Von Jon Sindreu

LONDON (Dow Jones)--Die zuständigen Behörden in den USA scheinen an einfache Lösungen zu glauben, wenn Probleme wie unlängst bei der Silicon Valley Bank auftauchen: Regionale Kreditinstitute fusionieren und werden dann genauso streng reguliert wie Großbanken. Der Haken an der Sache ist allerdings, dass auch der Bankenriese Credit Suisse spektakulär gescheitert ist.

Die Schweizer Regierung unterstützte in diesem Monat eine parlamentarische Untersuchung, um den Verkauf der Credit Suisse an ihren Hauptkonkurrenten UBS detailliert zu beleuchten. Bereits am kommenden Montag soll dieser abgeschlossen sein. Die Fusion wurde von den Behörden am dritten März-Wochenende in aller Eile eingefädelt. Sie mussten befürchten, dass die Credit Suisse andernfalls in der darauf folgenden Woche durch die massive Einlagenflucht kollabieren würde.

Das Verfahren könnte weitreichende Folgen haben. Nach dem Crash von 2008 haben Regulierungsbehörden weltweit das so genannte Basel-III-Regelwerk eingeführt, um das Risiko der Kreditgeber zu begrenzen. In den USA wurden die Regeln für Regionalbanken unter der Trump-Regierung aufgeweicht, doch die Schlupflöcher sollen nun geschlossen werden. Außerdem könnten die Regulierungsbehörden die Kapitalanforderungen für große US-Banken um etwa 20 Prozent anheben.

Die Frage ist nur: Wenn schon die Credit Suisse am Rande des Zusammenbruchs stand, obwohl sie alle aufsichtsrechtlichen Zielvorgaben übertraf, was ist dann der Sinn solcher Vorschriften?

Basel III sollte Banken, die gerne das große Rad drehen, in "langweilige" Anlagen lenken. Höhere Kapitalkosten bedeuteten eine geringere Rentabilität, aber eine geringere Ausfall-Wahrscheinlichkeit bedeutete auch ein geringeres Risiko. Doch obwohl die Eigenkapitalrendite der Banken in den Industrieländern von etwa 15 Prozent Mitte der 2000er Jahre auf einen Wert von 10 Prozent gefallen ist, ist der Bankensektor in Bezug auf die Volatilität fast so exponiert wie der Technologiesektor. Das deutet darauf hin, dass die Anleger ein ziemlich hohes Risiko eingehen.

Das Beispiel der Credit Suisse bringt es auf den Punkt. Wenige Tage vor dem Einschreiten der Behörden behauptete die Geschäftsleitung, die Liquiditätsdeckungsquote - hochwertige Vermögenswerte, die verkauft werden können, um Abflüsse für 30 Tage zu decken - liege bei 150 Prozent und damit weit über der aufsichtsrechtlichen Mindestanforderung von 100 Prozent. Aus Dokumenten, die den Anlegern zur Verfügung gestellt wurden, geht hervor, dass die Schweizerische Nationalbank der Bank in zwei Runden Notliquidität in Höhe von insgesamt 70 Milliarden Schweizer Franken zur Verfügung gestellt hat.

Selbst wenn die flüchtenden Einleger diesen gesamten Puffer in weniger als einer Woche aufgezehrt hätten, hätte die Credit Suisse theoretisch immer noch Vermögenswerte verkaufen und Verluste auffangen können. Ihre Kernkapitalquote betrug Ende vergangenen Jahres 14,1 Prozent und war damit eine der höchsten unter den Spitzenbanken, nachdem die Bank im November Aktien im Wert von 4,3 Milliarden US-Dollar verkauft hatte.

Auch die spanische Banco Popular erfüllte die Liquiditäts- und Kapitalquoten, bevor die Behörden von ihren Abwicklungsbefugnissen Gebrauch machten und sie 2017 für nur einen Euro an die Banco Santander verkauften.

In beiden Fällen wurden AT1-Anleihen voll abgeschrieben, wobei sich die Credit Suisse dadurch auszeichnete, dass die Aktieninhaber nicht alles verloren haben.

AT1-Anleihen wurden von den europäischen Behörden nach 2008 eingeführt, um Kreditinstituten automatisch aus der Patsche zu helfen, wenn ihr Eigenkapital unter die aufsichtsrechtlichen Vorgaben fällt, damit sie zumindest weiterarbeiten können. Stattdessen sind sie zu einem Mittel geworden, um die Bücher regelkonformer Banken zu bereinigen, nachdem die Behörden bereits beschlossen haben, sie zu verpfänden, selbst wenn ihre Probleme mit der Liquidität und nicht mit dem Kapital zu tun haben. Dies ist das zentrale Argument einer Klage, die von der Anwaltskanzlei Quinn Emanuel Urquhart & Sullivan koordiniert wird und die Anleihegläubiger gegen die Schweizer Aufsichtsbehörden anstrengen.

Es ist deshalb an der Zeit einzugestehen, dass Basel III einfach nicht so funktioniert wie beabsichtigt.

Vielleicht können selbst große Finanzpolster eine zerstörerische Panik nicht mehr aufhalten, wenn eine Bank ihren Ruf erst einmal ruiniert hat. Schlimmer noch: Jedes Mal, wenn die aufsichtsrechtlichen Quoten angehoben werden, werden sie zu einer neuen Linie, unterhalb derer Angst gerechtfertigt ist. Die Banken haben sich freiwillig weit über ihre geforderten individuellen Ziele hinaus bewegt, die wiederum höher angesetzt sind als die Basel-III-Quoten.

Eine andere Möglichkeit wäre gewesen, dass Credit Suisse und Banco Popular weiter hätten dahindümpeln dürfen. Doch die Behörden hielten diese Option für eine zu große Gefahr für die Finanzstabilität. Wenn dem so ist, werden sie möglicherweise nie zulassen, dass die Schutzmaßnahmen von Basel III voll zum Tragen kommen. Obwohl die Banken nach Jahren der Fehlentscheidungen unrentabel waren, waren sie noch nicht insolvent.

Das globale Bankensystem ist heute viel sicherer als noch vor anderthalb Jahrzehnten, aber die Willkür der Regulierungsbehörden ist ein weiterer Grund für Anleger, sich trotz der niedrigen Bewertungen von Banken fernzuhalten. Die europäischen Bankaktien werden immer noch unter ihrem Buchwert gehandelt, aber das Problem ist am deutlichsten auf dem 250 Milliarden US-Dollar schweren AT1-Markt. Der Nettowert der Vermögenswerte des Invesco AT1 Capital Bond ETF ist im Vergleich zu vor drei Monaten um 10 Prozent gesunken.

Experten in der Schweiz und im Ausland überlegen nun, ob Basel III geändert werden muss. Das Argument könnte sein, dass die regulatorischen Quoten erhöht werden sollten, oder umgekehrt, dass sie gesenkt werden sollten und den Regierungen ein noch größerer gesetzlicher Handlungsspielraum eingeräumt wird. Die Liquiditätsdeckungsquoten müssen feiner abgestimmt werden, um den Gefahren einer flüchtigen Einlagenbasis besser Rechnung zu tragen. Vielleicht sollten auch alle Einlagen versichert werden.

Eines ist jedoch klar: Anleger können beim gegenwärtigen Stand der Dinge den Kennzahlen, die die finanzielle Gesundheit der Banken anzeigen sollen, nicht trauen. Und das ist ein systemisches Problem.

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June 09, 2023 04:20 ET (08:20 GMT)