STUTTGART/WOLFSBURG/MÜNCHEN (dpa-AFX) - Die großen Autobauer fahren einer Analyse zufolge weiter Rekordgewinne ein, nach Einschätzung von VW muss sich Europa wegen der Energiekrise und Inflation aber gegenüber China und den USA sputen. Bis Ende September liefen die Geschäfte für viele Hersteller laut der Unternehmensberatung EY in der Summe sehr gut - insbesondere in China, ungeachtet der dort heftig umstrittenen Null-Covid-Strategie. Der neue Volkswagen-Markenchef Thomas Schäfer warnte am Montag jedoch, dass Europa angesichts der Energieverteuerung und oft als schleppend empfundenen Förderpolitik "keine Zeit zu verlieren" habe. Sonst könnten schlimmstenfalls Milliarden-Investitionsvorhaben wie Batteriezellwerke gefährdet sein.

Der Leiter der Mobilitätssparte Westeuropa bei EY, Constantin Gall, beurteilt die Gesamtsituation der Kernbranche als eindeutig positiv: "Unterm Strich war das dritte Quartal trotz abflauender Konjunktur und einer sehr schwierigen geopolitischen Lage ein Traumquartal." Die seit der Corona-Krise stockende Versorgung mit Mikrochips verbessere sich langsam, und die Nachfrage nach Oberklassewagen bleibe hoch.

Doch der Massenmarkt könnte nach Meinung von EY-Mann Peter Fuß unter Druck geraten. "Wir erleben gerade, dass breite Bevölkerungsschichten erhebliche Kaufkraftverluste hinnehmen müssen. Das heißt, dass immer weniger Menschen sich ein neues Auto leisten können oder wollen." Bei hochpreisigen Modellen ließen sich Rabattschlachten eher vermeiden.

Von Juli bis September lag der Gesamtertrag im laufenden Geschäft bei den 16 betrachteten Unternehmen laut EY auf dem höchsten Stand, der je in einem dritten Quartal verzeichnet wurde. Beim operativen Gewinn hatte Mercedes-Benz die Nase vorn und landete mit 5,2 Milliarden Euro deutlich vor VW, wo 4,3 Milliarden Euro für Platz zwei reichten. BMW kam mit 3,7 Milliarden Euro auf Rang fünf. Der weltgrößte Hersteller Toyota dagegen musste einen Gewinnrückgang um ein Viertel hinnehmen - 4,0 Milliarden Euro reichten noch für Rang drei. An vierter Stelle stand der US-Autobauer General Motors mit 3,8 Milliarden Euro.

Wohl und Wehe der Autoindustrie hängen in weiten Teilen an China als größtem Markt. Die Pandemie hatte von dort aus viele Lieferketten zerrissen, rigorose Lockdowns lösten auch wirtschaftliche Schockwellen aus. Zuletzt aber ging es in der Volksrepublik für die Branche wieder bergauf: Beim Absatz legten die deutschen Hersteller um 28 Prozent im Vergleich zum Vorjahresquartal zu, nachdem die Zahlen davor auf ein deutlich schwächeres Niveau gefallen waren.

Aktuell gibt es im Reich der Mitte ungewöhnlich scharfe Proteste gegen die strikte Anti-Covid-Politik der Regierung. Davon unabhängig sagte Fuß: "In China wachsen die Bäume längst nicht mehr in den Himmel, der Markt ist sehr wettbewerbsintensiv und anspruchsvoll."

Auch der Volkswagen-Konzern betreibt zahlreiche Werke in dem Land. Schäfer, der im Sommer die Führung der Hauptmarke VW Pkw vom jetzigen China-Chef Ralf Brandstätter übernommen hatte, glaubt, dass das Entwicklungstempo in Fernost und in anderen Regionen weiter zulasten des Heimatmarkts Europa zulegen könnte. "Im internationalen Vergleich verlieren Deutschland und die Europäische Union rasant an Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit", schrieb der Topmanager im Online-Netzwerk LinkedIn. "Die USA, Kanada, China, Südostasien und Regionen wie Nordafrika geben Gas. Wir treten auf der Stelle."

Schäfer mahnte, die Wirtschaftspolitik müsse bei den Entlastungen aufs Ganze gehen. "Wenn es uns nicht gelingt, die Energiepreise in Deutschland und Europa rasch und verlässlich zu senken, sind Investitionen in energieintensive Produktion oder in neue Batteriezellfabriken praktisch nicht mehr darstellbar." VW will bis zum Ende des Jahrzehntes mindestens sechs eigene Akkuzellwerke auf dem Kontinent zum Laufen bringen. Außerdem justiert der größte europäische Autobauer seine Elektro- und Software-Strategie nach.

Als Verantwortlicher für das Massengeschäft im Konzern sei er wegen Europas Wettbewerbsfähigkeit "tief besorgt", so Schäfer. Das gelte ebenso für die Abläufe der EU-Wirtschaftsförderpolitik, die entweder zu sehr auf Einzelregionen oder die lange Frist angelegt seien. Neue Initiativen Deutschlands und Frankreichs zur industriepolitischen Kooperation seien "ein richtiger Schritt. Aber das gemeinsame Papier greift an den entscheidenden Stellen zu kurz." Berlin und Paris wollen in zentralen Schlüsseltechnologien stärker zusammenarbeiten.

Konkurrent BMW erwartet, dass es in Deutschland im Winter genug Gas gibt. Aber die Autobranche brauche eine sichere Energieversorgung zu wettbewerbsfähigen Preisen, sagte Vorstandschef Oliver Zipse. Alles in allem rechnen die Bayern 2023 mit einem stabilen Geschäft - die Lockdowns in China rufen allerdings auch hier weiter Sorgen hervor./dhu/DP/men