Von David Wainer

NEW YORK (Dow Jones)--Im Zuge des Social-Media-Hypes um Medikamente wie Ozempic und Mounjaro haben sich die Patientenaussagen nicht nur auf die beträchtlichen Auswirkungen auf ihre Taille konzentriert. Vielmehr stöhnen sie auch darüber, wie schnell viele die Pfunde wieder ansetzten, wenn sie die Injektionen stoppten. Das mag für die Patienten nicht ideal sein, aber für die Wall Street ist es eher Vor- als Nachteil. Nichts versetzt die Anleger in einen größeren Hype als ein Produkt, dessen Zielgruppe riesig ist - mehr als 40 Prozent der US-amerikanischen Erwachsenen sind fettleibig - und das zudem auf unbestimmte Zeit eingenommen werden muss.

Um eine echte Parallele zu dem jetzt beginnenden Goldrausch zu finden, muss man wahrscheinlich auf die Revolution der Cholesterinmedikamente zurückblicken, die in den 1990er Jahren begann. Mittel wie Lipitor und Crestor schufen eine neue Kategorie von Medikamenten und brachten ihren Herstellern Milliarden von US-Dollar ein. Der Markt war schlichtweg riesig - mehr als ein Drittel der erwachsenen US-Bürger kommt dafür in Frage - und Millionen von Menschen nehmen sie inzwischen seit Jahrzehnten ein. Seitdem gibt es zwar Generika, aber in seiner Blütezeit war Lipitor von Pfizer das meistverkaufte Medikament aller Zeiten und erzielte einen jährlichen Spitzenumsatz von 13 Milliarden Dollar.


   Mit vereinten Kräften gegen Adipositas und Diabetes 

Mittlerweile haben andere Blockbuster wie das Entzündungsmedikament Humira von Abbvie und das Krebsmedikament Keytruda von Merck & Co Lipitor in Bezug auf den jährlichen Bruttoumsatz in den Schatten gestellt. Aber diese Medikamente verlangen viel höhere Preise für einen kleineren Patientenstamm. Nun sagen Analysten der Wall Street, unter anderem von Barclays, voraus, dass die neuen Adipositas-Medikamente einen Jahresumsatz von mehr als 100 Milliarden Dollar erzielen könnten, was in eine der größten Medikamentenklassen aller Zeiten ausarten würde. Das wird nicht nur für Investoren und Patienten, sondern auch auf die Gesundheitsbudgets massive Auswirkungen haben.

Analyst Evan Seigerman von BMO Capital Markets geht davon aus, dass Mounjaro von Eli Lilly einen Jahresumsatz von über 50 Milliarden Dollar erzielt. Mounjaro ist zwar derzeit nur für Diabetes zugelassen, aber Eli Lilly bemüht sich um die Zulassung durch die US-Arzneimittelbehörde FDA auch für Fettleibigkeit. Zum Vergleich: Humira erreichte seinen Höhepunkt bei etwa 21 Milliarden Dollar, bevor das Präparat es in diesem Jahr mit billigeren Nachahmerprodukten zu schaffen bekam. Keytruda, das derzeit umsatzstärkste Medikament der Welt, dürfte einen Jahresumsatz von etwa 30 Milliarden Dollar erzielen, bevor der Patentschutz im Laufe dieses Jahrzehnts ausläuft. "Es gab so gut wie nie etwas Sicheres und Wirksames zur Behandlung von Fettleibigkeit", schwärmt Seigerman.

Die Aufregung wird durch wirklich beeindruckende Daten zu diesen Medikamenten, den so genannten GLP-1s, angeheizt. Sowohl Mounjaro als auch Wegovy, das den gleichen Wirkstoff wie das Diabetesmedikament Ozempic von Novo Nordisk enthält, können Patienten dazu bringen, mehr als 15 Prozent ihres Körpergewichts zu verlieren. Obwohl Experten die Medikamente im Allgemeinen als sicher einstufen, sind die langfristigen Auswirkungen der Einnahme noch nicht vollständig geklärt. Und die hohen Abnahmeraten bedeuten, dass fettleibige Menschen zum ersten Mal eine ernsthafte medizinische Alternative zur Operationen haben, bei denen etwa der Magen verkleinert wird. Da diese Medikamente jedoch ein Hormon imitieren, das wir produzieren, um unserem Körper zu signalisieren, dass wir satt sind, bedeutet das Absetzen der wöchentlichen Injektionen möglicherweise eine erneute Gewichtszunahme.


