Der Umsatz von Evonik setzt sich im Bereich Spezialchemie aus drei Geschäftsbereichen zusammen: Verbesserung der Energieeffizienz (46,2 %), Konsumgüter-, Pflege- und Gesundheitsprodukte, Tiernahrungsherstellung (37,2 %) sowie Herstellung von Gummi und Kunststoff (16,6 %). Dieses Geschäft macht heute 80 % des bereinigten EBITDA aus - vor zehn Jahren waren es noch 40 %. Spezialchemie ist profitabler, weniger konjunkturabhängig und wachstumsstärker als die extrem wettbewerbsintensiven traditionellen Chemieaktivitäten. Auch das 2015 aus dem Nichts gestartete Portfolio an sogenannten "innovativen" Geschäften mit patentierten Technologien, zum Beispiel für pharmazeutische Anwendungen, wächst seither stetig und soll bis 2025 eine Milliarde Euro zum Konzernumsatz beitragen.

Chart Evonik Industries AG

Der Bergbaukonzern RAG AG hält über seine Stiftung 58% des Eigenkapitals. Da ihr Stiftungsrat vor allem von Bundes- und Landespolitikern sowie Gewerkschaften dominiert wird, fungiert er als wachsamer Ankeraktionär, der Stabilität und Langfristigkeit bewahrt.

Generell ist die Erfolgsbilanz von Evonik auf operativer und finanzieller Ebene durch ein konservatives Management sowie eine bemerkenswerte Stabilität der Ergebnisse gekennzeichnet. Sieht man von den drei Jahren nach der Finanzkrise ab, haben sich Umsatz und Ertragskraft im Laufe des Jahrzehnts kaum weiterentwickelt. Margen und Kapitalrenditen konnten jedoch gesichert werden.

Insofern ist Evonik kein Wachstumstitel. Vielmehr will das Management durch vorsichtige Neuinvestitionen und gelegentliche Portfolioumschichtungen eine verlässliche Dividendenrendite von aktuell fast 4 % sichern. Ohne die ausufernden Pensionsverpflichtungen - bedingt durch historisch niedrige Zinsen - hält sich die Verschuldung des Unternehmens in Grenzen und hat bereits während der Euro-Krise gezeigt, dass es sich zeitnah entschulden kann. 

Seit dem Jahr 2017 setzte eine Modernisierung des Geschäftsportfolios hin zu einer Fokussierung auf Spezialanwendungen ein. Seitdem flossen 4,5 Milliarden Euro in verschiedene Übernahmen: zu einer Hälfte finanziert durch Fremdkapital, zur anderen Hälfte finanziert durch den Verkauf von Vermögenswerten. Die Verkäufe von "traditionellen" Geschäften wurden zu einem neunfachen und die Übernahmen von "Spezialgeschäften" zu einem 9,5-fachen des EBITDA abgeschlossen - im Durchschnitt und nach Synergien.

Kapitalintensive Branchen, zu denen Chemieunternehmen zählen, gelten traditionell als attraktiv bei Investoren. Vorausgesetzt, ihre Bewertung fällt unter den Buchwert oder den zehnfachen Jahresgewinn. Mit 30 Euro je Aktie, d.h. dem fast zweifachen Buchwert und dem 18-fachen Jahresgewinn, ist ein Übernahme-Szenario bei Evonik sicherlich nicht gegeben. Für renditeorientierte Anleger liegt der Reiz vor allem in einer soliden Dividende gepaart mit einem guten Momentum. Letzteres spiegelt sich in jüngsten Kurszielanpassungen wider, die durch umfangreiche Aufträge zur Herstellung wichtiger Impfstoff-Inhaltsstoffe ausgelöst wurden: Evonik ist mit der Herstellung einer kritischen Komponente für den mRNA-basierten Impfstoff von Pfizer/ BioNTech beauftragt.

In der Neupositionierung des Portfolios hin zu Aktivitäten mit höherer Wertschöpfung liegen einige Vorteile: vor allem höhere Margen und eine geringere Kapitalintensität. Die Nachteile sind notwendigerweise höhere Budgets in Forschung und Entwicklung sowie eine teilweise volatilere Nachfrage.

Könnten sich neue Akquisitionsmöglichkeiten ergeben? Schon möglich. Allerdings sollten die Aktionäre eine Kapitalallokation erwarten, die sich konsequent an der Erhaltung der Dividende orientiert. Gute Gewinne könnten dem Konzern genügend Spielraum ermöglichen, um seine Investitionsprogramme sicherzustellen - ohne dabei auf eine kritische Erhöhung der Verschuldung oder Aktienemissionen zurückgreifen zu müssen.