Von Rochelle Toplensky

LONDON (Dow Jones) -- Der Niedergang der Öl- und Gas-Supermajors in den letzten zwei Jahren vollzog sich parallel zum Aufstieg von Versorgungsunternehmen, die bis dahin eher im Schatten standen. In Europa haben sich Enel und Iberdrola zu Giganten der grünen Energie entwickelt, unter anderem weil sie sich der Methoden von großen Öl- und Gasunternehmen bedienten.

Wie Shell und BP zuvor haben die beiden Unternehmen globale Portfolios aufgebaut, um den wachsenden Energiebedarf zu decken, nur mit dem Unterschied, dass sie auf Wind und Sonne anstelle von fossilen Brennstoffen setzen. Diese Strategie hat sie bereits zu den zwei weltweit größten Produzenten erneuerbarer Energien gemacht, aber sie wollen noch mehr.

Enel gab am Dienstag bekannt, dass das Unternehmen seine Kapazität bis 2030 auf 120 Gigawatt fast verdreifachen werde. Anfang dieses Monats berichtete Iberdrola von Plänen, seine Kapazität bis 2025 auf 60 Gigawatt zu verdoppeln.

Die beiden Versorger ähneln dem US-Konkurrenten Nextera, nur dass dieser zu einem deutlich höheren Kurs-Gewinn-Verhältnis gehandelt wird und mehr international statt auf einzelne Märkte ausgerichtet ist.

Alle drei bereiten sich auf ein drastisches Wachstum der Nachfrage nach sauberem Strom vor, da die Schwellenländer reicher werden und die Industrieländer dekarbonisieren. Bei den Kosten können erneuerbare Energien heute bereits mit fossilen Brennstoffen konkurrieren. Regierungen, die ihre Pläne zur Reduzierung von CO2-Emissionen beschleunigen, leisten der Entwicklung Vorschub.


   Versorger sind wie die Ölkonzerne stark integriert 

Die beiden europäischen Unternehmen haben einiges mit den Öl-Supermajors gemeinsam. Sie sind vertikal integriert: Sie sichern sich staatliche Genehmigungen für zahlreiche Standorte von Wind- und Solaranlagen, entwickeln diese Projekte und managen ihre Kraftwerke und Verteilernetzte selbst. Ihre großen internationalen Aktivitäten setzen Maßstäbe bei Kosteneffizienz, lokalem Know-how und Beziehungen.

Ölproduzenten unterhalten einen Vorrat an Bohrrechten. In ähnlicher Weise verfügen Enel und Iberdrola über die Berechtigungen, zahlreiche grüne Projekte auf der ganzen Welt zu entwickeln: Diese entsprechen bei Enel einem Wert von 141 Gigawatt. Bei Iberdrola sind es 70 Gigawatt. Und auch weiterhin suchen die beiden nach neuen Möglichkeiten.

Es gibt auch einige wichtige Unterschiede. Ölprojekte sind in der Regel risikoreiche Investitionen mit hoher Rendite, während neue Kraftwerke sicherer sind und entsprechend niedrigere Gewinne erzielen. Rohöl ist ein globaler Rohstoff mit volatilen Preisen. Strom, der schwerer zu transportieren ist, ist ein viel lokaleres Produkt, dessen Preise häufig durch langfristige Verträge reguliert oder festgelegt werden. Diese Vorhersehbarkeit hilft den Versorgern, mittels Hebelwirkung ihre Renditen zu steigern. Ölunternehmen nutzen Hebel, damit sie bei geringerer Verschuldung die Rohstoffpreiszyklen überstehen können.

Enel hat seinen Sitz in Rom und ist hauptsächlich in Europa, den USA und Lateinamerika tätig. Der Plan zur Verdreifachung der erneuerbaren Kapazitäten ist Teil eines Investitionspakets in Höhe von 160 Milliarden Euro für Solar- und Onshore-Windparks, Energieinfrastruktur, Speicherung und Wasserstoff. Das Unternehmen besitzt aber auch zehn Kohlekraftwerke, die bis 2027 stillgelegt werden sollen.

Der spanische Rivale Iberdrola plant, bis 2025 rund 75 Milliarden Euro auszugeben, um seine Kapazität zu verdoppeln. Es werden Solar- und Windparks sowohl an als auch vor der Küste gebaut, hauptsächlich in den USA und in Europa. Im vergangenen Monat kaufte das Unternehmen PNM Resources, das Strom in New Mexico und Texas liefert, und wurde damit zu einem der größten Anbieter auf dem US-amerikanischen Markt.


   Ölkonzerne werden zu Konkurrenten 

Die Risiken darf man dennoch nicht vergessen. Die Nachfrage nach Ökostrom wird aller Voraussicht nach in die Höhe schnellen, aber die Renditen könnten unter Druck geraten, da viele Unternehmen, darunter BP und Shell, in den gleichen Markt drängen. Die Amortisation dieser Multidekaden-Projekte könnte letztendlich auch durch höhere Zinssätze, niedrigere langfristige Strompreise (bei Ablauf von Festpreisverträgen) oder regulatorische Änderungen beeinträchtigt werden.

Ironischerweise könnte der Klimawandel Wind- oder Sonnenmuster verändern und die Effizienz der Anlagen nachteilig beeinflussen. Dennoch werden erneuerbare Energien eine wichtige Energiequelle sein, weshalb Enel und Iberdrola als derzeitige Marktführer mehr Aufmerksamkeit verdienen. Noch immer sind deren Aktien weit entfernt von den Ständen der traditionellen Versorger.

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November 26, 2020 03:22 ET (08:22 GMT)