HANNOVER/DRESDEN/MÜNCHEN (dpa-AFX) - Nach der Unterbrechung lebenswichtiger Lieferketten im ersten Corona-Lockdown 2020 richtet sich die Autoindustrie auf mögliche neue Produktionsprobleme ein. Bisher ist die Versorgung aber noch weitgehend stabil. Grund für Befürchtungen, es könnte zu Störungen bis hin zu Komplettausfällen in den Werken kommen, sind die verschärften deutschen Einreiseregeln gegenüber Tschechien und Tirol in Österreich. An den Grenzen gibt es etwa Corona-Vorgaben für Lkw-Fahrer: Seit Sonntag wird kontrolliert, ob ein negativer Virustest vorliegt und eine Region mit häufigem Auftreten ansteckenderer Varianten des Erregers durchfahren wurde.

Der Autobranchen-Verband VDA hatte am Wochenende gewarnt, diese Maßnahmen dürften den Lieferverkehr für die deutschen Fabriken erheblich ausbremsen, vor allem in Bayern und Sachsen. Möglicherweise könnte die Produktion schon ab Montagmittag größtenteils zum Erliegen kommen. Ganz so dramatisch war es nun - vorerst jedenfalls - nicht. Die Unternehmen müssen die Situation jedoch genau im Blick behalten.

In Tschechien, der Slowakei und Ungarn sitzen wichtige Zulieferer, deren Teile im Rahmen eng getakteter Pläne stets möglichst pünktlich ("just-in-time") eintreffen müssen. Und auch aus Norditalien kommen zahlreiche Lieferungen von Auto- oder Maschinen-Komponenten, die über den Brenner-Pass und anschließend durch das Bundesland Tirol normalerweise reibungslos ihren Weg in die Bundesrepublik finden.

Europas größter Autokonzern Volkswagen erklärte, allzu bedrohlich stelle sich die Lage zum Wochenbeginn nicht dar: "Noch gibt es keine größeren Einschränkungen. Stand heute laufen alle Standorte, auch die in Sachsen." Man müsse allerdings aufpassen: "Wir beobachten das natürlich weiter." Ähnlich äußerten sich die bayerische Tochter Audi sowie BMW, Daimler und weitere Firmen. Unabhängig von der Frage der Corona-Tests für Lkw-Fahrer könnten die Staus an sich möglicherweise längere Verzögerungen bringen. Man stehe daher mit den Lieferanten in Kontakt, so VW. "Wir müssen jetzt von Tag zu Tag weiterschauen."

In der deutschen Kernbranche und angeschlossenen Wirtschaftszweigen ist nach den Erfahrungen des vergangenen Frühjahres Vorsicht geboten. Damals hatten mehrere EU-Staaten entgegen den Binnenmarkt-Regeln die Grenzen angesichts steigender Infektionen dichtgemacht. Zwar berief man sich auf einen Notfall und höhere Gewalt - doch wegen fehlender Absprachen kam es zu Chaos in der Abfertigung und überlangen Staus. Lieferketten wurden zerrissen. Neben dem Nachfragerückgang der Kunden war dies der Hauptgrund dafür, dass viele Autohersteller und

-zulieferer wochenlang Werke schlossen und Kurzarbeit einführten.

Ziel der neuen Grenzkontrollen ist es, das Einschleppen mutierter, infektiöserer Coronaviren einzudämmen. Sowohl in Tschechien als auch in Tirol sind diese Varianten derzeit deutlich stärker verbreitet als in Deutschland. Deshalb dürfen aus betroffenen Gebieten - mit wenigen Ausnahmen - jetzt nur noch Deutsche sowie Ausländer mit Wohnsitz und Aufenthaltserlaubnis in Deutschland einreisen. An der Autobahn zwischen Prag und Dresden bildeten sich am Montag schon lange Staus.

Bei den Autobauern sah man die Entwicklung bis auf Weiteres recht gelassen. "Unsere Werke sind derzeit versorgt und produzieren planmäßig", hieß es auch bei BMW. "Erste Lieferungen konnten bereits die Grenzen passieren und sind ohne größere Verzögerungen angekommen." Es gebe überdies "einige Pendler, die von den Grenzkontrollen betroffen sind". Deren Zahl sei aber relativ gering. Bei Audi sagte ein Sprecher: "Wir produzieren aktuell ohne Einschränkungen, beobachten die Lage und die weitere Entwicklung."

Eine Daimler-Sprecherin erklärte, es laufe alles planmäßig - am Sonntag hatte es geheißen, von Werksschließungen könne keine Rede sein. Auch Opel waren zunächst keine Probleme bekannt. Ford sowie der Lichttechnik- und Elektronikhersteller Hella erklärten mit Blick auf die tschechischen Zulieferer, es gebe bis dato keine Einschränkungen. Zumindest waren diese laut Hella noch "im beherrschbaren Rahmen".

Der VDA forderte ein "intelligentes Grenzmanagement, damit die Lkw-Fahrer mit negativen Tests schnell durchkommen". Der Transportverkehr müsse eigene Kontrollstellen ansteuern dürfen, Corona-Testkapazitäten an den Übergängen sollten ausgebaut werden. Es müsse außerdem mehr Schnelltests für einreisende Brummifahrer geben.

Grundsätzlich ist das Thema vor allem für Werke in Südostdeutschland brisant. VW produziert außerhalb der norddeutschen Heimatstandorte in Sachsen (Zwickau, Chemnitz, Dresden). Die Tochter Porsche ist auch in Leipzig ansässig - ebenso wie BMW, neben seinen bayerischen Fabriken München, Dingolfing und Regensburg. Im sächsischen Kamenz ist zudem Daimler vertreten, Audi mit dem Hauptsitz Ingolstadt in Bayern sowie dem Werk Neckarsulm nicht weit entfernt in Baden-Württemberg.

Die Autohersteller müssen sich bereits seit Wochen mit empfindlichen Lieferengpässen bei wichtigen Bauteilen auseinandersetzen. So fehlen vielerorts Halbleiter, die in Mikrochips, LED-Technik und weiteren Elektronik-Komponenten stecken. Die Halbleiter-Produzenten hatten im Auto-Absatztief auf andere Abnehmer aus IT, Unterhaltungselektronik oder Medizintechnik umgeschwenkt. Bei VW rechnet man damit, dass wohl erst in der zweiten Jahreshälfte alle nötigen Mengen verfügbar sind./jap/DP/fba