Berlin (Reuters) - Bundeskanzler Olaf Scholz beendet den wochenlangen Streit in der Ampel-Koalition über den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke mit einem Machtwort.

Der SPD-Politiker machte am Montag erstmals seit Antritt des Bündnisses von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch und ordnete an, die gesetzliche Grundlage für einen Weiterbetrieb aller drei noch laufenden Atommeiler bis längstens zum 15. April 2023 zu schaffen. Damit kam er der FDP mit einem möglichen Weiterbetrieb des AKW Emsland entgegen, während er in anderen Punkten Grünen-Forderungen erfüllte. Die FDP begrüßte die Entscheidung und Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen erklärte, auch er könne damit leben.

Scholz ordnete an, die gesetzliche Grundlage zu schaffen, "um den Leistungsbetrieb der Kernkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim 2 sowie Emsland über den 31.12.2022 hinaus bis längstens zum 15.4.2023 zu ermöglichen". Eine rasche Gesetzesänderung ist nötig, weil nach geltendem Recht alle drei Kraftwerke zum Jahresende vom Netz gehen müssten. Eine von Wirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck vorbereitete Kabinettsentscheidung, dies nur für die beiden süddeutschen Atommeiler zu ermöglichen, lag zuletzt auf Eis: Die FDP hatte auf eine Einbeziehung des AKW Emsland und Laufzeiten bis ins Frühjahr 2024 hinein bestanden. Im Gespräch war, die Gesetzesänderung noch diese Woche im Bundestag zu verabschieden.

AKW-BETREIBER BEGRÜSSEN ENTSCHEIDUNG

Die Energiekonzerne E.ON und RWE begrüßten als AKW-Betreiber die Entscheidung. RWE will nun rasch alle Vorbereitungen treffen, um einen Betrieb des AKW Emsland bis 15. April zu ermöglichen. Dies hatten die Grünen auf einem Bundesparteitag am vergangenen Freitagabend ausdrücklich abgelehnt. Die Befristung der Laufzeiten bis Mitte April 2023 entspricht dagegen der Forderung des zweitgrößten Koalitionspartners.

Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner begrüßte die Entscheidung des Kanzlers, die dieser mit einem Schreiben an Lindner, Habeck und Lemke publik machte. "Der Bundeskanzler hat nun Klarheit geschaffen", erklärte Lindner. "Die weitere Nutzung des Kernkraftwerks Emsland ist ein wichtiger Beitrag für Netzstabilität, Stromkosten und Klimaschutz. Der Vorschlag findet daher die volle Unterstützung der Freien Demokraten." FDP-Fraktionschef Christian Dürr erklärte, der Bundestag solle den Weg dafür rasch freimachen.

Bei den Grünen unterstrich Umweltministerin Steffi Lemke, dass es auch nach dem Scholz-Entscheid beim Atomausstieg bleibe. Vizekanzler Habeck sprach in der ARD von einer "unüblichen Lösung einer verfahrenen Situation", für die Scholz die "maximale Autorität" eingesetzt habe. Der Kanzler habe einen Weg gezeigt, "mit dem ich gut arbeiten und leben kann". Die Spitze der der Grünen-Fraktion nannte einen möglichen Weiterbetrieb des AKW Emsland "bedauerlich" und behielt sich vor, mit der Fraktion zu beraten, "wie wir mit der Entscheidung des Kanzlers umgehen". Grünen-Co-Chefin Ricarda Lang hob die Punkte hervor, die ihrer Partei wichtig sind: "Klar ist damit, dass keine neuen Brennstäbe beschafft werden und alle deutschen AKWs zum 15. April 2023 vom Netz gehen."

Der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, sprach von einem "klugen Kompromiss". Über die Einsatzreserve der AKW war lange gerungen worden. Habeck hatte erst nach Stresstests der Netzbetreiber vorgeschlagen, die süddeutschen AKW bis längstens Mitte April weiterlaufen zu lassen, um sie zur Stabilisierung des Stromnetzes heranziehen zu können. Anfangs hatten die Grünen einen Weiterbetrieb über 2022 hinaus gänzlich abgelehnt.

In dem Kanzler-Schreiben kündigt Scholz zudem ein "ambitioniertes Gesetz zur Steigerung der Energieeffizienz" an. Auch der von Habeck mit RWE vereinbarte Kohleausstieg 2030 im Rheinischen Revier solle gesetzgeberisch umgesetzt werden. Die Abmachung hatte auf dem Grünen-Bundesparteitag nur eine knappe Mehrheit erhalten, weil das Braunkohledorf Lützerath dennoch abgebaggert werden soll. Zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit wird die Bundesregierung laut Scholz zudem die Voraussetzung für den Zubau neuer, wasserstofffähiger Gaskraftwerke schaffen.

(Redigiert von Ralf Bode. Bei Rückfragen wenden Sie sich an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)

- von Holger Hansen und Alexander Ratz und Andreas Rinke