   Patienten müssen Lebenswandel drastisch ändern 

Devika Umashanker, medizinische Direktorin für Adipositasmedizin bei der Hartford Healthcare Medical Group, befürchtet, dass eine beträchtliche Anzahl von Patienten wieder zunimmt, wenn sie das Medikament absetzen. Das passiert vor allem, wenn sie keine wirklichen Änderungen an ihrer Ernährung und ihrem Sportprogramm vornehmen. Endokrinologin Priya Jaisinghani von der NYU Langone Health sagt ihren Patienten, dass das Absetzen des Medikaments ein bisschen so ist, als würde man nicht mehr ins Fitnessstudio gehen, nachdem man dreimal pro Woche Sport getrieben hat. "Natürlich besteht die Gefahr einer erneuten Gewichtszunahme, wenn man mit dem aufhört, was zur Gewichtsabnahme geführt hat." Beide Ärzte betonen, dass es möglich sei, die Medikamente abzusetzen und gleichzeitig einen Rückfall zu vermeiden, aber dies erfordert eine lebenslange Verpflichtung zur Änderung des Lebensstils und der Ernährung.

Die kommerziellen Möglichkeiten haben den Aktionären von Eli Lilly und Novo Nordisk, den beiden führenden Unternehmen, enorme Gewinne beschert. Der Börsenwert von Eli Lilly überstieg am Mittwoch die Marke von 400 Milliarden Dollar - ein Wert, den kein reines Arzneimittelunternehmen vorweisen kann. In dieser Woche teilte Novo Nordisk mit, dass es vorübergehend einige niedrigere Anfangsdosen von Wegovy in den USA zurückhalten werde, um angesichts der steigenden Nachfrage die Versorgung der derzeitigen Patienten sicherzustellen.


   Hohe Kosten sind zu beachten 

In der Zwischenzeit kalkulieren Arbeitgeber, Versicherer und die Regierung die möglichen Kosten. CEO Andrew Witty von Unitedhealth merkte kürzlich an, dass die Versicherer sich darüber im Klaren sein müssen, welche Patienten wirklich von diesen Medikamenten profitieren. Und auch die Patienten müssten sich dessen bewusst sein. Da diese Medikamente mehr als 10.000 Dollar pro Jahr kosten, wird es für viele von ihnen wegen der unerschwinglichen Zuzahlungen schwierig sein, diese Medikamente auf Dauer einzunehmen. Der hohe Preis könnte den ungleichen Zugang zur Behandlung einer Krankheit fördern, die vor allem bei Menschen mit geringem Einkommen weit verbreitet ist.

Medicare deckt immer noch keine Medikamente gegen Fettleibigkeit ab. Und ein kürzlich erschienener Artikel im "New England Journal of Medicine" warnt bereits. In dem hypothetischen Szenario, dass alle Medicare-Begünstigten mit Fettleibigkeit Wegovy verwendeten, würden die Kosten das gesamte Budget von Medicare Part D übersteigen. Und wenn nur 10 Prozent der fettleibigen Medicare-Patienten Wegovy zum jährlichen Nettopreis von etwa 13.600 Dollar einnähmen, würde dies Medicare laut der Studie fast 27 Milliarden Dollar pro Jahr kosten. Sollte der Listenpreis von Wegovy nicht um mehr als 40 Prozent nach unten gehen, stellten die Gesamtkosten des Medikaments die Vorteile, die sich für das US-Gesundheitssystem aus der Verringerung der Fettleibigkeit ergeben, in den Schatten. Das jedenfalls steht in einem Bericht des Institute for Clinical and Economic Review (ICER).

"Wenn man sein ganzes Geld für die Gewichtsabnahme ausgibt, hat man kein Geld für andere Dinge im Gesundheitswesen", stuft David Rind vom ICER die Lage ein. Die große Aufmerksamkeit, die Medikamente wie Ozempic auf Social-Media-Plattformen ergattern, angetrieben durch Erfahrungsberichte von normalen Menschen und Prominenten, zeigt, wie beliebt diese neue Klasse von Medikamenten ist. Auch die Wall Street fängt so langsam an Appetit auf die Präparate zu bekommen.

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May 05, 2023 09:23 ET (13:23 GMT)