Von David Uberti

NEW YORK (Dow Jones)--Öl- und Gasunternehmen haben einen Berg von Barmitteln angehäuft. Ein solches Ausmaß hat es in der jüngeren Geschichte nur selten gegeben. Und die Wall Street hat ein paar Ideen, wie man es ausgeben könnte - wobei neue Bohrungen nicht gerade oben auf der Liste stehen. Viele Unternehmen senken ihre Kosten und lassen Bargeld auf Börsianer wie Warren Buffett mit seinem Investmentvehikel Berkshire Hathaway regnen. Diese Investoren meinen, dass der weltweite Durst nach Öl noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, anhalten wird.

Das Versprechen, Geld an die Aktionäre zurückzugeben, trug dazu bei, dass Ölaktien zu den wenigen Lichtblicken in einer dunklen Phase der Märkte im vergangenen Jahr gehörten. Diese Phase heizten die Rohstoffpreise an, die nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine in die Höhe schnellten. Selbst als die unsicheren Wirtschaftsaussichten den Rohölpreis im Jahr 2023 belasteten und den Energiesektor zum schlechtesten Bereich im S&P 500 machten, flossen die Barmittel weiter. Unternehmen, die früher nach Wachstum strebten und Geld in spekulative Bohrinvestitionen steckten, was ihre Aktien belastete, haben stattdessen versucht, die Wall Street zu beruhigen, indem sie die Dividenden erhöhten und Aktien zurückkauften.


Stetige Renditen 

Die Barmittel haben dazu beigetragen, die Aktienkurse zu glätten, die oft mit den volatilen Rohstoffmärkten schwanken. Stetige Renditen geben auch einer Branche Auftrieb, deren langfristige Aussichten ungewiss sind, da sich Regierungen, Märkte und die Weltwirtschaft allmählich auf sauberere Energie umstellen. "Sie haben schon immer Dividenden gezahlt.

Das war schon immer ein Markenzeichen", merkt Rob Thummel von Tortoise an, einer Investmentfirma für Energie. "Aber jetzt gibt es einen Bargeld-Überschuss über die Dividenden hinaus, um Rückkäufe zu tätigen."

Sechs Unternehmen, die oft als "Big Oil" bezeichnet werden - die italienische Eni, die französische Totalenergies, die britische Shell und BP sowie die US-Unternehmen Chevron und Exxon Mobil - wiesen zum Ende des ersten Quartals satte Barmittel auf. Diese belaufen sich mitsamt Barmitteläquivalenten auf fast 160 Milliarden US-Dollar. Staatliche Unternehmen und kleinere Gesellschaften verfügen über weitere Dutzende von Milliarden.


Ölkonzerne als Kriegsgewinnler 

Laut Factset entfallen auf Chevron und Exxon Mobil 48,3 Milliarden Dollar dieser Mittel, rund 1 Milliarde Dollar mehr als zu Beginn des Jahres. Vor der Anhäufung von Barmitteln in den vergangenen Monaten hatten sie das vorerst letzte Mal in den letzten Wochen der Präsidentschaft von George W. Bush zusammen mehr als 40 Milliarden Dollar auf der hohen Kante. Damals näherte sich bei US-Rohöl das Ende eines monatelangen Rückgangs von einem Rekordpreis von 145 Dollar pro Barrel.

Die Gewinne aus dem Ölgeschäft stiegen im vergangenen Jahr sprunghaft an, nachdem Russlands Krieg gegen die Ukraine die Preise in die Höhe getrieben hatte. Benzin entwickelte sich dadurch zu einem alltäglichen Symbol dafür, dass sich die Inflation einem 40-Jahres-Hoch nähert.


Absicherung gegen nicht dauerhaft gute Zeiten 

Da die US-Rohölpreise in diesem Jahr bisher um 8,8 Prozent auf 73,16 Dollar pro Barrel nach unten gingen, haben internationale Ölkonzerne, US-Kraftstoffhersteller, unabhängige Bohrunternehmen, und Fracker große Mengen Bargeld gehortet. Das soll teilweise als Absicherung für den Fall herhalten, dass die Talfahrt weitergeht. "Wir wissen, dass die guten Zeiten nicht von Dauer sind", erklärt etwa Chevron-Finanzchef Pierre Breber.

