Themen:
  • Digitalisation Digitalisation
  • Europe (ex Germany) Europe (ex Germany)
  • Banking Banking
  • Finance Finance
  • Company Company
  • Economy Economy
  • Sustainability Sustainability
  • Strategy Strategy
Nachricht Berlin, 31. August 2021
Rede von Christian Sewing anlässlich des Wirtschaftstags 2021

- Es gilt das gesprochene Wort -


Sehr geehrte Damen und Herren,

der Titel unseres Panels passt voll und ganz. Die Frage ist nicht, ob wir einen 'Neustart' nach Covid brauchen. Die Frage ist, wie er aussehen muss, damit er gelingt.

Was ist die Herausforderung? Ohne Neustart wird es nicht gehen. Denn um Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand in Europa zu sichern und gleichzeitig den Klimawandel zu bekämpfen, sind gigantische Investitionen notwendig.

Die Frage ist: Wer kann - und wer soll - sie stemmen? Und: Wie können wir die Voraussetzungen dafür schaffen, dass wir effizient und effektiv investieren? Und dass es schnell geht?

Denn eins ist klar: Wir haben es mit einem Wettlauf zu tun - einem Wettlauf entlang zwei großer Trends:

Die Digitalisierung hat durch die Pandemie nur noch weiter an Tempo gewonnen. Hier liegen wir aber im Geschäft mit Konsumenten gegenüber den USA und China bereits weit zurück. Und wir müssen jetzt aufpassen, dass wir nicht auch im industriellen Bereich den Anschluss verlieren. Wir haben vielleicht kein Silicon Valley, aber wir haben einen pulsierenden und innovativen Mittelstand. Das ist unser einzigartiger Wettbewerbsvorteil, den wir nicht nur schützen, sondern ausbauen müssen.

Zumindest beim zweiten Megathema Nachhaltigkeit sieht es derzeit noch besser aus. Bei vielen grünen Technologien haben Deutschland und Europa einen Vorsprung. Aber machen wir uns nichts vor: Die globale Konkurrenz ist aufgewacht. Auch hier müssen wir beschleunigen, wenn wir unsere Chancen nicht verspielen wollen.

Was also ist unsere Antwort?

Es gibt viele Aspekte, aber einer ist von besonderer Bedeutung: Wir müssen privatwirtschaftliche Mittel im größtmöglichen Umfang mobilisieren. Staatliche Investitionen können hier zwar als Katalysator dienen - indem sie die Infrastruktur ausbauen und gezielt Industrien fördern, die für unsere zukünftige Wettbewerbsfähigkeit entscheidend sind. Doch letztlich wird es vor allem darauf ankommen, dass wir privates Kapital in Europa halten und nach Europa lenken. Hier sind uns die Amerikaner weit voraus - sowohl was die Tiefe als auch die Breite ihres Kapitalmarkts angeht.

Hier müssen wir dringend aufholen - mit leistungsfähigen Banken und deutlich besseren Marktbedingungen. Vier Faktoren sind dafür entscheidend, die endlich viel stärker auf die politische Agenda gehoben werden müssen:

Erstens brauchen wir einen echten Finanzbinnenmarkt in Europa. Ich würde so weit gehen zu sagen, dass dieser Aspekt von existenzieller Bedeutung für Europa ist. Ohne einen integrierten europäischen Kapitalmarkt wird es keinen Green Deal geben. Und was wir oft übersehen: Auch staatliche Investitionen lassen sich im Zusammenspiel mit einem stärkeren privaten Kapitalmarkt deutlich effizienter steuern.

Zweitens müssen wir endlich die kapitalgedeckte Altersvorsorge stärken. Damit generieren wir nicht nur Mittel für Investitionen, wir verbinden auch den Wohlstand der Menschen so noch stärker mit dem Erfolg unserer Unternehmen - und arbeiten gleichzeitig gegen drohende Altersarmut. Das wiederum wird auch die soziale Marktwirtschaft insgesamt stärken.

