Von Telis Demos

NEW YORK (Dow Jones)--Steigende Zinssätze werden für die US-Banken gut sein. Doch das wird sich erst eines Tages ergeben. JP Morgan meldete Ende der Vorwoche einen Rekordgewinn für das Jahr 2021. Doch weil dieser zum Teil der Auflösung von Rückstellungen für faule Kredite geschuldet war und weil die Unsicherheit über das Jahr 2022 besteht, werden viele Anleger dieses bemerkenswerte Ergebnis sofort vergessen. Dies setzt die Aktie derzeit stark unter Druck. Die Anleger sollten aber das Gesamtbild nicht aus den Augen verlieren. Auf den ersten Blick dürfte die Wahrscheinlichkeit einer Reihe von Zinserhöhungen durch die US-Notenbank Fed eine solide Grundlage für die Großbanken bedeuten, die die Erträge aus dem Kreditgeschäft in die Höhe treibt. Auch das für dieses Jahr erwartete US-Wirtschaftswachstum und die Tatsache, dass die Verbraucher sowie Unternehmen relativ sparsam wirtschaften und kaum mit einer Welle von Zahlungsausfällen zu rechnen ist, dürften für starken Rückenwind sorgen.

JP Morgan nennt aber auch eine Reihe von Herausforderungen, die diese positiven Effekte im kommenden Jahr wieder zunichtemachen könnten. Zumindest im Jahr 2022 könnte es dadurch schwierig werden, das mittelfristige Ziel der Bank, eine Rendite von 17 Prozent auf das materielle Stammkapital, zu erreichen. Zum einen nutzen die Verbraucher ihre Bankkarten noch immer nicht so häufig wie in der Vergangenheit für revolvierende Guthaben. Die Gewinnauswirkungen höherer Zinsen können durch eine geringere Kreditaufnahme gedämpft werden. Laut JP Morgan lag das Ausgabenvolumen zwar über dem Niveau vor der Pandemie, aber die ausstehenden Kartensalden rangierten im vierten Quartal um 8 Prozent unter dem gleichen Zeitraum 2019. Das Wachstum hat sich seit Mitte 2021 beschleunigt, aber grob gesagt erwartet die Bank immer noch nicht, dass die revolvierenden Kartensalden bis zum Ende dieses Jahres auf das Niveau vor der Pandemie zurückkehren werden.


   Inflation schlägt bei US-Banken ins Kontor 

Und dann ist da noch die andere Seite der Medaille mit den höheren Zinsen: die Inflation. Der Inflationsdruck auf die Ausgaben - bei Gehältern, Reise- und Unterhaltungsausgaben und in anderen Bereichen - könnte die Rendite auf das materielle Eigenkapital im Jahr 2022 um etwa 0,75 Prozentpunkte schmälern, so die Einschätzung der Bank. Im Laufe der Zeit, so die Hoffnung, würden höhere Zinssätze die Auswirkungen höherer Kosten aufwiegen - wenn diese Erhöhungen moderat ausfallen.

Das soll nicht heißen, dass höhere Sätze nicht grundsätzlich gut für die Banken sind, vor allem, wenn die Zinsstrukturkurve steil verläuft. JP Morgan sichert seine Wetten auf die Zinssätze weiterhin ab. Die Bank ist beim Kauf von Vermögenswerten mit längerer Laufzeit vorsichtig, wenn sie ihr Wertpapierportfolio aufstockt, was die aktuellen Zinssätze festschreiben würde. CEO Jamie Dimon ist der Ansicht, dass die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass die Fed bei den Zinsen aggressiver vorgehen wird als die Märkte erwarten. Dies bietet der Bank die große Chance, ihre enorme Liquidität einzusetzen, wenn die Zinsen höher sind.


   Anleger sollten Bankwerten nicht die kalte Schulter zeigen 

Außerdem könnte ein volatiles Zinsumfeld dazu beitragen, dass die Erträge an der Wall Street noch eine Weile hoch bleiben. Vor allem der Handel mit festverzinslichen Wertpapieren könnte mit der Abwicklung von Geschäften beschäftigt sein, wenn das Tempo der Zinserhöhungen Überraschungen enthält. Ein weiteres starkes Jahr an den Märkten und im Investmentbanking würde den Renditen erheblich zugutekommen. Anleger, die an das Jahr 2022 denken, sollten also vielleicht nicht erwarten, dass die Banken auf jeden Hinweis auf höhere Zinsen positiv reagieren. Aber sie sollten sie auch nicht längerfristig ignorieren.

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January 17, 2022 03:23 ET (08:23 GMT)