FRANKFURT (dpa-AFX) - Der Börsenwirbel in der Corona-Pandemie treibt den Frankfurter Online-Broker Flatexdegiro von Rekord zu Rekord. Während das öffentliche Leben wegen der Lockdowns brachliegt, entdecken immer mehr Menschen den Online-Handel mit Aktien, Derivaten, Fonds und ETFs für sich. So viele, dass Flatexdegiro-Chef Frank Niehage seine Geschäftsziele für 2021 seit dem Jahreswechsel schon zweimal angehoben hat. Gemessen an den Transaktionen sieht er sein Unternehmen bereits als größten Online-Broker Europas. Was bei Flatexdegiro los ist, was Analysten sagen und wie sich der Aktienkurs entwickelt.

DAS IST LOS BEI FLATEXDEGIRO:

Seit über einem Jahr hat die Pandemie die Welt im Griff. Auch an den Finanzmärkten dreht sich vieles darum, wer als Gewinner und wer als Verlierer aus dieser Krise hervorgeht. Das kommt Flatexdegiro gleich an mehreren Stellen zugute.

Einerseits treiben die Unsicherheiten rund um die Viruskrise den Börsenhandel an - was zu vielen Transaktionen führt und Brokern hohe Einnahmen beschert. Die verschärften Nullzinsen tragen ihr Übriges dazu bei, dass Anleger ihr Glück in Aktien suchen, zumal viele Banken inzwischen Geld für das Parken höherer Kontoguthaben verlangen. Andererseits beschleunigt die Pandemie die Digitalisierung.

Das kommt Online-Brokern wie Flatexdegiro gerade recht. Bei den Frankfurtern übertraf die Realität seit Anfang 2020 jede noch so optimistische Prognose. Im Gesamtjahr wuchs die Zahl der Kunden auf vergleichbarer Basis um 56 Prozent auf 1,25 Millionen. Die Zahl der Transaktionen schoss um fast 140 Prozent auf 75 Millionen nach oben.

Im neuen Jahr legte der Ansturm noch zu. Hatte Niehage im Januar von mindestens 1,6 Millionen Kunden bis Jahresende gesprochen, hat das Unternehmen diese Zahl schon Ende März erreicht. Inzwischen rechnet der Vorstand Ende 2021 mit 2,0 bis 2,2 Millionen Kunden und peilt für das Gesamtjahr 90 bis 110 Millionen Transaktionen an. Dieses Geschäftsvolumen stand eigentlich erst 2025 im Plan - bei erhofften mehr als 3 Millionen Kunden.

"Angesichts des anhaltenden Wachstumstempos der letzten Monate müssen wir dann möglicherweise auch unsere Vision 2025 überarbeiten", sagte Niehage nun. Dabei lässt sich das Geschäftsvolumen nicht einfach anhand der Kundenzahl hochrechnen. So will der Vorstand über 100 Millionen Transaktionen künftig auch in Zeiten mit geringen Kursschwankungen sicherstellen.

Allein im ersten Quartal wickelte der Online-Broker 33,6 Millionen Transaktionen ab, fast doppelt so viele wie zur Zeit des Corona-Crashs ein Jahr zuvor. Der Umsatz sprang um 176 Prozent in die Höhe, der um Sonderposten bereinigte operative Gewinn (Ebitda) verdoppelte sich sogar.

Flatexdegiro gehört nicht zu den jungen Fintechs. Der Broker Flatex wurde 1999 von dem Unternehmer und Verleger Bernd Förtsch ("Der Aktionär") gegründet und ging 2009 an die Börse. Im Gegensatz zu vielen Start-ups aus der Finanzszene verdient das Unternehmen auch unter dem Strich Geld. Im Gesamtjahr 2020 verdoppelte sich der Umsatz nahezu auf 262 Millionen Euro. Der Überschuss sprang auf 50 Millionen Euro nach oben, mehr als dreimal so viel wie im Vorjahr.

