Start-up-Ökosystem / "Chance nutzen, um gestärkt in die Zukunft zu
gehen" (FOTO)
Frankfurt am Main (ots) - Das Deutsche Börse Venture Network wurde 2015
gegründet, um Start-ups besser mit Wachstumskapital zu versorgen. Es erleichtert
Unternehmen von der frühen bis zur späten Wachstumsphase Zugang zu Kapital und
bietet dazu maßgeschneiderte Services. Am 11. Juni wird das Netzwerk fünf Jahre
alt. Im Interview erklärt Peter Fricke, der das Deutsche Börse Venture Network
leitet, wie sich das Ökosystem entwickelt hat, wo Start-ups weiterhin
Unterstützung brauchen und welche Auswirkungen die Corona-Pandemie hat.

Herr Fricke, das Deutsche Börse Venture Network wurde 2015 in enger Abstimmung
mit dem Bundeswirtschaftsministerium gestartet, um die Finanzierung von
Wachstumsunternehmen in Deutschland zu stärken. Was hat sich seitdem getan?

Als wir 2015 angetreten sind, eine vorbörsliche Plattform für
Wachstumsfinanzierung aufzubauen, war der Standort vor allem durch e-Commerce
Unternehmen und erhebliche Finanzierungslücken geprägt. Seitdem hat sich im
Ökosystem eine ganze Menge getan. Die Business-Modelle sind komplexer geworden
und vor allem in den Bereichen Software/Analytics, Fintech und Mobilität genießt
Deutschland internationale Aufmerksamkeit. Auch Kapital ist zunehmend vorhanden,
die Venture Capital (VC) Finanzierungen in Deutschland haben sich in den letzten
fünf Jahren mit rund 6 Mrd. Euro mehr als verdoppelt, jedoch nicht zuletzt durch
ausländische Kapitalgeber. Zudem gab es viele positive Impulse, sowohl von
Seiten der Wirtschaft als auch durch die Politik, etwa über die dritte
Fondsgeneration des High-Tech Gründerfonds oder die Neugründung der KfW Capital.
Insgesamt zeigt sich, dass die Aufmerksamkeit der Politik für die Gründerszene
in Deutschland sehr stark gestiegen ist. Schließlich hat das nun viele Jahre
andauernde positive Geschäftsklima auch zu vermehrten Exits bei Start-ups
geführt. Viele dieser ehemaligen Gründer sind heute wieder als Business Angel
oder VC-Investor aktiv - so wird das Geld wieder zurück in den Kreislauf
gegeben. Gerade für Gründer in frühen Finanzierungsphasen ist also viel
erreicht
worden.

Welche Bilanz ziehen Sie nach fünf Jahren Venture Network?

Wir sind 2015 mit knapp 70 Mitgliedern gestartet und seitdem sehr rasant
gewachsen. Heute umfasst das Deutsche Börse Venture Network über 200 Start-ups
und 400 Investoren, insgesamt also über 600 Mitglieder. Als Plattform für
Wachstumsfinanzierung begleiten wir die Unternehmen in unserem Netzwerk während
der gesamten Reise ihres Wachstumspfades. Die 200 Wachstumsunternehmen aus
unserem Netzwerk sind mittlerweile in über 30 Ländern aktiv und beschäftigen
dabei über 25.000 Mitarbeiter. Seit 2015 haben die Unternehmen über 3,6 Mrd.
Euro an Kapital aufgenommen. Auf Seite der Investoren ist es uns gelungen, die
gesamte Bandbreite der relevanten Investorenklassen abzubilden. So umfasst unser
Netzwerk Zugang zu über 400 Investoren aus den Bereichen Venture Capital,
Private Equity, Venture Debt, Family Offices und Corporates. Und was mich
besonders freut ist, dass bereits sieben Unternehmen aus unserem Venture Network
an die Frankfurter Börse gegangen sind und ihren Wachstumspfad über den
Kapitalmarkt weiter ausbauen konnten. Mit weiteren sehr vielversprechenden
Börsen-Kandidaten sind wir in engem Kontakt. Ein weiterer Meilenstein war, dass
wir unser Netzwerk, das ursprünglich auf spätphasige Unternehmen ausgerichtet
war, seit 2017 auch für frühphasige Wachstumsunternehmen, ab einem Jahresumsatz
von mehr als einer Million Euro, geöffnet haben. Das starke Interesse spiegelt
sich dabei auch in unseren Investoren-Roadshows wider, über die wir in den
vergangenen Jahren unsere Start-ups mit Investoren zusammengebracht haben -
übrigens nicht nur in Europa, sondern auch in den USA und in China.