Drittens müssen wir die richtigen Prioritäten bei der Regulierung setzen. Es war wichtig, dass wir unser Bankensystem in den vergangenen gut zehn Jahren sicherer gemacht haben. Nun müssen wir aber auch im Blick haben, wie wir die Transformation der Wirtschaft begleiten können. Deshalb sollten wir beispielsweise nicht gerade jetzt Kapitalvorschriften einführen, die den europäischen Wirtschaftsstrukturen unzureichend gerecht werden- Stichwort Basel IV. Soziale Marktwirtschaft heißt eben nicht, dass Regulierung der lenkende Faktor für die Wirtschaft werden sollte.

Und viertens müssen wir so bald als möglich wieder zu einem normaleren Zinsumfeld kommen. Die Vereinigten Staaten haben nie Negativzinsen eingeführt. Während die Banken der Eurozone seit 2014 mehr als 30 Milliarden Euro an Negativzinsen an die EZB gezahlt haben, erhielten die US-Banken in derselben Zeit gut 130 Milliarden Dollar an Guthabenzinsen von der Federal Reserve. Wir sprechen also von einem Delta von mehr als 150 Milliarden Dollar an Vorsteuergewinn! Heute sehen wir in den USA nicht nur leistungsfähigere Banken, sondern auch einem enormen Wirtschaftsaufschwung, von dem wiederum Pensionskassen und somit die Menschen profitieren.

Um Europa schnell fit für die zwanziger Jahre zu machen, braucht es aber nicht nur mehr Investitionen, sondern auch eine andere Haltung. Was meine ich damit?
  • Wir müssen lernen, wieder einfach, schnell und mutig zu sein, anstatt langsam, kompliziert und übervorsichtig.
  • Wir müssen europäischer und größer denken, anstatt in die Kleinstaaterei zurückzufallen - denn nur dann werden wir auch die Vorteile und Errungenschaften Europas wirklich nutzen können.
  • Wir müssen endlich akzeptieren, dass wir in einen harten weltweiten Wettbewerb um Wohlstand und Technologieführerschaft stehen. Und dessen Ausgang wird darüber entscheiden, wo wir in 50 oder 100 Jahren als Volkswirtschaft und somit auch als Gesellschaft stehen werden.

Kurzum: Deutschland muss seiner Rolle gerecht werden: Wir sind die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt, wir sollten uns auch so verhalten und uns nicht scheuen, eine starke Führungsrolle in Europa zu übernehmen. Und das heißt auch: Wir müssen die Stabilität, also auch die Finanzstabilität, Europas immer im Blick haben.

Wir müssen den Wettbewerb annehmen, statt uns vor ihm zu schützen; in den Wohlstand investieren, statt ihn zu konservieren; Europa stärken, statt es mit komplizierten Regeln zu überfrachten.

Lassen Sie es mich deutlich sagen: Ich bin zutiefst von unserem Potenzial in Deutschland und Europa überzeugt. Insbesondere in Deutschland sehe ich großartige Voraussetzungen. Wir brauchen jetzt aber den Fokus, die Klarheit, den Willen und die Führung, um die nötigen Schritte umzusetzen.

Bei alledem gibt es jedoch eine Conditio sine qua non, meine Damen und Herren - eine Bedingung, ohne die es nicht geht:

Wir müssen die Corona-Pandemie hinter uns lassen, und dafür gibt es nur einen Weg: impfen, impfen, impfen. Und das nicht nur in den Industrieländern, sondern weltweit. Jeder Euro, den wir dafür ausgeben - gerade auch in ärmeren Ländern - ist gut angelegt.

Nun aber freue ich mich auf die Worte von Christian Lindner und dann auf unsere Diskussion darüber, wie uns der Neustart am besten gelingen kann. Vielen Dank.

Weitere Links zum Thema

Wirtschaftstag 2021

Wirtschaftsrat Deutschland

Wie hilfreich war der Artikel?

Wählen Sie Sterne aus, um eine Bewertung abzugeben

Bewerten
Erfolgreich
Fehler
Kontakt überspringen
  • 0 Bewertung(en)
  • 0 Gefällt mir
  • Teilen

Attachments

  • Original document
  • Permalink

Disclaimer

Deutsche Bank AG published this content on 31 August 2021 and is solely responsible for the information contained therein. Distributed by Public, unedited and unaltered, on 01 September 2021 07:01:02 UTC.