Bern (awp/sda) - Der Rückbau des Atomkraftwerks Mühleberg ist ein Jahr nach dessen Abschaltung auf Kurs. Trotz der Corona-Pandemie sei das Projekt im Zeit- und Kostenplan, hiess es von Seiten des Berner Energiekonzerns BKW am Mittwoch an einer Online-Medienkonferenz.

Nachdem das Werk am 20. Dezember 2019 als erstes in der Schweiz definitiv vom Netz ging, wurden sogleich die ersten Stilllegungs- und Rückbauarbeiten an die Hand genommen.

Unterdessen wurden im gesamten Kernkraftwerk über 3500 Tonnen Material demontiert, davon alleine 2500 Tonnen im Maschinenhaus. Dort wurde Platz für die Infrastruktur zur Reinigung von kontaminiertem Material geschaffen.

Das Material wird teilweise in mehreren Schritten gereinigt, Dabei kommen beispielsweise Nass- und Trockenstrahlanlagen zum Einsatz. Rund 600 Tonnen Metall gehen nach Schweden in eine spezialisierte Recyclingfirma. Diese führt den Wertstoff wieder in den Kreislauf zurück. Rund zwei bis drei Prozent dieses Materials, das noch radioaktiv ist, kommt zurück in die Schweiz, genauer gesagt ins Zwischenlager nach Würenlingen.

Betriebsbewilligung erloschen

Ein erster Meilenstein war im September mit der definitiven Stilllegung erreicht worden. Nach einer Inspektion durch die Atomaufsichtsbehörde Ensi erlosch die Betriebsbewilligung für das Atomkraftwerk definitiv. Offiziell begann damit die Rückbauphase, wie Stefan Klute, Leiter Stilllegung und Entsorgung des AKW Mühleberg, ausführte.

Für die Stilllegung waren sämtliche Brennelemente ins mit Wasser gefüllte Lagerbecken verschoben worden. Dort kühlen die Brennelemente ab, bis sie ab 2022 ins Zwischenlager nach Würenlingen transportiert werden können.

Für das Lagerbecken steht laut BKW ein unabhängigen Sicherheitskühlsystem zur Verfügung. Zudem wurde im Reaktorgebäude nicht mehr benötigtes Material entfernt.

Als Nächstes werden nicht mehr benötigte Systeme im Reaktorgebäude ausser Betrieb genommen und die Kerneinbauten zerlegt. Diese Komponenten sind hoch radioaktiv und werden von Experten mit spezifischen Werkzeug unter Wasser zerschnitten und verpackt.

Die Herausforderung dabei ist laut Klute die Kleinteiligkeit der Arbeit. Die zu zerlegenden Teile befinden sich rund acht Meter unter Wasser. "Aus der Entfernung zu arbeiten ist schwieriger, als wenn man etwas einfach in die Hand nehmen kann", sagte Klute am Mittwoch an einem Mediengespräch.

Für diese Arbeiten hat die BKW externe Fachleute verpflichtet. Weltweit gibt es nur eine Handvoll Firmen, die diese Arbeiten anbieten.

Kontamination im erwarteten Rahmen

Laut Klute konnte die BKW für die Rückbauarbeiten auf ihre langjährigen Erfahrungen durch jährliche Revisionsarbeiten am Kernkraftwerk zurückgreifen. So bauten Spezialisten jährlich etwa sechs Steuerungselemente der Brennstäbe aus und wieder ein. Weniger gut abschätzbar war für die BKW laut Klute, was geschieht, wenn man nicht sechs, sondern alle 57 Steuerungselemente ausbaut.

Bisher verliefen die Rückbauarbeiten praktisch unfallfrei. Klute sprach von lediglich drei kleinen Bagetellunfällen mit Prellungen und Quetschungen.

Auch die Radioaktivität liege im Rahmen der Erwartungen. Die Kollektivdosis liegt gemäss Klute sogar etwas unterhalb des erwarteten Werts.

Nach wie vor arbeiten rund 300 Mitarbeitende und gegenwärtig etwa 50 externe Fachleute am Rückbau des Kernkraftwerks. Im Kommandoraum, in dem im Dezember 2019 der Ausschaltknopf gedrückt wurde, sieht noch fast genau so aus wie damals. Anlageteile, die nicht mehr gesteuert werden müssen, etwa für die ausgebauten Turbinen, wurden überdeckt.

Bis die letzten Brennelemente abtransportiert sind, wird der Personalbestand nicht wesentlich reduziert. Erst wenn kein Brennstoff mehr in der Anlage ist und die Gefahr damit erheblich sinkt, wird es weniger Leute vor Ort brauchen.

Sechs Coronafälle

Unvorhergesehen traf die Coronapandemie die Rückbauarbeiten am Atomkraftwerk. Die BKW verfügte über ein Pandemiekonzept für die Anlage, auf das sie zurückgreifen konnte.

In Mühleberg wird erstmals in der Schweiz ein Leistungsreaktor stillgelegt und zurückgebaut. Am 20. Dezember 2019 wurde der Reaktor vom Netz genommen. Die Stilllegung dauert insgesamt rund 15 Jahre. Die Kosten werden mit rund drei Milliarden Franken veranschlagt.