Hugo Boss ist ein symptomatisches Beispiel für einen gefallenen Engel, der Opfer seiner eigenen so genannten Premium-Positionierung wurde. Die deutsche Marke erlebte eine Phase, in der sie sowohl für die breite Öffentlichkeit zu teuer als auch für das Luxussegment nicht glaubwürdig genug war. Was einst das Markenzeichen einer klar definierten Berufsgruppe (junge, ehrgeizige Männer, CSP+) war, hat sich verflüchtigt - wie alle Modetrends. Im Einzelhandel ist es immer riskant, Trends für selbstverständlich zu halten.

Hugo Boss wurde gleich von mehreren Katastrophen heimgesucht. Da ist zunächst einmal der Umbruch im Vertrieb. Der physische Verkauf ist rückläufig, der Online-Handel floriert. Dies geschah zu einem Zeitpunkt, als das Unternehmen eine aggressive und nicht unbedingt gut kalkulierte Expansionsstrategie für seine Ladengeschäfte verfolgte. Noch im vergangenen Jahr erzielte Boss 80 % seines Umsatzes in seinen Filialen. Zweitens gibt es einen neuen Trend, im Büro seltener formelle Kleidung zu tragen, insbesondere weniger Anzüge. Vor fünf Jahren machten diese noch die Hälfte des Umsatzes von Boss aus. Insgesamt weicht der „Chic“ mehr und mehr zugunsten des „Casual“. Und schließlich sind die Ergebnisse der Diversifizierungsversuche sowohl im Bereich der Damenmode (nur 7 % der Aktivitäten) als auch in geografischer Hinsicht (zwei Drittel der Einnahmen entfallen nach wie vor auf Europa) eher dürftig.

La mode masculine domine toujours largement

Herrenmode dominiert immer noch weitgehend den Jahresumsatz (Quelle: Hugo Boss)

Doch die neueren Anstrengungen der letzten Zeit beginnen, erste Früchte zu tragen. Die Marke hat sich „demokratisiert“ und erreicht nun eine dynamischere Klientel, die an Vielfalt gewinnt, was es durch die Sparmaßnahmen verloren hat. Sowohl die Kollektionen als auch das Marketing scheinen nun in guten Händen zu sein. Die digitale Expansion hat Vorrang: Das Unternehmen will bis 2025 etwa 25-30 % seines Umsatzes online erzielen. All diese Fortschritte haben es Boss ermöglicht, die Negativspirale zu durchbrechen, in die die Marke in den letzten Jahren geraten war.

Solide Bilanz

Die genannten Hintergründe hatten das Wachstum verlangsamt, ohne es jedoch zu stoppen: Der Umsatz stieg immerhin von 2 Milliarden Euro im Jahr 2011 auf 2,8 Milliarden Euro im Jahr 2021. Das Profil der Bruttomarge bleibt mehr oder weniger konstant, was ein Zeichen dafür ist, dass Boss trotz der oben erwähnten negativen Faktoren immer noch eine gewisse Preissetzungsmacht hat. Der Betrag am Ende der Gewinn- und Verlustrechnung ging jedoch systematisch zurück, von durchschnittlich 400 Millionen Euro zwischen 2011 und 2015 auf die Hälfte im letzten Jahr. Dies ist das Ergebnis einer stark ansteigenden zentralen Kostenstruktur und des übermäßigen Platzbedarfs der Geschäfte, deren Umfang derzeit jedoch reduziert wird. Drei Punkte sind positiv anzumerken: die konstante Anzahl der im Umlauf befindlichen Aktien, der sehr niedrige Verschuldungsgrad und keine allzu negativen Signale für die Lagerbestände.

Compte de résultats (Source Zonebourse avec S&P Capital IQ)
Gewinn- und Verlustrechnung 

Was den freien Cashflow anbelangt, so ist die Dynamik korrekt und scheint auf ein gutes Management hinzuweisen. Der Cashflow hat sich im Laufe des Zyklus fast verdoppelt und stieg von 303 Millionen Euro im Jahr 2011 auf 658 Millionen Euro im vergangenen Jahr. Nach einem Tiefpunkt im Jahr 2022 dürfte der operative Cashflow wieder ansteigen. Und dies trotz der Investitionen, die der Konzern zur Rationalisierung seiner Filialen getätigt hat. Insgesamt dürfte der freie Cashflow bis 2025 wieder auf 550 Millionen Euro steigen. Es ist zwar schwer zu sagen, ob Boss dieses Tempo letztendlich halten kann, aber es wäre ein deutlich positives Zeichen im Vergleich zu dem begrenzten Nettogewinn von 144 Millionen Euro im Jahr 2021.

Avant / Après
Die quantifizierten Ziele des Plans 2025 (Quelle: Hugo Boss)

Dem Management ist es gelungen, die Marke Boss bei neuen Zielgruppen bekannt zu machen und gleichzeitig eine umsichtige Verwaltung der Ressourcen im Blick zu behalten. Mit einem Eigenkapital von 1 Milliarde Euro scheint das Unternehmen in der Lage zu sein - wenn es erst einmal auf Touren gekommen ist - zwischen 350 und 550 Millionen Euro an freiem Cashflow zu generieren. Das entspricht einer Eigenkapitalrendite (ROE) von 30-50 %. Bei dem derzeitigen Aktienkurs (von rund 47 Euro) und einer Kapitalisierung in der Größenordnung von 3,2 Mrd. Euro zahlt man für das Unternehmen nur das Sechsfache des innerhalb von drei Jahren erwarteten Bargewinns. Damit liegt Boss unterhalb einiger Bekleidungsmarken und weit entfernt von den großen Luxuskonzernen. Zweifelsohne verlockend - auch wenn Prognosen nur für diejenigen gelten, die an sie glauben.

Kurzfristig gesehen bietet sich eine solche Situation für Liebhaber des Tradings und der technischen Analyse an: Da die Fundamentaldaten beruhigend sind, eröffnen "technische Rückschläge" gute Einstiegspunkte. Auch mittelfristig sprechen einige Argumente für diese Aktie, und die Bewertung erscheint angemessen, selbst wenn man die erwartete Verlangsamung in Europa aufgrund der Inflation und der Energiepreise berücksichtigt. Zudem ist es dem neuen CEO Daniel Grieder gelungen, den ungünstigen Konsens, der seit einigen Jahren auf dem Unternehmen lastete, umzukehren. Eine große Herausforderung - in vieler Hinsicht.