BRÜSSEL (dpa-AFX) - Wegen der ausufernden Staatsverschuldung in Italien greift die EU-Kommission nach langen Querelen durch. Die Brüsseler Behörde empfahl am Mittwoch ein Strafverfahren gegen das Land, weil die Regierung 2018 keine ausreichenden Gegenmaßnahmen getroffen habe. Nun liegt der Ball bei den EU-Staaten. Am Ende könnten Strafen in Milliardenhöhe stehen. Das eigentliche Ziel ist aber ein anderes: Italien soll endlich dazu gebracht werden, seine Finanzen in den Griff zu kriegen.

Trotz der Versprechen der Regierung aus Populisten und Rechten in Rom, die horrende Staatsverschuldung zu senken, ist genau das Gegenteil eingetreten. Italiens Schuldenquote - das ist das Verhältnis der gesamten Staatsschulden zur Wirtschaftskraft - betrug 2018 nach nun bestätigten Zahlen mehr als 132 Prozent, wie die EU-Kommission mitteilte. Erlaubt sind nach den Spielregeln für das Eurosystem eigentlich nur 60 Prozent, eine Marke, die Italien seit dem Euro-Start 1999 deutlich überschreitet.

In der EU hat lediglich Griechenland - gemessen am Bruttoinlandsprodukt - einen höheren Schuldenstand. In absoluten Zahlen beträgt die Schuldenlast im ungleich größeren Italien aber deutlich mehr: aktuell etwa 2,3 Billionen Euro, mehr als sieben mal so viel wie in Griechenland. Und die Regierung verfolgt bei den Finanzen eine Strategie, die mit höheren Sozialausgaben und geplanten Steuersenkungen alles andere als ein Sparkurs ist.

Der Schuldenberg kostet den Staat schon jetzt enorm viel, könnte irgendwann unbezahlbar werden und dann Auswirkungen auf die ganze Eurozone und auch auf Deutschland haben. Auf jeden Einwohner heruntergebrochen ergebe sich in Italien eine Schuldenlast von etwa 38 000 Euro, hinzu kämen rund 1000 Euro an Schuldenleistungen, sagte EU-Finanzkommissar Valdis Dombrovskis. "Italien zahlt heute für seinen Schuldendienst so viel wie für sein ganzes Bildungssystem." Es sei zudem zu erwarten, dass sowohl 2019 als auch 2020 die Schuldenquote weiter ansteige.

Zumindest in Teilen der italienischen Regierung scheint es ein Bewusstsein für die Brisanz der Situation zu geben. "Ich werde bis zum Schluss die größtmöglichen Anstrengungen unternehmen, um ein Verfahren abzuwenden, das dem Land sicherlich nicht gut tun wird", sagte Regierungschef Giuseppe Conte am Mittwoch noch vor der offiziellen Mitteilung der EU-Empfehlung. Doch was Conte sagt, ist das eine - was die eigentlichen Frontmänner der italienischen Regierung sagen, ist das andere.

Sofort war wieder das Feindbild Nummer eins da - und eine altbekannte Rhetorik: die böse EU gegen das leidgeplagte Italien. "Es ist sehr lästig, dass jeden Tag ein anderer Grund gefunden wird, um schlecht über Italien und diese Regierung zu sprechen!", erklärte der Chef der Fünf-Sterne-Bewegung, Luigi Di Maio, auf Facebook. "Es ist unvorstellbar, dass ein Land mit sechs Millionen tatsächlichen Arbeitslosen und Tausenden von Unternehmen, die unter ihrem Potenzial produzieren, ans Kreuz geschlagen wird, weil es in Wachstum, Arbeit und Steuersenkungen investieren will."

Die Verschuldung könne einzig reduziert werden, wenn Steuern gesenkt würden und die Italiener "mehr und besser" arbeiten könnten, sagte der Chef der rechten Lega, Matteo Salvini. "Mit Einschnitten, Sanktionen und Austerität haben Verschuldung, Armut, Unsicherheit und Arbeitslosigkeit zugenommen, wir müssen das Gegenteil machen."

Doch Experten sind äußerst skeptisch, dass die Maßnahmen der Regierung in Rom die gewünschten Effekte erzielen können. Was dagegen klar ist: Eine bereits eingeführte Grundsicherung für Einkommensschwache und Arbeitslose und die Absenkung des Renteneintrittsalters kosten den Staat enorm viel Geld.

"Das Wachstum ist praktisch zum Erliegen gekommen", sagte Dombrovskis weiter. Um es anzukurbeln, seien Reformanstrengungen und sinnvolle Privatisierungen nötig, nicht weitere Ausgaben, für die es keinen Spielraum gebe.

Wegen der Haushaltspläne für 2019 hatte es schon im vergangenen Jahr ordentlich Zoff zwischen Rom und Brüssel gegeben. Dies hatte auch zu Verunsicherung und Kurseinbrüchen an den Märkten geführt.

Es gebe ganz andere Staaten, die sich nicht an Regeln halten würden - und die dann Italien die Moral predigen, sagte der Lega-Europaabgeordnete Marzo Zanni. Die Lega aber werde dafür sorgen, dass künftig kein "politischer Gebrauch" mehr von Haushaltsregeln der EU gemacht werde.

Mit ihrer Anti-EU-Rhetorik haben die Populisten schon viele Wähler auf ihre Seite gezogen. Ein Strafverfahren könnte ihnen weiter in die Hände spielen - und das in einer Zeit, in der in Italien immer heißer über eine Neuwahl spekuliert wird. Die Koalition hat sich in den vergangenen Monaten im Dauerstreit verloren. Conte drohte deswegen bereits mit seinem Rücktritt. Salvini führt sich immer mehr wie der Regierungschef persönlich auf, gestärkt von einem Rekordergebnis bei der Europawahl.

Die EU-Staaten haben nun zwei Wochen Zeit, um die Einschätzung der EU-Kommission zu prüfen. Stimmen sie überein, kann die Brüsseler Behörde das offizielle Strafverfahren einleiten. Damit wären dann konkrete Vorgaben und Auflagen für Italien verbunden, die Schulden zu senken. Ignoriert die Regierung diese weiterhin, können Geldstrafen von bis zu 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) folgen. Bislang wurden diese noch gegen kein Land in Europa verhängt./lkl/DP/fba