Von David Benoit

NEW YORK (Dow Jones)--Die US-Banken sitzen auf einem Berg von Bargeld, das sie in Milliardengewinne verwandeln könnten. Es wird nämlich erwartet, dass die Banken in den kommenden Monaten zweistellige Dollar-Milliardensummen an Reserven freisetzen, die sie beiseitegelegt haben, um potenziell faul gewordene Kredite abzudecken. Diese Verluste sind selbst ein Jahr nach Ausbruch der Pandemie, die Teile der US-Wirtschaft lahmlegte, immer noch nicht eingetreten.

Im Jahr 2020 beeilten sich die Banken, ihre Reserven aufzustocken, um potenzielle Verluste abzudecken. Sie fürchteten, dass Verbraucher und Unternehmen ihre Kredite nicht mehr bedienen könnten, nachdem das staatliche Konjunkturprogramm auslief. Nach Angaben des US-Einlagensicherungsfonds FDIC verfügten die US-Banken im Dezember über 236,6 Milliarden Dollar Reserven. Das türmt sich fast doppelt so hoch auf wie vor Ausbruch des Coronavirus, der die Wirtschaft schwer erschütterte und die Arbeitslosigkeit in die Höhe trieb.

Die Führungskräfte der Banken sind inzwischen nicht mehr so besorgt wie vorher. Die Wirtschaftsentwicklung hat interne Prognosen der Banken übertroffen und zugleich läuft die Verteilung des Impfstoffs auf Hochtouren. Und ein 1,9 Billionen Dollar schweres Konjunkturpaket unterzeichnete US-Präsident Joe Biden vergangene Woche. Verbraucher und Unternehmen, so sagen sie jetzt, sind wahrscheinlich dem schlimmsten finanziellen Szenario der Pandemie entwischt.

"Es gibt eine Menge positiver Gründe, sich auf dem Weg der Erholung gut zu fühlen", meint Citigroup-Finanzchef Mark Mason. Demnach werde die Citigroup wahrscheinlich ihre 27,6 Milliarden Dollar Reserven im ersten Quartal reduzieren, möglicherweise um mehr als die 1,5 Milliarden Dollar, die die Bank im vierten Quartal auflöste. Reserven sind dazu gedacht, erwartete Verluste bei Krediten abzudecken. Sie drosseln den Gewinn einer Bank, wenn sie gebildet, und erhöhen ihn, wenn sie abgebaut werden.

Seit Jahresbeginn haben die Analysten ihre Prognosen für die Kreditverluste abgesenkt und die Gewinnprognose für JP Morgan, Bank of America, Citigroup und Wells Fargo für das Jahr 2021 um 10 Prozent oder 7 Milliarden Dollar angehoben, so Factset. Die Analysten erwarten nunmehr, dass die vier Banken im Jahr 2021 rund 77 Milliarden Dollar verdienen gegenüber 61 Milliarden Dollar im Vorjahr.

Die verbesserten Aussichten haben die Bankaktien aus der Flaute geholt. Der KBW-Nasdaq-Bank-Index ist im bisherigen Jahresverlauf um 25 Prozent emporgeschnellt, während der S&P 500 nur um 5,7 Prozent zulegte. Dennoch wird die Auflösung der Reserven nur vorübergehend für Erleichterung sorgen. Es wird erwartet, dass die Erträge der vier größten US-Banken im Jahr 2021 leicht nachgeben, was sich mit einem erwarteten Rückgang der Kreditvergabe und einer Verlangsamung der Marktaktivität erklären lässt. "Es ist Tinte auf dem Papier", schwärmte JP-Morgan-Chef Jamie Dimon aber im Januar zu Analysten über die Auflösung der Rückstellungen. "Wir jubeln, dass es Amerika besser geht, aber wir betrachten das nicht als Gewinn."

Die Banken legen ihre Erwartungen für Kreditausfälle anhand breiter Wirtschaftsindikatoren fest, insbesondere des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und der Arbeitslosenquote. Basierend auf diesem Ausgangspunkt werden Hunderte von anderen Variablen berücksichtigt, wobei ein gewisser Spielraum für die optimistische oder pessimistische Einschätzung der Führungskräfte eingebaut wird. Seit Beginn der Pandemie neigen die Führungskräfte der Banken zu Pessimismus bei der Bildung von Rückstellungen für Kreditausfälle. Infolgedessen bieten ihre internen Modelle einen gedämpfteren Ausblick als breitere Wirtschaftsprognosen.

Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat vor kurzem erklärt, dass sie ein Wachstum des US-Bruttoinlandsprodukts von 6,5 Prozent in diesem Jahr erwartet, was einer Verdoppelung ihrer Prognose vom Dezember entspricht. Ökonomen gehen derweil davon aus, dass die Arbeitslosigkeit, die derzeit bei 6,2 Prozent liegt, laut einer Umfrage des Wall Street Journal bis Dezember weiter auf 5 Prozent fällt. Die sich verbessernden wirtschaftlichen Aussichten veranlassten die Banken, im vierten Quartal einige Reserven freizugeben. Führungskräfte sagten damals, dass sie mehr Klarheit über die Verbraucherstimmung und andere Wirtschaftsindikatoren benötigten, bevor sie ihre Reserven weiter abbauen.

Auf einer Konferenz der Credit Suisse Ende Februar erklärten Führungskräfte, die wirtschaftliche Entwicklung kristallisiere sich immer mehr heraus. Während sie tendenziell vorsichtig bleiben, wiesen einige auf einen Rückgang der Verbraucherschulden und einen Anstieg der Ausgaben als erste positive Zeichen für die Wirtschaft hin. "Die Zeit wird zeigen, ob dies ein Wendepunkt ist, aber es ist ein Grund, optimistisch zu sein", argumentiert JP-Morgan-Finanzchefin Jennifer Piepszak. Eine Änderung der Bilanzierungsregeln im vergangenen Jahr hat derweil die Berechnung der Reserven weiter erschwert. Die Banken müssen nun die erwarteten zukünftigen Verluste bereits bei der Vergabe eines Kredits erfassen, anstatt auf Hinweise zu warten, dass Verluste wahrscheinlich sind.

Die Führungskräfte der Banken zögerten noch, zu erklären, wie normale, nicht pandemische Reserven unter den neuen Regeln aussähen, sagt Susan Roth Katzke, Analystin der Credit Suisse. Ohne diese Informationen ist es schwierig vorherzusagen, wie viele Rückstellungen sie in den kommenden Quartalen auflösen. "Ich bin sehr daran interessiert, die Größe der Reserven in der Zukunft zu erfahren", erklärt Katzke weiter.

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March 16, 2021 08:31 ET (12:31 GMT)