht über Nacht verschwindet, aber künftig weniger extrem ausfällt.

Unternehmen wie Lucid und Rivian sind vielleicht noch zu neu in der Fahrzeugproduktion, als dass sie mit Engpässen bei Mikrochips konfrontiert werden könnten. Mit der Zeit wird die Beschaffung von Batterien wahrscheinlich ein größeres Problem bedeuten, weshalb die größten Akteure der Branche allesamt Geld in "Gigafactories" stecken. Und für Start-ups wird die Produktion nicht einfach sein, selbst wenn sie alle richtigen Teile bekommen. Teslas Probleme mit dem Model 3 im Jahr 2018 sind berühmt-berüchtigt, und selbst erfahrenere Autohersteller haben manchmal mit Produktionsanläufen zu kämpfen, wie etwa Ford mit seinem neuen Explorer Sport Utility Vehicle (SUV) im Jahr 2019.


   Anleger müssen ihre Lektion lernen 

Dies ist ein großer Unterschied zwischen der Automobil- und der Technologiebranche, die jetzt zusammenwachsen. Im Gegensatz zu Mobiltelefonen sind Fahrzeuge große und potenziell gefährliche Objekte, die nicht so schnell und in großem Maßstab eingeführt werden können, wie es im Silicon Valley üblich ist. Der Verkauf von Software und Dienstleistungen mit hohen Gewinnspannen "über den Äther" könnte es den Automobilherstellern ermöglichen, in Zukunft bessere Renditen als in der Vergangenheit zu erzielen. Das gilt aber erst, wenn genügend Fahrzeuge auf den Straßen unterwegs sind, um solche Investitionen zu rechtfertigen. Dieses Jahr hat die Anleger gelehrt, dass sie die Chip-Versorgung nicht als selbstverständlich ansehen können. Es ist an der Zeit, dass sie diese Lektion auf E-Auto-Start-ups ausweiten.

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November 01, 2021 05:44 ET (09:44 GMT)