KÖLN (dpa-AFX) - Boeings Krisenjet 737 Max soll aus Sicht der europäischen Luftfahrtbehörde EASA noch in diesem Jahr wieder abheben dürfen. "Unsere Analyse zeigt, dass er sicher ist, und das erreichte Sicherheitsniveau ist hoch genug für uns", sagte EASA-Chef Patrick Ky in einem am Freitag veröffentlichten Interview mit der Nachrichtenagentur Bloomberg. Damit könnte das seit März 2019 geltende Startverbot für Boeings meistgefragten Flugzeugtyp nach mehr als anderthalb Jahren aufgehoben werden.

Laut Ky will die EASA ihre Entscheidung voraussichtlich im November veröffentlichen. Dann kann die Öffentlichkeit vier Wochen lang dazu Stellung beziehen.

Luftfahrtbehörden aus aller Welt hatten dem Boeing-Jet nach zwei Abstürzen mit 346 Toten vergangenes Jahr die Zulassung entzogen. Als Hauptursache der 737-Max-Abstürze vom Oktober 2018 und März 2019 gilt eine fehlerhafte Steuerungssoftware.

Die 737 Max ist eine Neuauflage der im Grundsatz seit den 1960er Jahren gebauten Boeing 737. Sie hat modernere, größere Triebwerke und verbraucht weniger Treibstoff als ihre Vorgängerin. Boeing wollte die Probleme eigentlich längst behoben haben, stattdessen kamen neue Mängel hinzu. Dem Konzern wird vorgeworfen, die 737 Max im Wettbewerb mit Airbus überstürzt auf den Markt gebracht und dabei die Sicherheit vernachlässigt zu haben.

Die fragliche Software sollte einen zu steilen Steigflug verhindern, der zu einem Strömungsabriss und damit zu einem Absturz führen kann. Allerdings verließ sich die Software dabei auf die Daten eines einzigen Sensors. In den Unglücksfällen lieferte dieser Sensor falsche Daten. In der Folge zog die Software die Nase des Flugzeugs immer weiter nach unten - bis zum Aufprall auf dem Boden.

In der überarbeiteten Version verwendet die Software nun die Daten von zwei Sensoren. Die EASA hatte sogar den Einbau eines dritten Sensors gefordert. Dies soll nun ein sogenannter synthetischer Sensor sein und muss erst noch entwickelt werden. Laut Ky wird dies noch 20 bis 24 Monate dauern. In der noch gar nicht zugelassenen Langversion des Jets, der 737 Max 10, soll er von Anfang an vorgeschrieben sein. Bei den übrigen Varianten soll er später nachgerüstet werden.

Der EASA kommt bei der Wiederzulassung des Jets eine besondere Bedeutung zu. Ihr amerikanisches Pendant, die US-Luftfahrtbehörde FAA, steht selbst unter großem Druck. Kritiker werfen ihr vor, sie habe bei der ursprünglichen Zulassung der 737 Max die Augen zugedrückt und sich von Boeing an der Nase herumführen lassen.

Die EASA hat im Sommer daher eigene Testflüge mit der überarbeiteten 737 Max durchgeführt, statt sich auf das Urteil der FAA zu verlassen. Die FAA hatte ihre heiße Testphase zur Wiederzulassung bereits Anfang Juli abgeschlossen.

Das Desaster um den Flugzeugtyp hat Boeing schon vor der Corona-Pandemie in eine schwere Krise gebracht. Fluggesellschaften in aller Welt forderten von dem Hersteller Schadenersatz, weil sie ihre Maschinen nicht einsetzen durften und bestellte Jets nicht erhielten. Boeing baute zudem mehr als 400 Maschinen des Typs auf Halde, ohne dass dem entsprechende Einnahmen gegenüberstanden. Der finanzielle Schaden für den Konzern hat längst eine zweistellige Milliardensumme erreicht./stw/ngu/jha/