US-Präsident Joe Biden hat die Produzenten aufgefordert, die Produktion zu erhöhen, um die Preise an der Zapfsäule zu senken. "Diese Bilanzen machen deutlich, dass nichts die Ölgesellschaften davon abhält, die Produktion zu steigern, außer ihrer eigenen Entscheidung, die Taschen der reichen Aktionäre zu füllen und dann auf dem zu sitzen, was übrigbleibt", heißt es aus dem Weißen Hauses.


Finanzdisziplin und Vergütungssysteme 

Aber die Investoren haben finanzielle Disziplin bevorzugt, und Führungskräfte werden zunehmend auf der Grundlage von Aktionärsrenditen entlohnt. Dies stellt eine Kehrtwende in der US-Ölbranche dar, wo die Unternehmen jahrelang das Produktionswachstum durch Anzapfen von Rohölvorkommen in Regionen wie dem Permian Basin in Texas und dem Bakken-Shale in North Dakota vorantrieben. Bis Juni 2020, als die Pandemie Teile des Landes zum Stillstand brachte, hatten Chevron und Exxon Mobil laut Factset in mindestens 28 aufeinander folgenden Quartalen mehr Geld für Investitionen als für Aktionärsgewinne ausgegeben. In den ersten drei Monaten dieses Jahres zahlten die Unternehmen dagegen 14,8 Milliarden Dollar Dividenden und tätigten Rückkäufe, verglichen mit 8,4 Milliarden Dollar Investitionen.


Konzerne kaufen Aktien zurück und knausern bei Investitionen 

Laut Breber könnte die in Kalifornien beheimatete Chevron, die über fast 15,7 Milliarden Dollar an Barmitteln und Barmitteläquivalenten verfügt, mit einer Bilanz arbeiten, die nur ein Drittel so groß ist. "Wir wollen das Geld an die Aktionäre im Laufe des Zyklus kontinuierlich zurückgeben", sagte er den Analysten.

Andere US-Unternehmen sind in letzter Zeit dem Beispiel der Großkonzerne gefolgt. Bei Conocophillips und 48 kleineren börsennotierten Öl- und Gasunternehmen wechselten die Führungskräfte im vierten Quartal 2022 deutlich die Spur. Sie leiteten 42 Prozent der Barmittel in die Rendite für die Aktionäre, wie aus einer Analyse der Finanzberichte durch Evaluate Energy hervorgeht. Kapitalinvestitionen machten in diesem Zeitraum 35 Prozent aus - ein Rückgang gegenüber 67 Prozent im ersten Quartal 2020. "Die US-Öl- und Gasproduzenten sind so wenig auf Kapitalausgaben fokussiert wie seit Jahren nicht mehr", erläutert Analyst Mark Young von Evaluate Energy.


Zurückhaltung bei saubereren Energien 

Der Aufbau von Barmitteln ist auch anderen Faktoren geschuldet. Viele Unternehmen haben ihre Schulden abgezahlt, die sie in der Wachstumsphase aufgenommen hatten, als sie einen Großteil für Bohrungen in den Gebieten erster Wahl ausgaben. Zwar sagten einige Unternehmen große Summen für die Kohlenstoffabscheidungstechnologie oder die Wasserstoffproduktion zu. Aber sie wurden bei den Investitionen in saubere Energien durch geringere Renditeerwartungen und das Warten auf die noch nicht fertig gestellten Vorschriften des Klimapakets Bidens gebremst.

Große Unternehmen wie Exxon Mobil haben auch Übernahmen in Erwägung gezogen, um unabhängige oder private Bohrunternehmen mit schneller wachsender Schieferproduktion zu übernehmen, wie das "Wall Street Journal" berichtet. Exxon übertraf im ersten Quartal andere US-Unternehmen mit fast 32,7 Milliarden Dollar Barmitteln, etwa 3 Milliarden Dollar mehr als Ende vergangenen Jahres.


Keine Negativkosten durch Cashberge 

Da die Renditen für kurzfristige Anlagen wie US-Staatsanleihen höher sind als das, was Exxon für seine Schulden zahlt, "haben wir keine negativen Kosten für den Bargeldbestand", erklärt Finanzchefin Kathryn Mikells. Diese finanzielle Realität, die zum Teil die US-Notenbank Fed mit der Verlangsamung der Wirtschaft hervorrief, verändert die Vorstellung davon, was eine optimale Bilanz für Ölunternehmen in einem unvorhersehbaren Markt ausmacht, so Analyst Sam Margolin von Wolfe Research. "Es nimmt definitiv den Druck von dem Versuch, Barmittel so schnell wie möglich abzubauen."

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May 09, 2023 05:08 ET (09:08 GMT)