Der deutsche Chemiesektor, der größte in Europa, beginnt, die Verzögerungen bei den Lieferungen über das Rote Meer zu spüren und ist damit die jüngste Branche, die vor Lieferunterbrechungen warnt, die einige Unternehmen gezwungen haben, ihre Produktion einzuschränken.

Wichtige asiatische Importe nach Europa - von Autoteilen und technischer Ausrüstung bis hin zu Chemikalien und Spielzeug - brauchen derzeit länger, bis sie ankommen, da die Containerschiffe nach den Angriffen der jemenitischen Houthis um Afrika herum und weg vom Roten Meer und dem Suezkanal umgeleitet wurden.

Die deutsche Industrie hat sich zwar an die Lieferunterbrechungen im Zuge der Pandemie und des Ukraine-Kriegs gewöhnt, aber die Auswirkungen des verringerten Verkehrs über die Handelsader zeigen sich allmählich, wobei das Berliner Tesla-Werk bisher das prominenteste Opfer ist.

Die deutsche Chemiebranche, die mit einem Jahresumsatz von rund 260 Milliarden Euro (282 Milliarden Dollar) nach der Automobilindustrie und dem Maschinenbau die drittgrößte Industrie des Landes ist, ist bei rund einem Drittel ihrer Importe aus dem außereuropäischen Ausland auf Asien angewiesen.

"Meine Beschaffungsabteilung arbeitet derzeit dreimal so hart, um etwas zu bekommen", sagte Martina Nighswonger, Geschäftsführerin und Eigentümerin der Gechem GmbH & Co KG, die Chemikalien für große Industriekunden mischt und abfüllt.

Als Folge der Verzögerungen hat Gechem, das einen Jahresumsatz in zweistelliger Millionenhöhe macht, die Produktion von Geschirrspül- und Toilettentabletten gedrosselt, weil es nicht genug Trinatriumcitrat sowie Sulfam- und Zitronensäure bekommt.

Das Unternehmen überprüfe daher sein Drei-Schicht-System, sagte Nighswonger und fügte hinzu, dass die Auswirkungen des Engpasses beim Transport mindestens in der ersten Hälfte des Jahres 2024 ein Problem bleiben könnten.

Dies führt zu offenen Diskussionen mit den Kunden, fügte Nighswonger hinzu.

"Wenn wir drei statt sechs Lkw-Ladungen bekommen, bekommt jeder Kunde nur einen Teil seiner Bestellmenge, aber wenigstens bekommt jeder etwas", sagte sie.

Der größere Spezialchemiehersteller Evonik sagte ebenfalls, dass er von "kurzfristigen Routenänderungen und Verspätungen" betroffen sei und fügte hinzu, dass einige Schiffe innerhalb weniger Tage bis zu dreimal die Richtung geändert hätten.

Das Unternehmen erklärte, dass es versuche, die Auswirkungen abzumildern, indem es früher bestelle und auf Luftfracht umstelle, was als Notlösung gilt, da einige Chemikalien nicht per Flugzeug transportiert werden dürfen.

ASIATISCHE ABHÄNGIGKEIT

JP Morgan sagte am Montag, dass die Unterbrechung der Schifffahrt im Roten Meer und im Panamakanal zwar die Preise für Chemikalien in die Höhe treibe, aber auch die Bemühungen der Unternehmen zur Wiederauffüllung der Lagerbestände beschleunigen und somit zu einer höheren Nachfrage führen könnte.

Dies könnte, wenn es anhält, den Druck der chinesischen Chemieexporte mindern und möglicherweise zu einer gewissen Stärkung der Preise/Margen und infolgedessen zu einer Aufstockung der Lagerbestände führen", schrieb das Brokerhaus.

Der deutsche Industrieverband VCI weist seit langem auf die Abhängigkeit von asiatischen Importen hin. Produktionsausfälle sollten sich zwar auf Einzelfälle beschränken, aber die Verzögerungen bei den Importen über das Rote Meer seien eine zusätzliche Belastung für eine ohnehin schon geschwächte Industrie.

"Die Auswirkungen sind vor allem bei mittelständischen Unternehmen der Fein- und Spezialchemie spürbar", sagte VCI-Chefvolkswirt Henrik Meincke und fügte hinzu, dass diese Unternehmen oft einen beträchtlichen Teil ihrer Rohstoffe aus Asien beziehen.

Die Transportkrise am Roten Meer kommt zu einem Zeitpunkt, an dem die deutsche Wirtschaft aufgrund der Rezession sowie der hohen Arbeits- und Energiekosten bereits unter Druck steht. Laut S&P Global gilt der europäische Chemiesektor zusammen mit der Automobilindustrie und dem Einzelhandel als am stärksten gefährdet.

Zusätzlich zu den verzögerten Importen verweisen die Chemiekonzerne auf höhere Treibstoffkosten, da Tanker, die wichtige Rohstoffe transportieren, etwa 14 Tage länger brauchen, um anzukommen, und fügen hinzu, dass diese Kosten nur teilweise an die Kunden weitergegeben werden können.

Andere sind weniger stark betroffen.

Covestro, ein Hersteller von Schaumstoffchemikalien, die in Matratzen, Autositzen und Gebäudeisolierungen verwendet werden, rechnet mit höheren Frachtkosten, fügt aber hinzu, dass diese im Rahmen seiner Gesamtausgaben unbedeutend sind.

Covestro erklärte, dass sich eine interne Arbeitsgruppe mit dem Thema befasst und verwies auf seine starke regionale Präsenz.

Auch der Parfümhersteller Symrise sagte, er erwarte keine Verzögerungen bei seinen Lieferungen, da er über ausreichende Sicherheitsbestände verfüge, und forderte seine Kunden auf, an ihrem gewohnten Bestellverhalten festzuhalten, um eine ungerechtfertigte Hortung zu vermeiden.

Wacker Chemie, das Polysilizium für etwa die Hälfte der weltweiten Chips liefert, wies ebenfalls auf höhere Preise hin, fügte aber hinzu, dass sein Geschäft bisher nicht wesentlich beeinträchtigt worden sei.

Meincke von VCI hält die Wahrscheinlichkeit weitreichender Produktionsausfälle für relativ gering, selbst wenn die Lage am Roten Meer angespannt bleibt. Er fügte hinzu, dass der Sektor angesichts der schwachen Nachfrage, der Bürokratie und der hohen Energie- und Rohstoffkosten bereits genug Sorgen habe.

($1 = 0,9212 Euro) (Berichterstattung von Christoph Steitz und Patricia Weiss; Zusätzliche Berichterstattung von Andrey Sychev, Matteo Allievi, Tristan Veyet, Matthias Inverardi und Ludwig Burger; Bearbeitung von Mark Potter und Louise Heavens)