Von Jon Sindreu

NEW YORK (Dow Jones)--Wer schon einmal bei einem Gebrauchtwagenhändler war, kennt das Risiko, eine alte Rostlaube mit technischen Mängeln angedreht zu bekommen. Wenn es um Flugzeuge geht, scheinen es jedoch eher die neueren Modelle zu sein, die ihre Eigner im Regen stehen lassen.

Nach Daten des Luftfahrt-Analyseunternehmens Ishka sind die Bewertungen von zehn Jahre alten Verkehrsflugzeugen in den vergangenen Wochen geradezu sprunghaft gestiegen. Der Preis für einen Airbus A320-200 - weltweit bei Airlines das Rückgrat der Kurzstreckenflotte - ist seit August um 10 Prozent teurer geworden und hat sich damit fast vollständig von der Covid-19-Krise erholt. Die Mietpreise für den Jet kletterten um 6 Prozent.

Die Beliebtheit des bewährten Fliegers wächst auch aufgrund der Probleme, die das 2016 eingeführte Nachfolgemodell A320neo macht. Im Juli warnte der US-Triebwerkshersteller Pratt & Whitney vor Verunreinigungen in einem Metallpulver, das in einigen seiner GTF-Triebwerke zum Einsatz kam. GTFs treiben etwa 40 Prozent aller A320neo an. Kürzlich hieß es, etwa 700 Triebwerke könnten betroffen sein, und jede Reparatur werde wohl 300 Tage in Anspruch nehmen. Damit werden wohl hunderte Flugzeuge bis 2026 am Boden bleiben.

Auch andere der beliebten älteren Maschinen haben wieder an Wert gewonnen, wobei Großraumjets wie der Airbus A330-300 und die Boeing 777-300ER trotzdem nur etwa halb so teuer sind wie zu Beginn des Jahres 2020.


 Nachfrage nach Fliegern bleibt hoch 

Eigentümlicherweise hat die Boeing 737, obschon direkter Konkurrent zur A320 im Schmalrumpfflugzeugsegment, seit August 4 Prozent an Wert verloren. Das zeitweilige Flugverbot für die aktualisierte Version 737 MAX nach zwei technisch bedingten Abstürzen hat vor der Pandemie zu einem Anstieg der Werte von Gebrauchtmaschinen geführt, und auch in diesem Jahr sind bei der MAX-Produktion Probleme aufgetreten.

Die Wertzuwächse bei den meisten Flugzeugen deuten darauf hin, dass Leasinggeber und Investoren darauf setzen, dass die älteren Modellgenerationen weniger mit den anscheinend endlosen Produktionsproblemen zu tun haben, als die neueren Flieger.

Natürlich ist in einer Zeit des begrenzten Angebots mit einem Anstieg der Nachfrage nach Gebrauchtflugzeugen zu rechnen. Fluggesellschaften wie Spirit Airlines, Wizz Air, Indigo und Air China sind vom A320-Triebwerksproblem betroffen. Möglicherweise reduzieren sie die Zahl ihrer Flüge, zumal die Nachfrage nachlässt, aber wahrscheinlich werden sie trotzdem auch Ersatzmaschinen benötigen. Die Zahl der Neubestellungen bleibt deshalb hoch, und Herstellungsprobleme verlängern die Lieferzeiten.


 Flugzeugbauer setzten zu viel auf kurzfristige Gewinne 

Zahlen der Luftfahrtanalysten IBA zeigen derweil, dass etwa 8 Prozent der Flugzeuge im Besitz von Leasinggebern nicht bei Airlines platziert sind, verglichen mit etwa 6,5 Prozent vor der Pandemie. Doch diese Zahl geht jetzt schnell zurück.

Entscheidend aber ist, dass die Pannen bei neueren Flugzeugen keine Einzelfälle sind. Seit Boeing in den 2000er Jahren die Entwicklung des 787 Dreamliners verpatzte, kämpfen Flugzeughersteller mit der Mängelbehebung. Das GFT-Konkurrenztriebwerk, LEAP, leidet im Dauereinsatz ebenfalls an technischen Problemen. An deren Lösung arbeiten seine Hersteller GE Aerospace und Safran fieberhaft. Das LEAP kommt sowohl im A320neo als auch im MAX zum Einsatz.

Die Krise von Boeing hat gezeigt, dass sich die Hersteller zu sehr auf kurzfristige Gewinne konzentriert haben. Doch es gibt auch eine technologische Ursache. In der Flugzeugentwicklung sind die gut erreichbaren Früchte inzwischen gepflückt. Um die Kraftstoffeffizienz bei jeder neuen Flugzeuggeneration um 15 Prozent zu steigern, sind immer komplexere Fortschritte bei Material und Design erforderlich. Moderne Turbofans haben inzwischen mehr Teile, die kaputt gehen können, und sie arbeiten bei höheren Temperaturen, was die Belastung zusätzlich erhöht.


 Technik wird immer ausgefeilter 

Da die Technik immer anspruchsvoller wird, kann es sein, dass künftige Modelle von Anfang an weniger zuverlässig fliegen. Bei der strategischen Entscheidung, wie viele Flugzeuge sie am besten aus erster Hand kaufen, sollten Fluggesellschaften berücksichtigen, dass technische Probleme die günstigen Verbrauchswerte zunichtemachen können. Defekte Triebwerke versetzten etwa dem inzwischen eingestellten Langstreckenbetrieb von Norwegian Air einen schweren Schlag. Das bedeutet, dass mittelalte Jets am Ende ihres jeweiligen Leasingvertrags jeweils höhere "Restwerte" aufweisen können.

Dies spricht dafür, optimistisch im Hinblick auf Aktien und Anleihen großer Flugzeug-Leasingunternehmen wie Aercap und Air Lease Corporation zu sein, die seit der Pandemie deutlich schlechter abgeschnitten haben als der S&P 500. Denn diese Firmen verfügen über vergleichsweise junge Flotten.

Asset-Backed Securities (ABS), also Wertpapiere die mit Flugzeugen als Sicherheit hinterlegt sind, kommen dagegen laut S&P Global Ratings auf ein durchschnittliches Alter bei den Jets von 13 Jahren. Der Markt für diese ABS ist nach einer Reihe von Rückschlägen größtenteils eingefroren. Fluggesellschaften verzögerten ihre Zahlungen im Laufe der Pandemie, und nach dem Überfall auf die Ukraine steckten viele Flugzeuge in Russland fest. In diesem Jahr folgten gesenkte Ratings und der Anstieg des Zinsniveaus.

Inzwischen könnte die Bühne für ein Tauwetter bereitet sein. Leider bauen die Flugzeugkonzerne einfach keine Maschinen mehr wie früher.

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October 20, 2023 10:18 ET (14:18 GMT)