Was hat sich auf der Investorenseite verändert?

Grundsätzlich kann man sagen, dass gerade die größeren Finanzierungsrunden in
Deutschland fast ausschließlich von Investoren aus den USA oder dem asiatischen
Raum gestemmt werden, wenngleich auch in Deutschland zunehmend Kapital vorhanden
ist. Gerade in den letzten Jahren sind in Deutschland viele neue VC-Fonds
hinzugekommen, die primär auf frühphasige Start-ups spezialisiert sind. Auch
Co-Investments nehmen zu, d. h. Kapitalsammelstellen, Versicherungen und Family
Offices sind verstärkt an direkten Beteiligungen an jungen
Technologieunternehmen interessiert, wir merken allerdings, dass im Vergleich zu
anderen Investorengruppen hier noch mehr Expertise aufgebaut werden muss. Weiter
beobachten wir eine größere Bereitschaft der Investoren, digitale Formate
einzusetzen, um neue potenzielle Beteiligungen zu identifizieren, bis hin zur
Nutzung von Plattformen für Sekundärtransaktionen, gerade in den USA. Ich gehe
davon aus, dass sich diese Tendenzen durch die Corona-Pandemie weiter verstärken
werden. Dies sind beides Entwicklungen, die wir als Venture Network eng
begleiten.

Stichwort Corona-Pandemie: Welchen Einfluss hat die auf die
Wachstumsfinanzierung?

Corona trifft das Start-up-Ökosystem sehr stark. Besonders hart ist die aktuelle
Situation natürlich für Start-ups in den Bereichen Travel, Real Estate und
Sports/Wellness. Für Unternehmen dieser Branchen ist es besonders schwierig,
gerade wenn sie die für 2020 geplante Finanzierungsrunde nicht zurückstellen
oder etwa durch eine kleinere interne Runde mit Bestandsinvestoren ersetzen
können. Entscheidend sind hier jetzt die nächsten Monate, in denen wir
hoffentlich keinen Ausfall von kleinen oder großen Hoffnungsträgern zu beklagen
haben. Hier kann die Corona-Matching-Fazilität von KfW Capital und dem
europäischen Investitionsfonds EIF einen wichtigen Beitrag leisten. Was wir
außerdem sehen: Die Wagniskapitalgeber unterstützen aktuell noch intensiver ihre
Portfoliounternehmen und sind in noch engerem Kontakt mit ihren eigenen
Geldgebern. Investments in neue Beteiligungen verzögern sich dadurch erheblich
oder werden im schlimmsten Fall komplett ausgesetzt. Viele Investoren erwarten
daher, dass sich die Zahl neuer Investments im zweiten Quartal um fast die
Hälfte reduzieren wird. Dies war eines der zentralen Ergebnisse unserer kürzlich
veröffentlichten Befragung, dem VC Investoren-Sentiment. Neue
Finanzierungsrunden sind also nicht unmöglich, aktuell aber deutlich härter.

Was raten Sie Start-ups in der aktuellen Situation?

