LEIMEN/BERLIN/ESSEN (dpa-AFX) - Boden ist Lebensraum für Menschen, Tiere, Pflanzen und doch steht er im Vergleich zu Wasser und Luft nicht oft im Fokus der Öffentlichkeit. Derzeit allerdings rückt ein Gesetzentwurf der Bundesregierung unter der Überschrift "Mehr Bauland für mehr Wohngebäude" ihn in den Vordergrund. Der Beschluss des Kabinetts führt zu Kontroversen über die Frage, wie mit der endliche Ressource Boden umgegangen werden soll.

Für Zündstoff sorgt die im Entwurf enthaltene Verlängerung des zum Ende dieses Jahres auslaufenden befristeten Paragrafen 13 b im Baugesetzbuch. Mittels diesem können Kommunen unter bestimmten Bedingungen Bebauungspläne ohne Umweltprüfung aufstellen. Was Umweltschützer als "Zersiedlungsparagrafen" anprangern, ist aus Sicht vieler Gemeinden ein willkommenes Instrument, unkompliziert Flächen für dringend benötigten bezahlbaren Wohnraum ausweisen zu können.

Damit wird aus Sicht von Umweltschützern dem Flächenfraß Tür und Tor geöffnet. Sie ist ein schleichendes kaum wahrnehmbares, aber nicht minder folgenreiches Phänomen: Jeden Tag werden laut Umweltbundesamt in Deutschland 56 Hektar Boden bebaut, zu mehr als der Hälfte durch Wohnungsbau, Gewerbe Industrie, öffentliche Einrichtungen und zu einem Drittel für den Verkehr. Das entspricht 78 Fußballfeldern. Da ist es noch ein weiter Weg für den Bund, wie geplant bis 2030 den Flächenverbrauch auf weniger als 30 Hektar pro Tag zu senken und bis 2050 die EU-Vorgabe eines Netto-Null Flächenverbrauchs zu erfüllen.

Wenn der Entwurf des Baulandmobilisierungsgesetzes so durch Bundestag und Bundesrat ginge, wäre das aus Sicht von Christiane Kranz, Geschäftsführerin des NABU Bezirksverbandes Rhein-Neckar-Odenwald in Leimen, die "Vollkatastrophe". Damit würde der Arten- und Umweltschutz nicht mehr ausreichend gewürdigt, die Beteiligung der Öffentlichkeit reduziert. Zudem müssten die Kommunen keine Ausgleichsflächen mehr suchen. Die mit dem Flächenverbrauch einhergehende Versiegelung von Boden sei kaum revidierbar und töte das Leben in ihm ab.

Bislang habe der "Schnellbauparagraf" auch nicht den versprochenen Effekt gehabt. Denn nicht Mehrfamilienhäuser etwa für Flüchtlinge würden an die Peripherie von Ortschaften gebaut, sondern zu 85 Prozent Einzel- und Doppelhäuser. "Das hat mit günstigerem Wohnraum nichts zu tun und verstärkt den Donut-Effekt", bemängelt Kranz. Darunter versteht sie den Trend absterbender Innenstädte bei gleichzeitigem Wachstum an den Rändern - mit der teuren Folge für Kommunen, Doppel-Infrastruktur vorhalten zu müssen.

Der Städte- und Gemeindebund hingegen sieht Grenzen für das Wohnungsangebot in den Innenstadtbereichen. "Innen- vor Außenentwicklung - das ist leichter gesagt als getan", sagt der Städtebauexperte des Verbandes Norbert Portz. Auch in den Innenstädten seien schon aus Gründen des Klimaschutzes Frischluftschneisen, mehr Grün und Blau, unverzichtbar. Die letzten drei heißen Sommer hätten gezeigt, dass das Stadtklima vielerorts unerträglich wird und immer weitere Verdichtungen nicht die Lösung seien. Häufigere Starkregen führten in den versiegelten Innenstädten zu Überschwemmungen.

Die vom Städte- und Gemeindebund begrüßte Einbeziehung von Außenbereichsflächen in das beschleunigte Verfahren sei an enge Bedingungen geknüpft. "Die lassen einen Wildwuchs gar nicht zu", meint Portz. So sei das vereinfachte Verfahren nur für Zwecke der Wohnnutzung und bis zu maximal 10 000 Quadratmeter großen Flächen zulässig. Diese dürften nicht isoliert auf der grünen Wiese liegen, sondern müssten an bereits bebautes Gebiet angrenzen. Für Portz ist der Schlüssel zu gleichen Lebens- und Wohnverhältnissen ein Mehr an Dezentralisierung. "Dafür stehen die Chancen mit dem coronabedingten Trend zum Home-Office gerade nicht schlecht."

Aus Sicht des Bundesverbandes Boden in Essen nimmt die vereinfachte Regelung zwar für die Kommunen kurzfristig Druck aus dem Kessel. Langfristig würden aber neue Probleme für die Gesellschaft entstehen, denn Boden sei nicht vermehrbar, warnt Klaus Kruse von der Öffentlichkeitsarbeit des Verbandes. Neue Siedlungen entstünden gerade auf fruchtbaren Böden, die aber für die Landwirtschaft genutzt werden sollten. Böden seien Wasserspeicher und sorgten für Kühlung und Grundwasserschutz. Die Vielfalt der Bodenorganismen sei riesig: Eine Hand voll Boden enthalte mehr davon als es Menschen auf der Welt gebe - vom Regenwurm über Asseln bis hin zu winzigen Fadenwürmern. Die lockerten den Boden auf und verwandelten organisches Material in Humus. Kruse betont: "Boden ist nicht einfach nur Dreck."

Auch Umweltschützerin Kranz pflichtet bei: "Versiegelter Boden ist tot." Auch für die oberirdische Flora und Fauna habe der umstrittene Paragraf gravierende Folgen. Biotopverbünde und Populationsaustausch würden durch Zersiedlung erschwert. Darunter leide etwa der Steinkauz. Der Nabu sammelt derzeit Unterschriften gegen das "Aufweichen des Baugesetzes".

Was kann der fortschreitenden Versiegelung entgegengesetzt werden? Nabu-Frau Kranz und Bodenexperte Kruse raten zum Erhalt von Versickerungsflächen, zu für Wasser durchlässiger Pflasterung und zu Verzicht auf Schottergärten. Gebäude könnten behutsam aufgestockt werden. Weitere Empfehlungen: Dächer begrünen und gemeinsame Grünflächen statt Mini-Handtuch-Gärten anlegen./jug/DP/eas