BADEN-BADEN (awp international) - Autofahrer, Hauseigentümer und Mieter müssen für ihre Versicherungen nach Einschätzung von Hannover Rück ab dem Jahreswechsel deutlich tiefer in die Tasche greifen. So müssten die deutschen Kfz-Versicherer ihre Prämien wegen zunehmender Schadenfälle und immer teurerer Reparaturen im Schnitt um mindestens zehn Prozent anheben, sagte Stefan Schmuttermair von der Deutschlandtochter E+S Rück am Montag beim Branchentreffen in Baden-Baden. Ansonsten drohten der Branche rote Zahlen. In der privaten Gebäudeversicherung geht Hannover-Rück-Deutschlandchef Michael Pickel sogar von Erhöhungen von etwa 15 Prozent aus.

Als grösster Kfz-Rückversicherer in Deutschland hat E+S Rück einen besonders guten Einblick in die Tarifgestaltung von Erstversicherern wie Huk Coburg und Allianz . Anders als Vergleichsportale wie Verivox und Check24 bezieht sich das Unternehmen bei seiner Prognose nicht nur auf Neuabschlüsse, sondern auch auf bestehende Verträge. Dabei dürften die Erhöhungen in der Kfz-Haftpflicht und der Vollkasko ähnlich hoch ausfallen, in der Teilkasko etwas niedriger.

Ohne "kräftige Tarifanpassungen" dürften die Aufwendungen für Schäden, Verwaltung und Vertrieb die Prämieneinnahmen der Branche im Kfz-Geschäft im kommenden Jahr deutlich übersteigen, schätzt E+S Rück. Während die Zahl der Schäden in den Monaten Januar bis August 2022 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 1,8 Prozent gewachsen sei, hätten die Schadenzahlungen insgesamt um 8,8 Prozent zugelegt. Im kommenden Jahr dürften die durchschnittlichen Schäden in der Kfz-Haftpflicht noch einmal um mindestens fünf Prozent höher werden, prognostiziert Schmuttermair.

Dass Kfz-Schäden für die Versicherer teurer werden, begründete Deutschlandchef Pickel nicht nur mit deutlich gestiegenen Preisen für Ersatzteile und Reparaturen, sondern auch mit den angespannten Lieferketten in der Autobranche. Wenn benötigte Ersatzteile erst später einträfen, benötige der Geschädigte länger ein Ersatzfahrzeug. Ohnehin seien Mietwagen zuletzt deutlich teurer geworden.

Letztlich entscheiden die einzelnen Kfz-Versicherer selbst, ob und wie stark sie bei ihren Kunden an der Preisschraube drehten. "Preiserhöhungen werden alle durchführen", zeigte sich Schmuttermair jedoch überzeugt. Im proportionalen Geschäft nehmen Rückversicherer den Erstversicherern einen Teil von deren Risiken ab und bekommen im Gegenzug einen entsprechenden Anteil an den Prämien. Im nichtproportionalen Geschäft springen sie erst ab einer gewissen Schadenhöhe ein. In beiden Fällen können sie auf die Kalkulation des Erstversicherers Einfluss nehmen - etwa indem sie verlangen, dass dieser einen grösseren Teil der Schäden selbst trägt.

In der Vergangenheit hatten sich Kfz-Versicherer in Deutschland oft einen Preiskampf geliefert, um einander Kunden abzujagen. "Die Marktführer werden hier einen Massstab setzen", sagte Schmuttermair mit Blick auf die anstehende Wechselsaison. Grösster Kfz-Versicherer in Deutschland ist Huk Coburg.

Auch die Naturkatastrophen der vergangenen anderthalb Jahre werden nach Ansicht von Hannover Rück Folgen für die Versicherungstarife in Deutschland haben - etwa in der Wohngebäudeversicherung. So zeigten die Stürme, Dürren und Waldbrände in diesem Jahr, dass Naturkatastrophen in Europa zunehmen, sagte Pickel. Beispielsweise haben die Winterstürme "Ylenia" und "Zeynep" nach Schätzung des deutschen Versichererverbandes GDV versicherte Schäden von rund 1,4 Milliarden Euro angerichtet. Unterdessen seien die allgemeinen Baukosten deutlich gestiegen.

Deutschlandchef Pickel hält in der Wohngebäudeversicherung daher eine Anhebung der Prämien von 15 Prozent für "vernünftig". In der Hausratversicherung habe er bei einzelnen Erstversicherern sogar Erhöhungen von bis zu 25 Prozent gesehen.

Unterdessen sind nach der verheerenden Flutkatastrophe vom Juli 2021 noch immer nicht alle Häuser etwa im rheinland-pfälzischen Ahrtal wieder aufgebaut. Die zwischenzeitlich gestiegenen Baupreise machten daher auch bereits eingetretene Schäden teurer, sagte Hannover-Rück-Experte Jonas Krotzek.

Auch in der schon lange schwächelnden Industrie- und Gewerbeversicherung machten sich die angespannten Lieferketten negativ bemerkbar. Weil sich die Reparatur und der Wiederaufbau beschädigter Gebäude länger hinzögen, stiegen die Schäden in der Versicherung gegen Betriebsunterbrechungen. Die Branche müsse daher ihre Haftungslimits überdenken. Ausserdem nähmen Schäden durch Cyber-Attacken auf Computersysteme zu. Hier hätten Erstversicherer zuletzt ihre Haftungsgrenzen gesenkt. Dadurch steige das Prämienniveau der gesamten Branche in diesem Geschäft./stw/lew/he