Von Stephen Wilmot und Telis Demos
NEW YORK (Dow Jones)--Mit der Credit Suisse haben die Anleger soeben einen ersten, hässlichen Einblick in die Folgen des Scheiterns einer großen globalen Bank in der Zeit nach der Finanzkrise 2008 erhalten. UBS hat sich am Wochenende in einem historischen Deal, den die Schweizer Aufsichtsbehörden vermittelten, zum Kauf ihres heimischen Rivalen bereiterklärt. Die Aktionäre der Credit Suisse erhalten UBS-Aktien, die vor der Börseneröffnung am Montag etwa 3 Milliarden Franken wert waren. Die Credit Suisse hatte Ende vergangener Woche einen Marktwert von rund 8 Milliarden Dollar und einen materiellen Buchwert von 45 Milliarden Dollar.
So ist die erste Lehre daraus, dass die letztere Zahl, die von den Anlegern als eine Art Anker für den Wert einer Bank verwendet wird, gar nicht so greifbar ist. UBS übernimmt die Credit Suisse zu einem Preis von 7 Prozent des materiellen Buchwerts - ein Wert, der dem Käufer nach Benjamin Grahams zeitlosem Ausspruch eine enorme "Sicherheitsmarge" bietet. Theoretisch klettert der materielle Buchwert pro Aktie des Erwerbers durch die Übernahme um 74 Prozent massiv nach oben.
Dennoch hatte UBS Magengrimmen, und griff nur zu, als die Schweizer Behörden die Bewertung stützten. UBS hat die ersten 5 Milliarden Schweizer Franken aller Buchwertabschreibungen zu stemmen. Danach springt dann die Schweizer Regierung bei den nächsten 9 Milliarden Franken in die Bresche. Sollten die Verluste noch größer ausfallen, werden sie zwischen den Parteien aufgeteilt.
Dies ist insofern bemerkenswert, als der Wert der Vermögenswerte der Credit Suisse hier nicht die Hauptsorge war, wie es vielleicht in der Bankenkrise von 2008 der Fall war. Damals hatten sich die Banken mit toxischen, durch Immobilien besicherten Wertpapieren eingedeckt. Das unmittelbare Problem der Credit Suisse besteht darin, dass sie Kunden verlor, was zu einer Liquiditätskrise führte. Der von UBS ausgehandelte Deal verrät jedoch, dass sie sich große Sorgen macht, dass ihr Konkurrent ebenfalls zahlungsunfähig ist und seine Verbindlichkeiten höher sind als seine Vermögenswerte.
"Die wirkliche Herausforderung ist der Abbau der Investmentbanking-Aktivitäten", sagte UBS-Chef Ralph Hamers fest. Die aktuelle Lage lässt sich folgendermaßen auf den Punkt bringen: UBS könnte erkennen, dass der theoretische Buchwert der Credit Suisse in Höhe von 45 Milliarden Dollar - das Ergebnis von rund 571 Milliarden Dollar Gesamtaktiva abzüglich 522 Milliarden Dollar Verbindlichkeiten und einigen Milliarden immaterieller Vermögenswerte - im Mix verloren geht, während die Bilanz allmählich schrumpft.
Anleger reagierten zunächst panisch
Für die UBS-Aktie wird entscheidend sein, wie sich diese Rechnung in den nächsten Jahren entwickelt. Die erste Reaktion der Anleger war, das Schlimmste zu befürchten. Bei der Eröffnung zum Wochenauftakt büßte der Marktwert der UBS um fast 8 Milliarden Dollar ein, was weit über der Grenze von 5,4 Milliarden Dollar liegt, ab der die staatliche Unterstützung greift. Bis zum Mittag hatten sich aber die Gemüter in Europa beruhigt, und der Rückgang belief sich auf etwa 2,9 Milliarden Dollar.
Eine weitere Lehre aus diesem Deal ist, dass Anleihen bei einer Bankenrettung riskanter sein können als Aktien, wodurch die traditionelle Finanzhierarchie auf den Kopf gestellt wird. Während die Aktionäre der Credit Suisse einige UBS-Aktien erhalten, werden die Inhaber der sogenannten Bail-in-Anleihen oder AT1-Anleihen - Wertpapiere, die von den Aufsichtsbehörden nach 2008 entwickelt wurden, um Verluste in einer Krise aufzufangen - leer ausgehen. In Scharen flüchteten zuletzt die Anleger aus den Bail-in-Anleihen der Banken in ganz Europa.
Das Kuriose an der Pleite der Credit Suisse ist, dass die Bank wenig mit der Silicon Valley Bank (SVB) oder anderen mittelgroßen US-Banken gemein hat, die in Schwierigkeiten geraten sind. So wies die SVB ein Wertpapierportfolio mit Buchverlusten in Höhe von mehr als 15 Milliarden Dollar auf dem Feld der bis zur Fälligkeit gehaltenen Papiere auf. Dagegen hatte die Credit Suisse nicht realisierte Verluste von weniger als 50 Millionen Dollar bei den bis zur Fälligkeit gehaltenen Wertpapieren in den Büchern - eine praktisch unsichtbare Größe.
Stattdessen lief die Summe der vielen Probleme der Credit Suisse auf die Tatsache hinaus, dass sie jedes Jahr Milliardenbeträge verlor. Um das Leck zu stopfen, musste sie entweder einen Weg finden, weiterhin Kapital zu beschaffen, oder sich verkleinern. Vergangenes Jahr versuchte sie, Zeit für einen Plan zu gewinnen, der zur Ausgliederung ihrer Investmentbank führen sollte. Doch die Zeit lief ab, als sich die Vertrauenskrise im US-Bankenwesen ausbreitete. Wie das "Wall Street Journal" berichtete, sah sich die Credit Suisse kürzlich mit täglichen Kundenabflüssen von bis zu 10 Milliarden Dollar konfrontiert.
Diese Abflüsse weisen jedoch auf eine Gemeinsamkeit auf beiden Seiten des Atlantiks hin. Das Digitalbanking macht es den Kunden viel leichter, ihr Geld abzuziehen, und die digitale Kommunikation kann den Schaden vergrößern. Die Liquiditätsprobleme der Credit Suisse begannen im vergangenen Herbst mit Gerüchten auf Social-Media-Plattformen, die sich zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung auswuchsen. Dabei spielte es keine Rolle, dass das Unternehmen nach den von den Aufsichtsbehörden seit 2008 bevorzugten Maßstäben über eine solide Kapital- und Liquiditätsausstattung verfügte. Die Tier-1-Kernkapitalquote, die heute am häufigsten zitierte Messgröße für die Kapitaladäquanz, lag zum Jahresende bei 14,1 Prozent und damit ähnlich hoch wie bei UBS mit 14,2 Prozent, aber niedriger als bei vielen großen Konkurrenten.
Digitaltechnologie stellt Bankenaufsichten vor neue Probleme
Die Geschichte der Credit Suisse unterscheidet sich von der der SVB, aber bei beiden Unternehmen spielte die digitale Technologie eine erschreckende Rolle beim Niedergang. So dürfte die nächste Herausforderung für die Bankenaufsicht darin bestehen, diese neue Quelle der Instabilität in ihre Überlegungen einzubeziehen. Für Anleger ist dies ein weiterer Grund, den Buchwerten der Banken zu misstrauen. Wenn die Dinge schnell gehen, sind Liquidität und Solvenz schwer zu unterscheiden.
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March 20, 2023 10:33 ET (14:33 GMT)