Berlin (Reuters) - Mit einer schnellen Digitalisierung der Gesundheitsdaten will die Bundesregierung die Pharmaforschung in Deutschland halten: Gesundheitsminister Karl Lauterbach kündigte am Donnerstag an, dass 80 Prozent der Patienten in Deutschland bis 2025 eine elektronische Krankenakte haben sollen.

Bis Ende 2026 sollen dann 300 Forschungsvorhaben diese digitalen Daten nutzen können. Der Gesundheits-Experte Michael Hallek warnte, Deutschland als Wirtschaftsnation würde ohne diese Digitalisierung weiter abrutschen. Bereits jetzt sei Deutschland in der Krebsforschung gegenüber anderen Ländern deutlich zurückgefallen. Lauterbach bedauerte, dass etwa das Mainzer Unternehmen BioNTech seine klinische Forschung wegen fehlender Patientendaten von Deutschland nach Großbritannien verlagere. Bayer kündigte an, in diesem Jahr eine Milliarde Dollar für die Erforschung und Entwicklung neuer Medikamente in den USA auszugeben.

Man wolle nun mit einem digitalen "Turbo-Schub" wieder den Anschluss finden, sagte Lauterbach. In Deutschland wird allerdings seit mehr als 20 Jahren versucht, flächendeckende digitale Gesundheitsakten einzuführen, damit Ärzte und Forscher auf Behandlungsdaten aus der Vergangenheit zurückgreifen können. Bisher existiert diese Akte aber laut Lauterbach erst für weniger als ein Prozent der Patienten. Die nun notwendigen beiden Gesetze sollen in den kommenden Wochen vorgelegt werden. Es gehe um ein Digitalgesetz und ein Gesundheitsdaten-Nutzungsgesetz. Allerdings ist etwa unklar, wer die bisherigen Patientendaten auf die digitale Karte übertragen soll.

Nun soll unter anderem den Durchbruch bringen, dass die elektronische Patientenakte automatisch eingeführt werden soll. Nur für Patienten, die aktiv widersprechen, werde keine digitale Akte angelegt, sagte der Minister. In Österreich hätten nur drei Prozent widersprochen. Bitkom-Präsident Achim Berg forderte Politik und Gesundheitssektor auf, für mehr Akzeptanz zu sorgen: "Aktuell können sich sechs von zehn Deutschen vorstellen, die elektronische Patientenakte zu nutzen - das ist noch zu wenig, kann aber durch gute Aufklärungsarbeit und maximale Transparenz in der Kommunikation gesteigert werden."

"Daten müssen vor Missbrauch geschützt werden, aber sie müssen in Forschung gelangen dürfen. Das darf nicht weiter aktiv verhindert werden", sagte Hallek, der auch Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen ist. Gerade in der Corona-Pandemie habe sich gezeigt, dass man in Deutschland über keine Patienten-Daten verfüge, sondern Auswertungen aus Israel oder Großbritannien. Es sei heute aber so, dass die Forschung vor allem durch die anonymisierte Auswirkung großer Datensätze vorangetrieben werde.

Während die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Dagmar Schmidt, den Vorstoß begrüßte, forderte der Vorstandsvorsitze der Techniker Krankenkasse (TK), Jens Baas, eine praktikable Umsetzung. Gegenüber der "Rheinischen Post" forderte er etwa eine Verpflichtung für Ärzte, die elektronische Patientenakte zu pflegen.

(Bericht von Andreas Rinke; redigiert von Ralf Bode. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)