Von Stephen Wilmot

NEW YORK (Dow Jones)--Die oft undurchsichtige Welt der Automobil-Mikrochips wird nie wieder dieselbe sein. Die Auto-Branche hatte einmal mehr einen schwierigen Monat durchzustehen. Hersteller wie Toyota und General Motors haben weitreichende Kürzungen ihrer Produktionspläne für den Herbst angekündigt, da es an Teilen mangelt, insbesondere an Halbleitern.

Das Beratungsunternehmen Alix erklärte in der Vorwoche, die Chip-Knappheit koste die Branche in diesem Jahr wahrscheinlich 210 Milliarden US-Dollar an entgangenen Einnahmen. Das ist eine fast doppelt so hohe Summe, wie Schätzungen vom Mai dies hätten vermuten lassen.

Wenn der Mangel endlich behoben ist, wird es allerdings kein Zurück zur alten Normalität geben. Dafür schlägt das derzeitige Chaos zu sehr zu Buche. Die Automobilhersteller werden alles tun, um eine Wiederholung zu vermeiden, zumal ihre Branche an der Schwelle zu einer digitalen Revolution steht, die einen massiven Anstieg der Chiplieferungen erfordern dürfte.

Größere Lagerbestände sind die einfachste Absicherung gegen künftige Engpässe. "Just-in-time"-Lieferketten in der Automobilindustrie waren noch nie geeignet für Mikrochips, deren Herstellung lange Vorlaufzeiten und Planung erfordert und die nur wenig Platz für die Lagerung benötigen, so Partner Falk Meissner von Roland Berger. Die Ironie liegt darin, dass Unternehmen, die kurzfristig Chip-Lagerbestände aufbauen, die derzeitige Knappheit noch verschlimmern könnten, und zwar in einer Dynamik, die an den Ansturm auf Toilettenpapier im vergangenen Jahr erinnert.


 
Branche strebt nach Kontrolle über Chip-Lieferkette 

Die großen Automobilhersteller beginnen auch, direkte Beziehungen zu Halbleiterunternehmen aufzubauen, um die Versorgung sicherzustellen, anstatt sich ausschließlich auf "Tier-One"-Zulieferer wie Continental und Aptiv zu verlassen. Diese integrieren die Chips in einbaufertige Gehäuse. Die Art der Kontrolle der Lieferkette ist bereits bei einigen Rohstoffen üblich, bei denen sich die Bezugsquellen als kritisch entpuppen könnten, etwa bei Edelmetallen, die in Katalysatoren Verwendung finden. Jetzt will die Autobranche, diese Kontrolle auch auf Mikrochips ausweiten.

Mit der Zeit wird die Beziehung zwischen Chip- und Automobilherstellern noch enger. Da Fahrzeuge immer mehr rollenden Computern ähneln, könnten Halbleiter zu einem strategischen Schlachtfeld werden - ähnlich wie es heute die Batterien sind.

Die größten Autohersteller könnten das Bedürfnis verspüren, ihre eigenen Chips zu entwickeln oder zumindest enge Partnerschaften einzugehen. Auf seinem "KI-Tag" im August stellte Tesla einen neuen Mikrochip für das Training von Netzwerken mit künstlicher Intelligenz vor. Nachdem das Unternehmen von Elon Musk seine komplexesten Chips von Nvidia bezogen hatte, begann es 2016 damit, Experten abzuwerben und maßgeschneiderte Halbleiter zu entwickeln, wobei es Samsung als Fertigungspartner nutzte.


 
Tesla prescht vor 
 

Wie üblich mischt sich bei Teslas Einsatz für eine eigene Halbleitertechnologie für fahrerlose Autos, von deren Herstellung das Unternehmen noch weit entfernt ist, zukunftsorientiertes Denken mit schamlosem Hype. Dennoch setzt das Unternehmen mit seinem konträren Ansatz ein Zeichen, das die gesamte Branche nicht ignorieren kann.

Volkswagen hat erklärt, dass es mit der Entwicklung eigener Chips für autonome Fahrzeuge beginnen wird, ohne selbst in die Chipfertigung einzusteigen. Daimler hat im vergangenen Jahr eine Partnerschaft mit Nvidia eingegangen und könnte den gleichen Weg einschlagen.

Dieser Trend erklärt Intels großes Engagement für die europäische Automobilindustrie auf der Münchner Mobilitätsmesse - sie lief ganz bewusst nicht als reine Autoshow ab - in diesem Monat. Intel-Chef Pat Gelsinger zitierte eine Prognose von Roland Berger, wonach der Anteil der Chips an der Materialliste von Premiumfahrzeugen bis 2030 von 4 Prozent im Jahr 2019 auf 20 Prozent zunehmen sollte. Das Unternehmen will diesen Wachstumsmarkt sowohl mit seinen eigenen Chips als auch mit neuen Hightech-Fertigungsanlagen bedienen, die auch Konstruktionen von Drittanbietern aufnehmen können.


 
Qualcomm schielt nach schwedischem Sensor- und Softwareunternehmen 
 

Auch andere Chiphersteller suchen nach weiteren Wegen ins Auto. Qualcomm unterbreitete im August ein vorläufiges Angebot in Höhe von 4,6 Milliarden Dollar für Veoneer, ein schwedisches Unternehmen, das Sensoren und Software für das assistierte Fahren vertreibt. Veoneer hatte bereits einer Übernahme durch den kanadischen Zulieferer Magna zugestimmt, aber die Anleger scheinen darauf zu warten, dass Qualcomm sein höheres Angebot in die Tat umsetzt.

Der potenzielle Deal erinnert an die Übernahme von Mobileye durch Intel im Jahr 2017, als die Begeisterung für das automatisierte Fahren noch groß war. Die Zusammenführung von Automobil- und Halbleiterindustrie steht noch ganz am Anfang. Der Markt wird wahrscheinlich noch lebhafter werden. Bislang wird das Tempo vor allem in Kalifornien und Deutschland forciert. Irgendwann wird auch Detroit einige Chips platzieren müssen.

Kontakt zum Autor: unternehmen.de@dowjones.com

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September 27, 2021 09:03 ET (13:03 GMT)