Von Costas Paris

NEW YORK (Dow Jones)--Die Konsolidierungswelle in der Schifffahrt in den vergangenen fünf Jahren trägt zu den Problemen in der Lieferkette bei, die die Covid-19-Ausbrüche losgetreten haben. Sie führt zu weiteren Verzögerungen bei der Beförderung von Gütern über die Weltmeere. Eine Handvoll großer Schifffahrtsunternehmen kontrolliert die Mehrheit der Container auf riesigen Schiffen. Von daher gab es weltweit weniger Routen, weniger kleine Schiffe und weniger Häfen, die den Warenfluss aufrechterhalten konnten, als die Pandemie den Betrieb unterbrach, so Frachteigentümer und Spediteure.

Nach Angaben des Seeverkehrs-Datenanbieters Alphaliner kontrollieren die sechs größten Containerbetreiber mehr als 70 Prozent der gesamten Containerkapazität. Da die Unternehmen versuchen, ihre Lagerbestände nach Aufhebung der Covid-19-Beschränkungen wieder aufzufüllen, zahlen sie im Vergleich zum Vorjahr mindestens viermal so viel für den Transport ihrer Produkte. Dafür müssen sie lange Lieferfristen in Kauf nehmen, ist aus der Branche zu hören.


   "Irrsinnige Frachtraten" sind zu zahlen 

"Vor ein paar Jahren bekamen wir innerhalb von ein paar Stunden ein halbes Dutzend konkurrenzfähige Frachtangebote von Reedereien", berichtet Mark Murray, Inhaber von Desales, einem US-Importeur von Gummifäden und Gummibändern. "Jetzt dauert es ein paar Tage, bis man ein Angebot von einem der großen Unternehmen erhält, man muss irrsinnige Frachtraten zahlen und die Lieferung kommt Monate zu spät. Uns sind die Hände gebunden."

Die Schifffahrtsbranche konsolidierte sich zwischen 2016 und 2018, als eine Reihe von Transaktionen im Wert von rund 14 Milliarden US-Dollar die Zahl der weltweiten Container-Schifffahrtsunternehmen um etwa die Hälfte reduzierte. Die Übernahmen waren Teil der Bemühungen der Reeder, die schwierigen Bedingungen nach der Finanzkrise von 2008 zu bewältigen, als die Frachtraten kaum die Treibstoffkosten deckten und die Schiffe mit hohen Verlusten fuhren.


   Drei große Allianzen beherrschen die Branche 

Zu weiteren Faktoren, die die Konsolidierung vorantrieben, gehörten ein Anstieg der Produktion in Asien und die Forderung der Frachteigner, die Transportkosten zu deckeln. Die großen Reedereien haben außerdem drei globale Allianzen gebildet, die Schiffe, Fracht und Hafenanläufe gemeinsam nutzen. Einige kleinere Betreiber haben sich angeschlossen, so dass diese Gruppen die Kontrolle über den größten Teil der verfügbaren Kapazitäten haben. Das Ergebnis läuft auf ein gestrafftes System hinaus, bei dem weniger, aber größere Schiffe bestimmte Häfen in Asien anliefen und dann nach Europa oder in die USA fuhren, wobei die Ladung direkt in die Regale oder an die Produktionslinien ging. Das neue Modell reduziert die Verschwendung im System, begrenzt den ungenutzten Platz auf den Schiffen und senkt die Lagerhaltungskosten für die Importeure.

Covid-19 macht deutlich, wie anfällig das neue Modell der Lieferkette in Stresssituationen ist. Bei Ausbrüchen im Sommer an großen Exportdrehkreuzen wie Yantian und Ningbo in China lagen die Schiffe wochenlang still, während sie auf die Wiedereröffnung der Terminals warteten. Nachdem sie ausgelaufen waren, saßen sie in überlasteten westlichen Häfen fest, die die Ladungsflut nicht mehr bewältigen konnten. Anders als in der Zeit vor der Konsolidierung, als die Verlader auf eine Reihe kleiner und mittlerer Unternehmen zurückgreifen konnten, die ihnen bei der Bewältigung von Störungen halfen, mussten sich die Frachteigentümer jetzt nach eigenen Angaben weitgehend zwischen langen Wartezeiten und einer Kostenspirale entscheiden.


   Preise geraten außer Kontrolle 

Murray von Desales erläutert, dass eine Sendung aus Malaysia, die Ende Juni abfahren sollte, auf Anfang Juli verschoben wurde. Dann verzögerte ein Covid-19-Ausbruch die Abfahrt auf Anfang September mit einem geschätzten Ankunftsdatum Anfang Oktober. Desales zahlte 9.500 Dollar für die Buchung des Containers. Vor der Pandemie waren es rund 3.000 Dollar, so Murray. Der Preis kam zustande, nachdem man mit einer Reihe von Spediteuren verhandelt hatte, die ursprünglich rund 19.000 Dollar verlangt hatten.