Wichtig ist vor allem, dass die Fundraising-Strategie und der Zeitplan an die
aktuelle Situation angepasst werden. Für Gründer ist es essenziell, dass sie die
Tragweite der Situation verstehen. Hierzu sollten sie die Auswirkungen auf das
eigene Venture, auf VC-Investoren, aber auch auf die Gesellschaft und Wirtschaft
reflektieren. Dafür ist der persönliche Kontakt zu Investoren und
Multiplikatoren entscheidend. Sie müssen ihre Anpassungen am Business-Plan
erklären, das zeigt Investoren, dass sie die Situation verstanden haben und
reagieren. Zudem finden Investoren-Pitches zurzeit fast ausschließlich virtuell
statt. Dazu haben wir im Venture Network verschiedene Online-Formate gestartet,
bei denen es auch darum geht, Start-ups bestmöglich auf diese veränderte
Situation vorzubereiten. Außerdem beobachten wir eine erhöhte Nachfrage nach
individueller Beratung bei uns im Netzwerk.

Rächt es sich jetzt, dass wir in Deutschland vor lauter Risikoaversion keine
ausgeprägte Gründerkultur haben?

Beim Thema Gründerkultur besteht hierzulande definitiv noch Luft nach oben. Das
fängt in den Schulen und Universitäten an. Wichtig ist, dass wir heute bereits
bei jungen Leuten die richtigen Impulse setzen, damit sie sich mit wichtigen
Themen wie Unternehmensgründung und auch der Funktion des Kapitalmarkts
auseinandersetzen. Aber wenn es um Risikoaversion geht, sind nicht nur die
Gründer wichtig - es braucht selbstverständlich auch mutige und gut ausgebildete
Mitarbeiter, die bereit sind, an einer zukunftsweisenden Technologie
mitzuarbeiten und auf lukrative und vermeintlich sichere Jobangebote aus dem
Banken-, Automobil- und Beratungsbereich zu verzichten. Hier müssen mehr Anreize
für junge Leute geschaffen werden, damit sie sich für einen Start bei jungen
Technologieunternehmen entscheiden, zum Beispiel über attraktive
Mitarbeiterbeteiligungsprogramme. Sie müssen noch stärker an der Entwicklung und
am Erfolg teilhaben. Die Vorhaben zur Verbesserung dieser Rahmenbedingungen im
jüngst verabschiedeten Konjunktur- und Investitionsprogramm der Bundesregierung
ist daher ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Hier kommt es jetzt
auf eine wirkungsvolle Ausgestaltung und Umsetzung an.

Damit lässt sich an der aktuellen Krise doch gut ablesen, wie stabil unser
Ökosystem wirklich ist.

Nein, das sehe ich nicht so. Die Corona Krise ist so umfassend, wie keine Krise
vorher. Selbst sehr gut etablierte Start-ups kommen zum Teil an die Grenzen - da
geht es diesem Bereich der Wirtschaft nicht anders als anderen Playern in
Industrie und Mittelstand. Das, was in den letzten Jahren geschaffen wurde, ist
es aber definitiv wert, erhalten zu bleiben. Wir sollten nicht den gleichen
Fehler machen, den wir in und nach der Dotcom-Krise begangen haben. Denn da
haben wir es verpasst, in Deutschland einen Nährboden für innovative
Technologieunternehmen zu schaffen. Nun sind einzelne amerikanische
Tech-Giganten mehr wert als der gesamte DAX und US-Start-ups fliegen
Nasa-Astronauten ins All. Das sind die Dimensionen, in denen wir denken müssen.
Wir müssen das vorhandene Potential jetzt nutzen und fördern - the sky is no
longer the limit!

Mit dem Deutsche Börse Venture Network leistet die Deutsche Börse einen
wesentlichen Beitrag zur Stärkung des Ökosystems für Wachstum in Deutschland.
Mit einem speziell entwickelten und auf Gründer und Investoren abgestimmten
Angebot aus Investorenveranstaltungen, Trainings und Networking-Events möchte
das Wachstumsnetzwerk einen spürbaren Unterschied für die
Finanzierungs-situation von jungen, aufstrebenden Unternehmen in Deutschland und
Europa erreichen. Mehr Informationen finden sie hier
(https://www.venture-network.com/dbvn-de/) .

Pressekontakt:

Josefin Altrichter
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Weiteres Material: https://www.presseportal.de/pm/31512/4619092
OTS:               Deutsche Börse AG
ISIN:              DE0005810055