Von Jon Sindreu

NEW YORK (Dow Jones)--Die zunehmende Isolierung Russlands vom Westen wird dazu führen, dass das Land nach alternativen Wirtschaftspartnerschaften mit China Ausschau hält. Die Luftfahrt ist ein Paradebeispiel dafür. Von den Sanktionen schwer getroffen, hat die russische Industrie kaum eine andere Wahl, als die Zusammenarbeit mit dem großen Nachbarn im Osten zu verstärken.

Die kommerzielle Luftfahrt steht in Russland vor dem Ruin, da die USA und ihre Verbündeten den Verkauf von Flugzeugen, Teilen sowie technischer Unterstützung an das Land blockieren. Seit den 1990er Jahren wurden die Flugzeuge aus der Sowjetunion durch Boeing- und Airbus-Modelle ersetzt, wobei die im Inland gebauten Flugzeuge derzeit nur 17 Prozent der Flotte ausmachen, wie Daten von Cirium zeigen. Ohne neue Teile werden Fluggesellschaften wie Aeroflot und S7 Airlines ihre Jets irgendwann am Boden lassen müssen.

Wie lange können sie weiterfliegen? Das ist schwer zu sagen, da diese Fluggesellschaften jetzt von den meisten internationalen Strecken ausgeschlossen sind und Teile von älteren Flugzeugen ausschlachten können. Oliver-Wyman-Berater David Stewart schätzt, dass es je nach Bestand und Flottenauslastung zwischen sechs Monaten und zwei Jahren dauern könnte, bis die Verfügbarkeit von Flugzeugen wesentlich beeinträchtigt wird.

Das gilt natürlich für beide Seiten. In Russland wird 3 Prozent der weltweiten Flotte betrieben, was für westliche Hersteller einen stetigen Geldstrom aus dem "Aftermarket" bedeutet. Boeing und Airbus haben dort Entwicklungszentren, die nun ihren Betrieb einstellen mussten. Das US-Unternehmen teilte zuletzt mit, dass es seine Einkäufe bei seinem russischen Partner Vsmpo-Avisma, dem Lieferanten von einem Viertel des weltweiten Titanbedarfs, - einem wichtigen Rohstoff für Flugzeugzellen - eingestellt habe. Westliche Leasinggeber besitzen 70 Prozent der 981 russischen Flugzeuge, die in Betrieb oder eingelagert sind, und haben keine klare Möglichkeit, sie wieder in Besitz zu nehmen.


   Russen schneiden sich auch in der Luftfahrt ins eigene Fleisch 

Aber der Schlag ist sehr asymmetrisch. Nur 1 Prozent der Auftragsbestände von Airbus und Boeing sind betroffen. Anders als der schnell wachsende chinesische Markt ist der russische für die westliche Luftfahrt entbehrlich. Moskau kann sich wieder auf seine eigene Luft- und Raumfahrtindustrie konzentrieren, die in den 1960er Jahren im "Weltraumrennen" die Führung übernommen hatte und bei Militärflugzeugen mit dem Westen konkurriert. Russlands überragendes Ingenieurstalent und seine Werkstoffkompetenz konnten jedoch nie erfolgreich eingesetzt werden, um die in der modernen Zivilluftfahrt erforderliche Sicherheit, Treibstoffeffizienz und Massenproduktion zu gewährleisten. Nach Jahren verschwendeter Investitionen wurden 2006 die wichtigsten Hersteller des Landes, darunter Iljuschin, Suchoi und Tupolew, unter dem Dach der United Aircraft Corporation zusammengefasst.

Mit dem Regionalflugzeug Sukhoi Superjet 100 hatte es einen kleinen Aufschwung gegeben. Und ab Ende des Jahres soll die Irkut MC-21 als Schmalrumpfflugzeug der erste echte Herausforderer des Airbus A320 und der Boeing 737 sein. Beide verwenden jedoch viele westliche Teile und Triebwerke. So fliegt die MC-21 mit Getriebe-Turbofans, die von Pratt & Whitney mit Sitz in Connecticut gebaut werden. Zwar wird bereits an der "Russifizierung" des Flugzeugs gearbeitet, einschließlich eines alternativen einheimischen Triebwerks, doch würde es Jahrzehnte dauern, bis sich daraus ein Geschäft entwickelt, das der Nachfrage entspricht.

China, das stark in ein ähnliches Flugzeug, das C919, investiert hat, ist der offensichtliche Partner. Seit einem Jahrzehnt arbeiten beide Länder gemeinsam an der CR929, einem Großraumflugzeug. Die Erfahrung war holprig, denn es gab Machtkämpfe, dauernde Verzögerungen und eine ständige Abhängigkeit von westlichen Teilen. Jetzt drohen die Sanktionen das Projekt endgültig zum Scheitern zu bringen.


   Peking macht womöglich mit Zusammenarbeit mit den Russen Ernst 

Dennoch sollte Pekings Entschlossenheit, eine heimische Industrie in genau den Bereichen aufzubauen, die von den westlichen Exportsanktionen gegen Russland betroffen sind, wie Flugzeuge und komplexe Halbleiter, nicht unterschätzt werden. Daran ändert auch das bisherige Scheitern nichts. Genauso wie die Bewaffnung des Währungssystems gegen Moskau kann die Abschottung Russlands von High-Tech-Komponenten die Teilung der Welt in zwei Wirtschaftsblöcke verstärken und sogar zementieren. Das Zusammentreffen von Russlands Technologiebasis und Chinas noch nicht entwickelter Markt könnte sich als schwer zu widerstehen erweisen.

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March 08, 2022 09:34 ET (14:34 GMT)