KIEL/SCHLESWIG (dpa-AFX) - Dürfen in absehbarer Zeit doch keine älteren Diesel-Pkw mehr über den Kieler Theodor-Heuss-Ring fahren. Das Schleswig-Holsteinische Oberverwaltungsgericht (OVG) hat den Luftreinhalteplan des Umweltministeriums für unzureichend erklärt. Die Schleswiger Richter halten ein Fahrverbot für wirksamer. Kiels Oberbürgermeister Ulf Kämpfer (SPD) setzt auf die vom Gericht erlaubte Revision vor dem Bundesverwaltungsgerichts.

Der 5. Senat des OVG gab am späten Mittwochabend der Klage der Deutschen Umwelthilfe statt. Nach Ansicht der Richter dürfe das schleswig-holsteinische Umweltministerium nicht davon ausgehen, dass der im Plan vorgesehene Einsatz von Luftfilteranlagen zur Einhaltung der für Stickstoffdioxide geltenden Grenzwerte führe.

Die Umwelthilfe rechnet noch 2020 mit einem Fahrverbot. "Erneut hat ein oberstes Landesgericht die Luftreinhaltepolitik diesmal der schleswig-holsteinischen Landesregierung für unzureichend bewertet", sagte DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch. Von Umweltminister Jan Philipp Albrecht (Grüne) erwarte er, "sich von Placebo-Maßnahmen endgültig zu verabschieden und zum Schutz der Atemwege Fahrverbote für Diesel-Fahrzeuge anzuordnen".

Albrecht kündigte bereits an, den Luftreinhalteplan zügig zu überarbeiten. "Die von der Stadt vorgeschlagenen Luftfilteranlagen erfüllen offensichtlich die Anforderungen des Gerichts nicht", sagte er. "Deshalb erscheint nach derzeitigem Stand das Durchfahrverbot für ältere Diesel-Pkw auf dem betroffenen Streckenabschnitt nach Abschluss der Bauarbeiten als einzige Maßnahme, deren Wirksamkeit nachgewiesen ist." Das Land warte aber die schriftliche Urteilsbegründung ab.

Verkehrsminister Bernd Buchholz (FDP) geht bereits davon aus, dass das Land Revision gegen das Urteil einlegen wird. Es gehe um die Frage, ob Absauganlagen eine Wirkung haben und in einem Luftreinhalteplan eine Rolle spielen können, sagte er. "Diese grundsätzliche Rechtsfrage sollten wir klären."

Kiels Verwaltungschef setzt auch auf die zu erwartende Dauer eines Verfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht. "Weder ein Gericht noch sonst jemand" könne in naher Zukunft in Kiel Fahrverbote verfügen, sagte Kämpfer. "Der "worst case" wäre die Anordnung eines sofortigen Fahrverbots gewesen und die Revision wird nicht zugelassen."

Nach Ansicht des Oberverwaltungsgerichts sind Fahrverbote für alte Diesel-Fahrzeuge für die Verbesserung der Atemluft in Kiel wirksamer als der Einsatz von Luftfilteranlagen. Auf Grundlage bisheriger Erkenntnisse sei zu befürchten, dass es entlang der betroffenen Häuserfassade nur zu einer ungleichmäßigen Reduzierung der Schadstoffbelastung komme. Die von der Stadt Kiel in der Sitzung vorgelegte Untersuchung des Anlagenherstellers sei nicht geeignet, um zu einer günstigeren Prognose zu kommen, so dass sich ein Fahrverbot für Dieselfahrzeuge gegenwärtig als die wirksamere Maßnahme darstelle.

Kämpfer will aber weiter im Oktober Luftfilteranlagen an der Verkehrsachse aufstellen, die täglich von etwa 50 000 Fahrzeugen pro Richtung befahren wird. Spätestens im März würden die bis dahin vorliegenden Messwerte der Anlagen Gewissheit über deren Wirksamkeit geben. "Wenn das Ding halt nicht funktioniert, dann kommt ein Fahrverbot."

Der zuletzt im Januar 2020 fortgeschriebene Luftreinhalteplan sieht für den Theodor-Heuss-Ring auf einer in westliche Richtung verlaufenden Strecke von etwa 350 Metern zwar ein Fahrverbot für Euro 1- bis Euro 5- Diesel vor. Dies gilt allerdings nur für den Fall, dass der vorrangig geplante Einsatz von mehreren Luftfilteranlagen auf dem Radweg im Bereich der Messstelle nicht erfolgt oder sich als unzureichend erweist. Lkw wären von einem Verbot nicht betroffen.

Die Industrie- und Handelskammer Kiel bedauerte das OVG-Urteil. "Das von der Deutschen Umwelthilfe geforderte Fahrverbot halten wir nach wie vor für unverhältnismäßig", sagte Hauptgeschäftsführer Jörg Orlemann. "Es würde vor allem die kleinen und mittelständischen Unternehmen in unserer Region hart treffen."

Nach Angaben der Stadt ist die Stickoxidbelastung am Theodor-Heuss-Ring im vergangenen halben Jahr im Durchschnitt unter dem Grenzwert geblieben. Demnach ergab sich ein Mittelwert von 37,8 Mikrogramm je Kubikmeter Luft, bei einem Grenzwert von 40 Mikrogramm. Wegen einer Baustelle rechnet die Stadt damit, dass der Grenzwert in diesem Jahr eingehalten wird. In der Tabelle der am meisten mit Stickstoffdioxid belasteten deutschen Städte lag Kiel 2018 auf dem vierten Platz - hinter Stuttgart, Darmstadt und München./akl/gyd/DP/zb