Die Hong Kong Exchanges and Clearing (HKEX) machte dem Londoner Börsenbetreiber am Mittwoch überraschend Avancen und stellte ein Übernahmeangebot im Gesamtvolumen von 31,6 Milliarden Pfund (umgerechnet rund 35 Milliarden Euro) in bar und in Aktien in Aussicht. Knackpunkt ist allerdings die von der LSE im August angekündigte Übernahme des Datenanbieters Refinitiv. Die Offerte aus Hongkong komme nur zum Tragen, wenn der andere Deal nicht stattfinde, sagte HKEX-Chef Charles Li. Allerdings wurde der Refinitiv-Kauf im Sommer in großer Einigkeit eingetütet. Analysten und Anleger sind deshalb skeptisch, was die Chancen der Asiaten angeht.

"Das ist kein feindlicher Übernahmeversuch", erläuterte Li in einer Telefonkonferenz mit Journalisten. "Wir wollen einen globalen Marktführer schaffen, der Ost mit West verbindet." Auf die LSE habe sein Unternehmen schon länger ein Auge geworfen. "Nun ist sie verlobt mit jemand anderem und wir wissen, dass wir spät dran sind. Aber wir hoffen, dass wir die LSE-Eigentümer von der Transaktion überzeugen können." Das LSE-Management reagierte verhalten und erklärte, weiter an dem Abschluss des Refinitiv-Kaufs zu arbeiten. Das Angebot aus Hongkong komme unabgestimmt und stehe unter viele Vorbehalten. Es würde dennoch geprüft, der Vorstand werde sich in Kürze ausführlicher dazu äußern.

Der Hongkonger Handelsplatz gehört zwar zu den größten der Welt, ein Kauf der LSE inklusive Refinitiv wäre Insidern zufolge aber eine Nummer zu groß. Die Londoner wollen Refinitiv für 27 Milliarden Dollar (24 Milliarden Euro) vom US-Finanzinvestor Blackstone kaufen, der die Mehrheit an dem Konzern erst 2018 vom Informationskonzern Thomson Reuters, der Mutter der Nachrichtenagentur Reuters, übernommen hatte. Der Kauf wird derzeit von den Kartellbehörden und Finanzaufsehern in den USA, der Europäischen Union und anderen Ländern geprüft.

KEINE PLÄNE FÜR EINE "CHINESISCHE ORGANISATION"

Ein Zusammenschluss der Börsenbetreiber in Hongkong und London würde ihnen im Wettbewerb mit den großen US-Konkurrenten ICE und CME helfen. Die LSE will außerdem ihre Präsenz in Asien ausbauen - und ging deshalb eine Kooperation mit der Börse in Shanghai ein. Für Börsenbetreiber ist es schon länger schwer geworden, mit dem traditionellen Wertpapierhandel Gewinne zu erzielen. Die Margen sind gering und der Erfolg hängt stark von den Launen der Finanzmärkte ab. Viele steigen deshalb wie die LSE mit Refinitiv in das lukrative Datengeschäft ein - auch weil Zusammenschlüsse großer Handelsplätze wegen Bedenken von Kartellbehörden schwierig sind. Das zeigten nicht zuletzt die mehrfach gescheiterten Fusionsversuche von Deutscher Börse und LSE.

Für den Konzern aus Hongkong wäre es nicht der erste Schritt in die britische Hauptstadt. Vor rund sieben Jahren verleibte er sich bereits die Metallbörse London Metal Exchange ein. Wie bei dieser gebe es für die LSE keine Pläne, aus dem Unternehmen "eine chinesische Organisation" zu machen, betonte HKEX-Chef Li. Auf den Fluren dort liefen keine Manager aus Hongkong herum. Und die LSE würde weiterhin von der britischen Aufsicht reguliert werden.

NEUE CHANCE FÜR DIE DEUTSCHE BÖRSE?

Dass Li nun ausgerechnet jetzt mit dem Angebot für die LSE um die Ecke kommt, liegt nach Meinung eines Großaktionärs auch an der aktuell politisch aufgeheizten Stimmung in Hongkong. "HKEX hat mit der LME schon ein Standbein in London aber nun wollen sie sich offenbar unabhängiger von ihrem chinesischen Geschäft machen." Es sei aber nicht davon auszugehen, dass die LSE-Anleger ihre Meinung einfach änderten bezüglich des mit Blackstone vereinbarten Refinitiv-Kaufs. Auch Analyst Neil Wilson vom Onlinebroker Markets.com sieht nur geringe Chancen. "Ich glaube nicht, dass das Vorhaben Erfolg hat, vor allem dürfte es große politische Bedenken geben."

Die LSE-Titel waren unmittelbar nach der Ankündigung aus Hongkong zwar um mehr als 16 Prozent in die Höhe geschnellt, gaben aber kurz danach einen Großteil der Gewinne wieder ab und notierten am Nachmittag noch 4,5 Prozent fester. Die Titel der Deutschen Börse erklommen zeitweise ein Rekordhoch von 139 Euro, büßten aber fast alle Gewinne wieder ein.

Sollte der Refinitiv-Deal mit der LSE jedoch tatsächlich nicht zustande kommen, könnte es für die Deutsche Börse wieder spannend werden: Die LSE hatte mit dem Refinitiv-Kaufgebot die Pläne des deutschen Börsenbetreibers durchkreuzt, sich die Devisenhandelsplattform FXall von Refinitiv einzuverleiben, um ihre eigene Plattform 360T zu stärken.