Zürich (awp) - Investoren sind in den vergangenen Monaten seit dem Coronaeinbruch immer risikobereiter geworden. Das zeigt sich auch bei der Entwicklung börsennotierter Fonds (ETFs). Mit mehr als 50 Milliarden US-Dollar an Zuflüssen haben sie sich ähnlich gut wie im August entwickelt.

Wichtiger als die absolute Zahl ist aber die Aufteilung dieser Zuflüsse, sind sich Branchenexperten einig. Denn nachdem über Monate hinweg vor allem ETFs auf Anleihen gefragt waren, haben Aktien-basierte ETFs im September deutlich aufgeholt. "Und auch innerhalb der Aktien-ETFs hat sich die gestiegene Risikobereitschaft der Investoren gezeigt", erzählt Ed Gordon vom ETF-Anbieter iShares/BlackRock im Gespräch mit AWP. Es habe eine Rotation raus aus weniger konjunktursensiblen Branchen wie Gesundheit und Versorger in Industriewerte gegeben.

Während also Aktien-ETFs einen regen Zulauf sahen, sind die Zuflüsse in Obligationen-ETFs im September nahezu zum Erliegen gekommen. Dabei sei auch zu beobachten gewesen, dass zuvor erhöhte Gewichtungen in Obligationen teilweise hin zu Aktien-ETFs umgeschichtet wurden, sagt Sven Württemberger von der DWS. Die starke Aktien-ETF-Nachfrage wertet der Experte als einen markanten Trendwechsel. "Ein Grund dafür könnte sein, dass die meisten Investoren die erwarteten wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID 19-Pandemie in ihre Modellen eingepreist haben und im Vergleich zum Frühjahr 2020 wieder mehr Chancen auf der Aktienseite sehen."

Risk-On auch bei Bonds

Doch auch wenn die Bond-ETFs gesamthaft etwas in der Gunst verloren haben, sieht Marco Strohmeier von Amundi auch hier eine klare "Risk-On"-Tendenz. So drehte das Interesse bei Obligationen-ETFs ebenfalls hin zu risikoreicheren Exposures. Entsprechend "verkauften Anleger ETFs auf Unternehmensanleihen mit Investment-Grade-Ratings und kauften ETFs auf Hochzinspapiere. Ebenfalls abgestossen wurden ETFs auf Staatsanleihen aus den USA und der Eurozone zugunsten von ETFs auf Schwellenländeranleihen."

Auf Nachrichtenseite standen im September zudem die grossen Notenbanken auf der Agenda. Vom Fed über die EZB bis zur SNB meldeten sich alle mit ihren aktuellen Entscheidungen über ihren weitere Kurs zu Wort.

An den Zinsen hat keine der Notenbanken etwas geändert, was so auch erwartet worden war. Vielmehr würden die Märkte weiter mit einer extrem lockeren Geldpolitik unterstützt, kommentiert Württemberger. Interessant sei vielmehr, dass sowohl EZB als auch die US-Notenbank angekündigt haben, ihre Inflationsziele zu überprüfen. "Wenn sich trotz jahrelanger Nullzinspolitik die Inflation nicht bewegt, könnte das an der Glaubwürdigkeit der Notenbanken kratzen, die langfristige Inflationsentwicklung zu steuern."

Notenbanken schaffen spezielles Umfeld

Nima Pouyan von Invesco glaubt dagegen nicht, dass die Inflation Sorgen bereitet. "Was vielleicht relevanter ist, sind die Auswirkungen auf die Währungen, einschliesslich eines möglicherweise schwächeren US-Dollar und eines noch stärkeren Franken." Es sei vor diesem Hintergrund durchaus denkbar, dass sich Anleger in einem solchen Szenario Engagements in US-Dollar absichern wollen.

Derweil lenkt Mobeen Tahir von WisdomTree die Aufmerksamkeit noch auf ein anderes Phänomen, das die Notenbanken mit ihrer Politik geschaffen haben. Denn dank ihrer starken Unterstützung haben sie einerseits die Widerstandskraft der Märkte gestützt, gleichzeitig aber ein Umfeld geschaffen, in dem sowohl zyklische als auch defensive Anlagen stark gesucht waren. "Beispielsweise haben sowohl Aktien als auch Gold aufgrund dieser geldpolitischen Anpassung starke Gewinne erzielt."

Neben den Zentralbanken sind auch die anstehenden Präsidentschaftswahlen in den USA in den letzten Wochen verstärkt in den Mittelpunkt gerückt. Immer wieder ist es dabei zu Handelstagen mit einer erhöhten Volatilität gekommen. Dennoch würde der Invesco-Experte Pouyan nicht von Nervosität sprechen. "Vielmehr versuchen Anleger, so gut wie möglich zu interpretieren, was das Ergebnis für die Wirtschaft, die Anleiherenditen, die Rentabilität der Unternehmen und den Dollar bedeuten wird."

Dauerbrenner Nachhaltigkeit

Ein Thema allerdings hat durchweg, unabhängig von politischen oder pandemischen Störfeuern ganz oben auf den Präferenz-Listen der Anleger gestanden: Nachhaltigkeit (ESG).

Wie Gordon von iShare/BlackRock berichtet, hat Europa bei diesem Trend derzeit weltweit die Nase vorn. "Im laufenden Jahr entfallen weltweit etwa 10 Prozent der Zuflüsse auf ESG-ETFs, in Europa liegt der Anteil bei 14 Prozent."

Die Nachfrage erstrecke sich auch über ein breites Publikum, ergänzt Pascal Mischler von GSAM. "Grosse Pensionsfonds, Vermögensverwalter und auch Privatbanken fragen nachhaltige ETFs immer stärker nach und auch Privatanleger wollen ihre Portfolien sustainable auslegen."

hr/tt