Die großen Linienreedereien beteuern, dass das Problem nicht darin besteht, dass die Kapazität von einigen wenigen großen Unternehmen kontrolliert wird. Sie sagen, dass die Covid-19-Ausbrüche an den globalen Verkehrsknotenpunkten Kapazitätsmängel an Land aufgedeckt haben, wo es nicht genügend Arbeitskräfte, Züge, Lastwagen und Lagerhäuser gibt, um die Fracht ins Landesinnere zu befördern. "An der US-Westküste können die Terminals nicht mehr Kapazität aufnehmen", sagt Lars Mikael Jensen, Leiter des globalen Seeverkehrsnetzes bei der dänischen AP Moller-Maersk, dem weltgrößten Frachtschiffbetreiber. "Es gibt genügend Schiffe, wenn wir in Los Angeles ankommen und am nächsten Tag weiterfahren könnten. Aber jetzt müssen wir Wochen mit Warten verbringen."


   Stau vor der Küste von Los Angeles 

Nach Angaben der Marine Exchange of Southern California lagen in den vergangenen Wochen an jedem beliebigen Tag vierzig oder mehr beladene Schiffe vor der Küste von Los Angeles vor Anker. Vor der Pandemie war ein einziges Schiff vor Anker eher ungewöhnlich. Die Kapazitätsknappheit hat einige Verlader dazu veranlasst, ihre eigenen Schiffe zu mieten. Der weltgrößte Einzelhändler Walmart gab im August bekannt, dass er für den Transport von Asienimporten seine eigenen Schiffe gechartert hat, nachdem Home Depot im Juni einen ähnlichen Schritt unternommen hatte.

Die in Athen ansässige Capital Maritime, die 108 Schiffe aller Art betreibt, hat für einen Kunden ein kleines Schiff mit 2.000 Containern gechartert, um Möbel und Sportbekleidung von China nach Liverpool zu transportieren, verdeutlicht Chairman Evangelos Marinakis von Capital Maritime. "Der Einsatz solch kleiner Schiffe für lange Fahrten ist beispiellos und ein Beweis für die verrückte Nachfrage", stöhnt Marinakis. "Wir sind in Gesprächen, um mehr solcher Schiffe im Pazifik zu chartern."


   Lieferketten wohl noch anderthalb Jahre außer Rand und Band 

Schiffsmakler freuen sich derweil, dass kleine Schiffe, die für Punkt-zu-Punkt-Reisen gechartert werden, jetzt etwa 150.000 Dollar pro Tag einbringen, ein Vielfaches des Niveaus vor der Pandemie, als solche Fahrten wegen der hohen Kosten selten waren. Marinakis, der hauptsächlich Tanker betreibt, erklärt, er habe im vergangenen Jahr mehr als 1,2 Milliarden Dollar ausgegeben, um 16 Riesen-Schiffe mit Kapazitäten zwischen 1.800 und 13.000 Containern zu bestellen. "Ich wünschte, ich hätte mehr von ihnen", klagt er. "Wir sind mit Covid noch nicht fertig, und ich gehe davon aus, dass die Lieferketten noch anderthalb Jahre lang in Aufruhr sein werden. Es gibt noch eine Menge Geld zu verdienen." Das Schifffahrtsberatungsunternehmen Drewry erklärte im Juli, dass die Branche im Jahr 2021 dank höherer Frachtraten wohl mehr als 80 Milliarden Dollar Gewinne erwirtschaftet, verglichen mit 25 Milliarden Dollar im vergangenen Jahr.

Laut Nils Haupt von der Hamburger Hapag-Lloyd benötigt die Branche eine zusätzliche Kapazität von 20 Prozent, um die Krise zu bewältigen. "Wir werden von den Kunden heftig angegangen", sagt er. "Sie beschweren sich über die Frachtraten und die Verspätungen. Das ist nicht gut für die Kundenbeziehungen, und wir versuchen ständig, die Kapazität zu erhöhen." Die französische Containerschifffahrtsgesellschaft CMA CGM SA erklärte zuletzt, dass sie weitere Frachtratenerhöhungen bis Februar nächsten Jahres aussetzt. "Die Gruppe stellt angesichts der beispiellosen Situation in der Schifffahrtsbranche ihre langfristigen Beziehungen zu den Kunden in den Vordergrund", so CMA CGM.


   Wenige Optionen für Frachteigentümer 

Doch die Spediteure argumentieren, dass die von so wenigen Anbietern beherrschte Kapazität den Frachteigentümern nur wenige Optionen lässt. Sie berichten, dass die Tagesraten von China ins Mittelmeer jetzt bei etwa 7.000 Dollar liegen, verglichen mit bis zu 1.000 Dollar vor der Pandemie. "Die Hälfte der Angebote, die wir erhalten, bieten wochenlang keinen Schiffsraum, und bei der anderen Hälfte findet ein Wettlauf um einen Platz statt", erläutert Vicky Zervou von der Athener Spedition Aritrans. "Wir verbringen Wochen mit dem Versuch, einen einzigen Container zu buchen."

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September 14, 2021 04:08 ET (08:08 GMT)