FRANKFURT (dpa-AFX) - Die seit der Finanzkrise teilverstaatlichte Commerzbank kommt auch im fünften Jahr mit Martin Zielke als Vorstandschef nicht zur Ruhe. Dabei gerät der 57-jährige Manager zunehmend selbst unter Druck. Vor allem der Großaktionär Cerberus macht aggressiv Stimmung gegen ihn und seine Kollegen. Der US-Finanzinvestor ist aber nicht allein mit der Kritik an der bisherigen Strategie und den erst im September 2019 ausgerufenen Renditezielen. Ziele will und muss deshalb nachlegen. Was bei der Commerzbank los ist, was Analysten sagen und was die Aktie macht.

DAS IST LOS BEI DER COMMERZBANK:

Bei der zweitgrößten börsennotierten Bank Deutschlands ist mächtig Dampf im Kessel: Das schwierige Umfeld und der anhaltende Spardruck sorgen für Unruhe bei Investoren und Unzufriedenheit in der Belegschaft. Und das ausgerechnet mitten in der Corona-Krise, in der die Bank auch wegen der hohen Kreditnachfrage besonders gefordert ist. Aber es führt wohl kein Weg daran vorbei, den Sparkurs zu verschärfen.

Nach dpa-Informationen wollten Zielke und Finanzchefin Bettina Orlopp die neuen Sparziele am Mittwoch dem Aufsichtsrat vorstellen. Doch daraus wird erst einmal nichts. Das Treffen wurde abgesagt, wie die dpa aus mehreren Quellen erfuhr. Damit bestätigen diese einen entsprechenden Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Einen neuen Termin gibt es demnach noch nicht.

Den Informationen zufolge beanstandeten die Arbeitnehmervertreter in dem Kontrollgremium, dass das Management dem Aufsichtsrat wichtige Unterlagen nicht vorgelegt habe. Zugleich habe man mitbekommen, dass Cerberus und der Bund als Großaktionäre in die Überarbeitung der Strategie eingebunden worden seien, hieß es. Daher sei die Verlegung der Sitzung beantragt worden.

Zielke und Orlopp hatten nach einem Gewinneinbruch im vergangenen Jahr in diesem Februar angekündigt, den Sparkurs noch einmal zu forcieren. Die Gewerkschaft Verdi fürchtet einen weiteren massiven Personal- und Filialabbau. Nach Informationen der Nachrichtenagentur Bloomberg könnte Abbau von Stellen und die Schließung von Zweigstellen deutlich höher ausfallen als bislang angekündigt.

So könnten bis zu 7000 Stellen gestrichen und rund 400 Filialen geschlossen werden. Im September hatte Zielke den Abbau weiterer 2300 oder rund sechs Prozent der Vollzeitstellen und die Schließung von jeder fünften der rund 1000 Filialen angekündigt. Dabei weichte er aber auch die Ziele für die Kostenquote und die Eigenkapitalrendite auf.

Der Staat, der knapp 16 Prozent der Aktien hält und damit der größte Anteilseigner der Bank ist, gab daraufhin ein Gutachten bei der Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG) in Auftrag. Beobachter werteten dies als Zeichen des Misstrauens gegen Zielke. Einem früheren Bloomberg-Bericht zufolge empfahlen die Berater noch drastischere Sparmaßnahmen, darunter eine noch deutlichere Verkleinerung des Filialnetzes.

Die geplante Senkung der Kosten um rund 600 Millionen Euro bis 2023 sollte dadurch doppelt oder dreimal so hoch ausfallen wie vom Management vorgesehen. Zielke kündigte dann im Februar an, die Strategie noch einmal zu überarbeiten. Im Mai musste er bereits den geplanten Verkauf der polnischen Tochter mBank mangels Nachfrage abblasen. Durch den stärkeren Abbau von Stellen und Filialen könnte die Bank das Einsparziel auf deutlich mehr als eine Milliarde Euro aufstocken, hieß es in dem Bloomberg-Bericht.

Auch bei der Eigenkapitalrendite dürfte Zielke jetzt deutlich ehrgeiziger werden als zuletzt. Schließlich hatten Experten und Investoren gerade dieses Ziel als wenig ambitioniert und enttäuschend eingestuft. So hatte Zielke für das Jahr 2023 eine Rendite von mehr als vier Prozent angepeilt - oder mehr als fünf Prozent, falls die Rahmenbedingungen gut sind.

Der Finanzinvestor Cerberus, der etwas mehr als fünf Prozent der Commerzbank hält und mit seinem Engagement bisher viel Geld verloren hat, dürfte allerdings auch mit den neuen Zielen unzufrieden sein und weiter auf einen Wechsel an der Spitze der Bank drängen, schrieb Bloomberg am Wochenende. Mitte Juni hatte Cerberus in einem Schreiben an den Aufsichtsrat, das der Deutschen Presse-Agentur vorliegt, nachhaltige Veränderungen in der Führung sowie bei der operativen und strategischen Ausrichtung gefordert.

