ESSEN (dpa-AFX) - Der Chemikalienhändler Brenntag will den US-Rivalen Univar Solutions nach öffentlicher Kritik eines seiner Aktionäre nicht mehr kaufen. Brenntag hatte erst Ende November bestätigt, an einer Übernahme interessiert zu sein. Das Unternehmen habe "heute beschlossen, diese Gespräche nicht fortzuführen", hieß es in einer am Montagabend verbreiteten Ein-Satz-Mitteilung. Aktionär Primestone Capital hatte sich einen Monat nach dem Bekanntwerden öffentlich gegen die Pläne gestemmt.

Die Investmentgesellschaft hatte die "sofortige Beendigung" der Gespräche mit Univar gefordert. Primestone hielt zu dem Zeitpunkt zwei Prozent der Brenntag-Anteile. Die Essener hatten sich nicht direkt zu der Forderung geäußert, aber betont, bei der Umsetzung des Plans zur Wertsteigerung für die Anteilseigner "großen Wert auf einen offenen und konstruktiven Dialog mit allen Brenntag-Aktionären" zu legen.

Nach Vorstellung von Primestone sollte sich Brenntag statt auf eine "risikoreiche" Übernahme vielmehr auf die Verbesserung des Kerngeschäfts konzentrieren. Hierzu forderte der Investor auch eine Aufspaltung des Unternehmens. Ferner kritisierte der Aktionär, dass für eine Übernahme die erforderliche Zustimmung der Anteilseigner fehle. Die Risiken und Unwägbarkeiten seien sehr hoch, wie eine eigene sorgfältige Überprüfung (Due Dilligence) eines möglichen Kaufs ergeben habe. So ging Primestone davon aus, dass sich eher Synergieverluste ergeben, die sämtliche Kostensenkungen zunichtemachen würden. Auch würde ein Kartellverfahren wohl langwierig und schwierig.

Primestone stellte in dem Schreiben seinerseits Forderungen, mit denen Brenntag nach Ansicht des aktivistischen Investors seine Bilanz aufpolieren und die eigene Börsenbewertung von zum damaligen Zeitpunkt weniger als 60 Euro in drei Jahren auf 150 bis 170 Euro je Aktie steigern könne. Dazu fordert Primestone auch ein Aktienrückkaufprogramm über 2,5 Milliarden Euro. Aus dem Xetra-Handel gingen die Brenntag-Papiere am Montag mit 60,70 Euro.

Auch sei es nach Jahren der "enttäuschenden Performance" an der Zeit, das Potenzial der beiden Brenntag-Geschäftsbereiche Specialties und Essentials durch eine Aufspaltung in zwei separate, börsennotierte Unternehmen zu heben, hatte es in der Mitteilung weiter geheißen. Dies würde Anlegern auch die Möglichkeit bieten, nur in einen der beiden Geschäftsbereiche zu investieren, und dürfte im Laufe der Zeit zu einer erheblichen Wertsteigerung führen. "Wir glauben, dass dies innerhalb der nächsten 18 Monate geschehen könnte." Auch zu diesen Forderungen bezog Brenntag keine Stellung.

Für die Essener wäre die Übernahme von Univar einer Zeitenwende gleichgekommen, war das Unternehmen bisher doch eher für kleinere Zukäufe bekannt. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Pläne betrug die Marktkapitalisierung der Amerikaner gut fünf Milliarden US-Dollar - und damit nur etwas weniger als die Hälfte der Bewertung von Brenntag.

Das Unternehmen selbst hatte sich kurz vor dem Bekanntwerden der Pläne noch bescheiden mit Blick auf Übernahmen gegeben. Ein neuer Wachstumsplan bis 2026 hatte neben einer deutlichen Verbesserung der operativen Ergebnisse zwar mehr Ausgaben für Übernahmen vorgesehen. Geplant waren demnach aber lediglich jährlich 400 bis 500 Millionen Euro und, was schon doppelt so viel wie bisher bedeutet hätte. Kaufen wolle Brenntag, um etwa seine Marktposition zu verbessern und seine Position in Schwellenländern auszubauen, hatte es bei der Vorstellung der Pläne geheißen.

In einem Interview in der "Börsen-Zeitung" hatte Finanzchefin Kristin Neumann zum Thema Akquisitionen zudem gesagt: "Nicht alles passt und nicht alles ist finanziell sinnvoll". Daher gelte es trotz des höheren Budgets für Übernahmen, "dass wir weiterhin sehr diszipliniert vorgehen".

Analysten hatten sich überwiegend positiv zu den Absichten der Deutschen geäußert. So hatte Chetan Udeshi von JPMorgan eine mögliche Übernahme von Univar als strategisch attraktiv bezeichnet. Das daraus resultierende Potenzial für Brenntag hänge aber letztlich von Preis und Umsetzung ab. Baader-Experte Markus Mayer verwies auf "enorme Synergien", die ein Zusammenschluss freisetzen könnte. Die Frage sei, zu welchem Preis der Chemikalienhändler zum Zuge kommen könne. Mayer rechnete dabei mit diszipliniertem Vorgehen.

Positiv reagierte auch Laurence Alexander vom Analysehaus Jefferies, er nannte eine Übernahme logisch. Käme es dazu, würden sich die beiden weltgrößten Chemikalienhändler zusammenschließen, die zusammen auf einen Marktanteil von rund acht Prozent kämen. Brenntag sei Marktführer mit einem Umsatz im vergangenen Jahr von 14,4 Milliarden Euro, gefolgt von Univar als Nummer zwei, die im gleichen Zeitraum auf einen Umsatz von 9,5 Milliarden US-Dollar kamen. Ein Zusammenschluss würde erhebliche Wettbewerbsvorteile gegenüber regionalen Anbieter bringen in einer Zeit, in der die Industrie vor einer sich beschleunigenden Transformation stehe - der Analyst verwies etwa auf die Digitalisierung oder neue Umwelt- und Sicherheitsauflagen.

Barclays-Analyst Alex Stewart hatte sich hingegen skeptisch gezeigt. Eine Übernahme von Univar würde strategisch gesehen eine Kehrtwende bedeuten bei den Prioritäten des Chemikalienhändlers, welche er als unerwünschte Ablenkung betrachte in einer ansonsten überzeugenden Anlagestory. Aus finanziellem Blickwinkel könnte ein Deal sinnvoll sein, notierte der Experte. Die strategische Logik dahinter sei gleichwohl zu hinterfragen.

An der Börse verzeichnete das Dax-Unternehmen im vergangenen Jahr eine unterdurchschnittliche Entwicklung. Das Minus lag 2022 bei fast einem Viertel, der Index selbst gab lediglich gut zwölf Prozent ab. Europaweit verlor der Chemiesektor im vergangenen Jahr knapp ein Fünftel.

Anleger begrüßten am Montag die neue Entwicklung. Der Aktienkurs von Brenntag legte zuletzt auf der Handelsplattform Tradegate um viereinhalb Prozent zum Xetra-Schlusskurs zu./he