Förtsch ist immer noch an dem Unternehmen beteiligt. Vergangenen Sommer übernahm das Unternehmen seinen niederländischen Rivalen Degiro und bezeichnet sich inzwischen als Europas größter Online-Broker. Kurz vor Weihnachten stieg das Unternehmen in den Nebenwerte-Index SDax auf.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Wer vor vielen Jahren als Aktionär bei Flatex eingestiegen ist, konnte sich seither eine goldene Nase verdienen. In den vergangenen zehn Jahren stieg der Aktienkurs von gut fünf Euro auf zuletzt rund 105 Euro. Wer seit fünf Jahren dabei ist, konnte seinen Einsatz mehr als versechsfachen, und seit Anfang 2021 steht noch ein Kurszuwachs von rund zwei Dritteln zu Buche.

Allerdings hatten langjährige Anleger bei Flatex auch mehrere Durststrecken durchzustehen. Wer im Mai 2018 zum Zwischenhoch von 36 Euro zugeschlagen hat, musste mehr als zwei Jahre warten, bis er seine Papiere wieder mit Gewinn abstoßen konnte. Seitdem ging der Kurs allerdings erst richtig durch die Decke.

Und auch im Jahr 2021 fiel die Kursrally alles andere als gradlinig aus. Von rund 65 Euro Anfang des Jahres ging es bis Anfang Februar bis auf fast 96 Euro nach oben - und Anfang März wieder auf rund 72 Euro abwärts. Ab Anfang April stieg der Kurs wieder deutlich an - bis er mit einem kräftigen Sprung vergangenen Donnerstag erstmals die Marke von 100 Euro übersprang.

Inzwischen wird Flatexdegiro an der Börse mit rund 2,9 Milliarden Euro bewertet. Größter Anteilseigner ist weiterhin Unternehmensgründer Förtsch. Er hält direkt und indirekt über die GfBk Gesellschaft für Börsenkommunikation und die Beteiligungsgesellschaft Heliad Management rund 19 Prozent der Anteile. Der Streubesitz soll ab Juli wieder deutlich steigen - wenn die ehemaligen Eigentümer von Degiro ihre Anteile nach dem Ablauf einer Sperrfrist verkaufen dürfen. Damit werde Flatex zum Kandidaten für den MDax, sagte Niehage vergangene Woche der "Frankfurter Allgemeine Zeitung".

DAS SAGEN ANALYSTEN:

Branchenexperten sind der Flatexdegiro-Aktie auch nach dem kräftigen Kursanstieg in der Corona-Krise weiterhin zugetan. Alle sechs von dpa-AFX erfassten Analysten, die ihre Einschätzung nach der Anhebung der ersten Anhebung der Jahresziele Anfang Februar erneuert haben, empfehlen das Papier zum Kauf. Im Schnitt schreiben sie ihm inzwischen ein Kursziel von rund 119 Euro zu. Noch im Dezember - kurz vor dem Aufstieg in den SDax - hatte das durchschnittliche Kursziel nur gut halb so hoch gelegen.

Branchenexperte Martin Comtesse vom Analysehaus Jefferies bezeichnete die Geschäftszahlen des Online-Brokers aus dem ersten Quartal als "umwerfend". Sein Kollege Frederik Jarchow von der Privatbank Hauck & Aufhäuser sieht Flatexdegiro damit auf gutem Weg für ein neues Rekordgeschäftsjahr.

Mit einem Kursziel von 130 Euro schreibt Warburg-Analyst Marius Fuhrberg der Aktie auch nach dem jüngsten Kursanstieg das größte Aufwärtspotenzial zu. Schon Anfang vergangene Woche bezeichnete er die Wachstumsperspektiven der Frankfurter als hervorragend und setzte sein Kursziel von 105 auf 115 Euro nach oben. Seit Veröffentlichung der Quartalszahlen sieht er das Papier sogar auf dem Weg zu 130 Euro.

Analystin Roberta De Luca von der US-Investmentbank Goldman Sachs hob ihr Kursziel zuletzt auf 120 Euro an, nachdem die Aktie ihre vorherige Zielmarke von 100 Euro noch am selben Tag wieder geknackt hatte. Zuvor hatte sich bereits Analyst Simon Bentlage von Hauck & Aufhäuser in optimistisch zu Online-Brokern im Allgemeinen geäußert und getitelt: "Die Party ist noch nicht zu Ende." Er geht davon aus, dass sich der Boom beim Börsenhandel durch Privatanleger fortsetzt./stw/ngu/he