Von Rochelle Toplensky

LONDON (Dow Jones)--Der Neujahrsvorsatz der Credit Suisse für ein stabiles und langweiliges Jahr 2022 ist bereits in die Hose gegangen. Antonio Horta-Osorios überraschender Rücktritt übers Wochenende von der Spitze des angeschlagenen Kreditinstituts lässt den Verdacht aufkommen, dass sein Abgang nicht nur an den von ihm genannten Verstöße gegen Corona-Quarantäneregeln gelegen hat. Der Außenseiter hatte versprochen, die dringend benötigte Umstrukturierung der Kultur des Schweizer Geldhauses voranzutreiben. Sein Ausstieg setzt seinen Nachfolger Axel Lehmann unter Druck, zu zeigen, dass der Wandel weitergehen wird.

Viele Anleger hatten erwartet, dass Horta-Osorio seine beiden Verstöße gegen die Covid-19-Quarantänevorschriften mit einer Entschuldigung und möglicherweise einer Geldstrafe oder anderen kleinen Sanktionen überstehen würde. Sein Abgang könnte bedeuten, dass der Verwaltungsrat demonstrieren will, dass Regelverstöße nicht toleriert werden, aber es gibt noch eine beunruhigendere Interpretation. Die Vorfälle boten wohl eine Gelegenheit, jemanden loszuwerden, der das Leben unangenehm machte.


   Neuer starker Mann will Kurs des Vorgängers beibehalten 

Der portugiesische Banker hat sich bei der Sanierung der britischen Lloyds Banking Group nach der Finanzkrise 2008 einen Ruf als zupackende Führungskraft erworben. Im April vergangenen Jahres kam er zur Credit Suisse, um das Unternehmen zu sanieren, das von einem Spionageskandal und großen finanziellen Verlusten durch die Affären Archegos und Greensill schwer getroffen wurde. Horta-Osorio übernahm die Führung und zog eine Reihe von personellen Veränderungen durch, darunter die Aufnahme von Axel Lehman in den Verwaltungsrat. Im November skizzierte der scheidende Chairman eine neue Strategie für die Bank mit dem vorrangigen Ziel, die Risikokultur zu stärken und gleichzeitig den "unternehmerischen Geist" zu bewahren. Er warnte auch davor, dass es keine schnellen Lösungen gäbe, sondern nur eine Menge Arbeit. Einige hatten auf drastischere Maßnahmen gehofft. Der neue starke Mann an der Spitze des Finanzkonzerns will nach eigener Aussage den derzeitigen Kurs beibehalten.

Zum Leidwesen der internationalen Investoren ist Lehmann eine weniger bekannte Größe als sein Vorgänger. Er hatte über ein Jahrzehnt lang leitende Positionen bei der Konkurrenzbank UBS inne und war fast doppelt so lange bei der Zurich Insurance tätig, verfügt aber nicht über direkte Erfahrung darin, die Umstrukturierung einer Bank zu leiten. Die derzeitige Strategie bietet nur wenige Möglichkeiten, ihre künftigen Fortschritte objektiv zu messen, abgesehen von der Abwesenheit von Krisen.


   Lehman muss Anleger von eigenem Führungsstil überzeugen 

Der aktuelle Rücktritt zählt vielleicht nicht als Krise, wirft aber unangenehme Fragen auf, die für die Bank schwer zu beantworten sind. Die Aktien gaben zum Wochenauftakt in Europa um etwa 2 Prozent nach und werden weiterhin für etwa die Hälfte ihres Buchwerts gehandelt. Die Anleger könnten einen ersten Eindruck davon gewinnen, wie Lehmann mit den Ergebnissen eines neuen Berichts über die Greensill-Affäre umgeht, auch wenn seine Möglichkeiten durch den anhaltenden Rechtsstreit um die Rückforderung von Geldern begrenzt sein könnten. Wenn dem so ist, muss er andere überzeugende Wege finden, um zu zeigen, dass die Bank immer noch auf dem richtigen Weg ist.

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January 18, 2022 02:59 ET (07:59 GMT)