Hamburg/München/Frankfurt (Reuters) - Die Halbleiterkrise dürfte den Autobauern länger Probleme bereiten als erwartet.

Während Experten und Branchenvertreter bislang auf eine Entspannung in der zweiten Jahreshälfte 2022 hoffen, mehren sich nun Stimmen, die dies erst für 2023 prognostizieren. Europas Marktführer Volkswagen bereitet sich einem Medienbericht sogar auf eine Verschärfung der Halbleiterkrise vor. Für den schlimmsten Fall gehe der Wolfsburger Konzern davon aus, im nächsten Jahr nur rund acht Millionen Autos zu verkaufen, berichtete das "Manager Magazin" am Donnerstag. Selbst wenn es nur halbwegs vernünftig laufe, werde man wahrscheinlich etwas unterhalb der ohnehin schon schwachen Zahlen für 2021 liegen. Auch Daimler und BMW darben.

Volkswagen hatte seine Prognose für dieses Jahr vergangene Woche bereits auf rund neun Millionen Fahrzeuge gedämpft. Bisher war man von Auslieferungen in der Größenordnung des Vorjahres (9,3 Millionen) ausgegangen. Für 2022 rechnet das Management mit einer leichten Erholung. Das erste Halbjahr werde jedoch sehr volatil bleiben, bekräftigte Volkswagen frühere Aussagen. Einen Kommentar zu dem Magazinbericht lehnte VW ab.

Der VW-Betriebsrat schätzt, dass die kommenden Monate für die Mitarbeiter hart bleiben werden. Betriebsratschefin Daniela Cavallo hatte vergangene Woche bei der Präsentation der Investitionsplanung von einer echten Durststrecke gesprochen, die vor dem Unternehmen liege. Schließtage und wegfallende Schichten würden das Unternehmen noch eine Zeit lang belasten. Das Stammwerk in Wolfsburg wird wegen der Lieferengpässe weniger Autos produzieren als zuletzt Ende der 1950er Jahre.

Die VW-Tochter Audi erklärte, man werde auch im kommenden Jahr mit der Halbleiterknappheit zu tun haben. Die Chipkrise sei kein kurzfristiges Problem, sondern werde noch Monate dauern. "Die Lage wird sich Stück für Stück verbessern, einen großen Ruck, mit dem die Knappheit dann aber gänzlich verschwindet, wird es nicht geben." Audi verlängert die Weihnachtsferien in den Werken um einige Tage. Andere Pkw-Marken des Konzerns schränken ihre Produktion ebenfalls ein: Die tschechische VW-Schwester Skoda will den Gewerkschaften zufolge die Werksferien über Weihnachten wegen der Lieferengpässe bis 10. Januar verlängern.

EIN TRUGSCHLUSS

Auch die Stuttgarter Sportwagentochter Porsche geht von einer längeren Durststrecke aus. "Wer glaubt, dass sich die Halbleiterkrise im nächsten Jahr beruhigen wird, unterliegt einem Trugschluss", hatte Porsche-Chef Oliver Blume der "Börsen-Zeitung" bereits Anfang November gesagt. Da die Nachfrage nach Halbleitern aus mehreren Branchen weltweit hoch sei, müsse die Autoindustrie ihr mit grundlegenden Änderungen begegnen: Sie müsse selbst in Chips investieren, mit Halbleiterherstellern kooperieren und Kompetenz in der Konfiguration der Bauteile aufbauen.

BMW hat bereits reagiert und eine Partnerschaft mit den Auftragsherstellern Globalfoundries und Inova Semiconductors geschlossen, um Chips direkt einzukaufen. Im Gegensatz zu einigen anderen machen die Münchner keine längeren Weihnachtsferien und halten an ihrer Einschätzung fest, dass sich die Lage ab Mitte nächsten Jahres entspannen werde.

Beim Stuttgarter Rivalen Mercedes-Benz wird wegen des Halbleitermangels in den Werken Kecskemet in Ungarn und Bremen die übliche Winterpause verlängert, indem sie um eine Woche vorgezogen wurde und schon diese Woche begann. In einem Großteil der Fabriken weltweit laufe die Produktion aber fast uneingeschränkt. "Eine Prognose, wann sich der Engpass auflösen wird, ist derzeit nicht möglich. Die Situation ist weiterhin volatil", erklärte Daimler. Man fahre auf Sicht. "Wir erwarten jedoch, dass sich die Lage im Jahr 2022 gegenüber 2021 stabilisiert."