DAS SAGEN ANALYSTEN:

Die meisten Experten sind wie Cerberus mit der Entwicklung der Bank und den Zielen Zielkes unzufrieden. Viele Beobachter trauen dem Manager nicht zu, eine harte Sanierung durchzusetzen. So hatte er im September 2016 angekündigt, die Zahl der Vollzeitstellen um 7300 auf rund 36 000 zu reduzieren, und musste dann im Laufe der Jahre zurückrudern. Danach sollte die Stellenzahl nur noch auf 38 200 sinken. Im vergangenen September gab Zielke dann eine weitere Kürzung um 2300 auf 35 900 Vollzeitstellen als Ziel aus.

Die Commerzbank kämpft seit vielen Jahren mit einer Reihe hausgemachter Probleme sowie dem schwierigen Branchenumfeld wie dem Dauertief bei den Zinsen, das auf die Erträge drückt. Den Anfang der selbst bereiteten Schwierigkeiten machte 2005 die vom damaligen Vorstandssprecher Klaus-Peter Müller, der nach seiner Zeit als Konzernchef noch zehn Jahre bis zum Mai 2018 den Aufsichtsrat leitete, initiierte Übernahme der Eurohypo.

Es folgte der Kauf der Dresdner Bank Ende August 2008 - also kurz vor dem Kollaps der US-Investmentbank Lehman Brothers und der anschließenden Finanz- und Wirtschaftskrise. Wegen großer Löcher in der Bilanz musste der Staat die Commerzbank retten. Seitdem geht es mit dem Aktienkurs stetig nach unten - und Analysten haben derzeit kaum Hoffnung, dass es bald besser wird. Nur einer der 13 von dpa-AFX erfassten Experten, die sich in den vergangenen Wochen zu Wort gemeldet haben, empfiehlt das Papier zum Kauf.

Immerhin fünf Analysten raten trotz des Kursverlusts in den vergangenen Wochen und Monaten weiter zum Verkauf der Aktie, bei sieben Analysten lautet das Votum "Halten". Das durchschnittliche Kursziel liegt gerade mal bei 3,60 Euro und damit noch mal zehn Prozent unter dem aktuellen Niveau. Neben den Sorgen über die geringe Rendite der Bank sind derzeit viele Analysten mit Blick auf Bankaktien wegen der Corona-Krise äußerst zurückhaltend.

So treibt der Einbruch der Konjunktur die Zahl der Kreditausfälle nach oben, was wiederum auf die Ergebnisse der Finanzinstitute drückt. So rechnen viele Analysten bei der Commerzbank 2020 mit einem Verlust. In den vergangenen Jahren war es der Bank gelungen, Gewinne zu erzielen - selten sehr hohe, aber immerhin war sie unter dem Strich im Plus.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Die Commerzbank-Aktie gehört in den ersten sechs Monaten des Jahres mal wieder zu den größten Verlierern unter den deutschen Standardtiteln. Seit Ende 2019 sackte der Kurs um knapp 30 Prozent auf zuletzt etwas unter vier Euro ab. Zwischenzeitlich hatte es sogar noch schlimmer ausgesehen. Im Zuge der durch die Corona-Pandemie ausgelösten Panik an den Märkten war das Papier bis auf 2,804 Euro abgesagt und war damit so billig gewesen wie noch nie.

Trotz der jüngsten Kurserholung steht die Commerzbank-Aktie in der MDax-Rangliste der Tops und Flops im ersten Halbjahr 2020 wieder im unteren Drittel, nachdem sie 2019 knapp fünf Prozent abgegeben hatte und damit zu den wenigen Verlierern unter den deutschen Standardaktien gehört hatte. Mittel- und langfristig sieht die Bilanz noch schlechter aus. Auf Sicht von fünf Jahren summieren sich die Verluste auf 66 Prozent, über zehn Jahre gesehen sogar auf fast 90 Prozent.

Wegen der immensen Verluste hatte die Bank im September 2018 den Platz im Dax räumen müssen - ausgerechnet für den damals noch hoch im Kurs stehenden Zahlungsdienstleister Wirecard, der inzwischen im Strudel eines Bilanzskandals und Insolvenz anmelden musste. Doch mit einem Börsenwert von gerade mal noch knapp fünf Milliarden Euro ist die Commerzbank kein Kandidat für die Rückkehr in den Dax im Herbst, wenn Wirecard den deutschen Leitindex verlassen muss.

Noch weiter entfernt ist das Kursniveau, das die Commerzbank-Aktie vor der Finanzkrise hatte. Das rechnerische - um viele Kapitalerhöhungen und Aktienzusammenlegungen bereinigte - Rekordhoch der Anteilsscheine datiert aus dem Jahr 2000 und liegt bei 288,64 Euro. Kurz vor Ausbruch der Finanzkrise und dem Einstieg des Staates hatte der Kurs umgerechnet bei mehr als 200 Euro gelegen. Seitdem summiert sich das Minus auf knapp 99 Prozent.

Nach den Verlusten in den vergangenen Wochen, Monaten und Jahren dürfte es für den Bund auf absehbare Zeit wohl kaum möglich sein, das in die Bank gesteckte Geld wieder hereinzuholen. Das Aktienpaket der Bundesrepublik Deutschland ist derzeit nicht einmal mehr 800 Millionen Euro wert. Der Bund müsste aber rund fünf Milliarden erlösen, um bei der Bank ohne Verluste auszusteigen./zb/nas/stw