Von Charley Grant

NEW YORK (Dow Jones)--Eine nur temporäre Bedrohung für das geistige Eigentum von Impfstoffherstellern könnte sich als dauerhaftes Kopfzerbrechen für Aktionäre erweisen. Die USA wollen einen vorübergehenden Verzicht auf geistige Eigentumsrechte unterstützen, um Entwicklungsländern zu ermöglichen, ihre eigenen Covid-19-Impfstoffe herzustellen. Die Aktien von Pfizer, Moderna und einigen anderen Impfstoffentwicklern fielen daraufhin stark. Der Ausverkauf setzte sich am Donnerstagmorgen fort.

Es gibt keinen unmittelbaren Grund, den Verzicht selbst zu fürchten. Sollten die Mitglieder der Welthandelsorganisation (WTO) sie genehmigen, wird sie die kurzfristigen Umsätze und Gewinne der Arzneimittelhersteller nicht beeinträchtigen, da die Verträge mit den Regierungen bereits unterzeichnet sind.

Es wird sich auch nicht viel an den globalen Aussichten für die Produktion ändern. Pfizer und Moderna erwarten, in diesem Jahr mehr als 3 Milliarden Dosen zu produzieren, und es ist unwahrscheinlich, dass Generika-Konkurrenten schnell genug aufstocken könnten, um diese Zahl signifikant zu erhöhen. Beide Unternehmen erwarten für das kommende Jahr eine deutliche Steigerung der Produktion.


   Impfstoffverkäufe schon jetzt auf Rekordkurs 

Die Nachricht über eine US-Rückendeckung der Ausnahmeregelung kommt jedoch zu einem Zeitpunkt, an dem die Impfstoffverkäufe Rekorde verzeichnen. Moderna hat nach eigenen Angaben in diesem Jahr Verträge über 19,2 Milliarden US-Dollar an Produktverkäufen unterzeichnet. Anfang dieser Woche erhöhte Pfizer die Umsatzprognose für 2021 für seinen Impfstoff von 15 auf 26 Milliarden Dollar.

Diese Schätzungen basieren auf bereits unterzeichneten Verträgen mit Regierungen, es gibt also noch Luft nach oben. Solche Zahlen übertreffen sogar die meistverkauften Medikamente der Welt. So erreichte der Umsatz des Entzündungshemmers Humira von Abbvie im vergangenen Jahr fast 20 Milliarden Dollar. Auch die Hepatitis-C-Medikamente von Gilead Sciences näherten sich 2015 dieser Zahl an, bevor sie schließlich abfielen.

Aber die Dauerhaftigkeit der Cashflows ist für die Wall Street genauso wichtig wie die Größenordnung. Ein Medikament, das Patienten regelmäßig einnehmen, ist für Investoren viel wertvoller als eine einmalige Behandlung. Die Nachricht aus Washington wirft die Frage auf, wie lange der explosionsartige Anstieg der Impfstoffverkäufe noch anhalten wird.


   Preissetzungsmacht der Konzerne steht in Frage 

Die Arzneimittelhersteller sind optimistisch über ihre Aussichten. Pfizer-Chef Albert Bourla sieht eine anhaltende Nachfrage, ähnlich wie bei dem Grippeimpfstoff, als "wahrscheinliches Ergebnis" an. Über dieses Jahr hinaus hat das Unternehmen Verträge mit Israel und Kanada für weitere Lieferungen abgeschlossen. Im letzteren Fall kann Pfizer sogar noch im Jahr 2024 Einnahmen aus dem Vertrag verbuchen.

Weitere Verträge scheinen wahrscheinlich, da Regierungen Impfstoffe als Versicherung auch nach dem Ende der Pandemie vorrätig halten wollen. Analysten von RBC Capital Markets prognostizieren für 2023 einen Umsatz von 11 Milliarden Dollar mit Impfstoffen von Pfizer.

Aber es bleibt höchst ungewiss, welche Art von Preissetzungsmacht diese Unternehmen in einem Umfeld nach der Pandemie haben werden, wenn etwa die Möglichkeit billigerer Konkurrenz in Betracht gezogen wird. Das Tempo der Impfungen hat sich zum Beispiel in den USA bereits verlangsamt. Im Vergleich dazu ist die Grippeimpfung, obwohl sie für viele ein jährliches Ritual ist, kein besonders wertvolles Produkt für die Branche.


   Geistiges Eigentum als Rückgrat der Pharmabranche 

Der Aktienmarkt kann ein knallharter Ort für Arzneimittelhersteller sein, die ein Blockbuster-Medikament mit einer ungewissen Zukunft verkaufen, selbst wenn noch Geld in die Kasse fließt. Die Aktie von Gilead erreichte ihren Höchststand im Sommer 2015, obwohl die Umsätze mit Hepatitis C erst im folgenden Jahr zu fallen begannen. Sie notiert heute fast 50 Prozent unter ihrem Rekordhoch.

Pharmainvestoren, die keine Impfstoffaktien besitzen, sollten ebenfalls vorsichtig sein. Die Biden-Administration wurde von der Wall Street bei ihrem Amtsantritt nicht als besonders unfreundlich gegenüber der Branche angesehen. Die Nachrichten aus dem Weißen Haus könnten diese Wahrnehmung ändern.

So waren Diskussionen um Preissenkungen in Washington in der Vergangenheit stets Auslöser für eine Schwäche der Pharma-Aktien, aber das geistige Eigentum ist das Rückgrat der Pharmaindustrie. Investoren sollten jede Anfechtung dieser Rechte ernst nehmen.

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May 07, 2021 04:17 ET (08:17 GMT)