Zürich (awp) - Der kräftige wirtschaftliche Neustart nach der Covidkrise gewinnt an Fahrt und weitet sich auch geografisch zunehmend aus. Dabei dürfte Europa nach Ansicht von Blackrock zu den beiden grossen Volkswirtschaften China und USA aufschliessen, wo die Erholung bereits früher eingesetzt hat.

"Der Neustart (der Wirtschaft) ist sehr d ynamisch", sagt Martin Lück, Blackrock-Leiter Kapitalmarktstrategie für Deutschland, die Schweiz, Österreich und Osteuropa in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur AWP. Darin unterscheide er sich darin markant von einem typischen Wirtschaftsaufschwung nach einer Rezession.

In China, wo die Pandemie als erstes grassierte, habe die Erholung bereits im April 2020 eingesetzt. Ein Jahr später hätten die USA wegen fiskalischen Stimulusmassnahmen schnell einen Neustart hingelegt. Der Neustart sei nun auch in Europa angekommen und Europa dürfte bald zu den beiden grossen Volkswirtschaften aufschliessen, sagt Lück.

Wegen der zunehmenden Ausbreitung der Delta-Variante des Coronavirus sei aber eine gewisse Unsicherheit eingekehrt, dass der Neustart doch nicht ganz so stark ausfallen könnte wie erhofft. Doch dies habe mehr mit der Pandemie und weniger mit den Kapitalmärkten zu tun. An den wichtigsten Annahmen ändere dies nur wenig.

Auch wenn es bei zukünftigen Covidwellen gewisse Einschränkungen geben könnte, zu einem vollständigen Lockdown dürfte es wohl nicht mehr kommen, sagt Lück. Zudem dürften nicht Krankheitsverläufe weniger schwer ausfallen und es dürfte weniger Todesfälle geben.

New Nominal schiebt Aktienbewertung an

Der Neustart werde von wichtigen Entwicklungen flankiert. Dazu zählt "The New Nominal" - die neue Nominalzinswelt. Dies bedeutet, dass die Zinsen auch dann tief bleiben, wenn die Inflation über einen gewissen Zeitraum höher ist, weil die Renditen von Staatsanleihen weniger empfindlich als in der Vergangenheit auf höhere Inflationserwartungen und die tatsächliche Inflation reagieren, wie Lück sagt.

Ein Grund dafür ist die neue flexiblere Geldpolitik der US-Notenbank, die in Zukunft auch die Europäische Zentralbank (EZB) verfolgen will. Die Zinsen dürften daher noch längere Zeit niedrig bleiben.

Tiefe Zinsen sind für die Bewertung des Aktienmarktes als Diskontierungsfaktor sehr wichtig. "Je tiefer die Zinsen sind, desto höher ist der Gegenwartswert der zukünftigen Gewinne", sagt Lück. Wichtig sei daher die Aktienrisikoprämie, denn diese zeige die Überrendite, die man erhalte, wenn man in Aktien investiere.

"Tiefe oder negative Realrenditen sind ein grosser Anreiz in reale Anlageformen zu investieren, die vor Inflation schützen (wie Aktien, Immobilien und Rohstoffe). Dieses Bild dürfte vermutlich bis Mitte der Dekade hinaus bestehen bleiben und damit natürlich auch die hohe Attraktivität von Aktien gegenüber zinstragenden Anlagen", sagt Lück.

Dennoch Investitionen in Bonds

"Das heisst aber nicht, dass man gar nicht in Bonds investieren soll", so Lück. Manche Anleger müssten oder wollen einen Teil ihrer Anlagen in absolut sicheren Formen halten, selbst wenn sie dafür eine Prämie bezahlen und es Geld kostet. Blackrock sei in typischen Staatsanleihen wie den Bunds oder den Eidgenossen aber untergewichtet.

Interessante Aspekte bei Anleihen erkennt der Experte aber trotzdem, etwa in chinesischen Staats- und Unternehmensanleihen. Vor dem Hintergrund einer wachsenden Wirtschaft und einer Verbesserung der Schuldnerqualität und des anhaltenden Kapitalzuflusses lockten hier zudem noch Kursgewinne.

Davon dass die zunehmenden Spannungen zwischen China und den USA und Europa zu einem grösseren Problem werden könnten, geht Lück nicht aus. An einer Eskalation sei auch China nicht interessiert, aber das Land lote seinen Handlungsspielraum aus. Zudem hänge der Erfolg der Führung vom wirtschaftlichen Erfolg im Inland ab.

Klimawandel bietet Chancen

Grosse Chancen sieht der weltgrösste Vermögensverwalter auch im Übergang zu einer "Netto Null-Wirtschaft". Dies erfordere enorme Investitionen, Änderungen der Geschäftsmodelle und Innovationen. "Es gibt keine klare Landkarte, aber die Reise zu Net Zero hat begonnen", sagt Lück.

Und nachhaltiges Investieren zahle sich aus. In bestimmten Rohstoffe wie den "grünen" Metallen wie Lithium und Kupfer könnte es einen Boom geben.

Sehr positiv äussert sich Lück auch zum Thema Infrastruktur. Hier komme es ebenfalls zu einem Um- und Neubau, wofür es gigantische Investitionen brauche, die der Staat nicht alleine stemmen, aber mit günstigen Rahmenbedingungen fördern könne.

Einzelempfehlungen gibt Blackrock nicht ab. Potenzial sieht der Vermögensverwalter aber in zyklischen Aktien und Regionen, die von einem breiteren Neustart profitieren. Dabei werden Aktien in Europa positiv, amerikanische und japanische Aktien dagegen neutral beurteilt. In Staatsanleihen der Industrieländer bleibt Blackrock untergewichtet, wie dem Ausblick zum zweiten Halbjahr zu entnehmen ist.

pre/jb