- von Patricia Weiss

Desinfektionsmittel statt Debatte - für Bayer ist die erste Online-Hauptversammlung eines Dax-Unternehmens ungewohnt ruhig über die Bühne gegangen.

Sonst sind die Proteste von Umweltschützern und anderen Bayer-Kritikern schon vor den Toren des Bonner World Conference Center lautstark zu hören, doch diesmal saß die Bayer-Führungsriege wegen der Coronavirus-Pandemie im eigenen Kommunikationszentrum Baykomm in Leverkusen und blickte in dunkle Kameralinsen. "Natürlich habe ich mir meine letzte Hauptversammlung anders vorgestellt und würde wirklich lieber zu ihnen persönlich im Raum sprechen", sagte der scheidende Aufsichtsratschef Werner Wenning am Dienstag. Doch habe Bayer mit Rücksicht auf die Aktionäre nicht länger mit dem Treffen warten wollen. Denn ihr Beschluss sei die Voraussetzung für eine pünktliche und vollständige Auszahlung der Dividende.

Von der Vorstandsriege stellten sich nur Vorstandschef Werner Baumann und Finanzvorstand Wolfgang Nickl den Fragen der Anteilseigner. Aus dem Aufsichtsrat waren nur Wenning, dessen designierter Nachfolger Norbert Winkeljohann da - jeder an einem Tisch, mit ausreichend Abstand. Baumann, Wenning und dessen Vertreter Oliver Zühlke, der den Aufsichtsratschef als Vertreter der Arbeitnehmer verabschiedete, teilten sich ein Rednerpult, das zwischen den Beiträgen mit Desinfektionsmittel gereinigt wurde. Der Schaumstoff-Überzug der Mikrofone wurde nach jeder Rede erneuert. "Ich muss zugeben, dass dies eine ganz besondere Situation für uns alle hier ist", sagte Baumann. "Einerseits sind wir damit digitaler Pionier - andererseits fehlt uns der direkte Austausch mit Ihnen."

DAUERSENDUNG AUS LEVERKUSEN - KEINE DISKUSSION

Die Aktionäre lauschten den Reden und Antworten derweil vom Sofa oder dem Schreibtisch zuhause, in der Spitze schauten nach Unternehmensangaben 5000 Menschen zu - mehr als zuletzt nach Bonn kamen. "Es gibt keinen Austausch, es gibt keinen Dialog", kritisierte Marc Tüngler, der für die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) auf Hauptversammlungen spricht. Vier Stunden beantwortete der Bayer-Vorstand unermüdlich Fragen, die zwei Tage im Voraus eingereicht werden mussten. Vorselektiert worden sei dabei nichts, betonte Bayer - obwohl das Corona-Gesetz das erlauben würde. "Wir werden auf alle Fragen eingehen, wie bei jeder unserer Hauptversammlungen", sagte Finanzvorstand Nickl. Bayer habe diesmal 245 Fragen von 40 Aktionären erhalten. In den vergangenen drei Jahren seien es im Schnitt 239 Fragen von 51 Anteilseignern gewesen.

Auf die drängendste Frage vieler Anteilseigner gab es aber wie auch schon bei der Veröffentlichung der Quartalszahlen am Montag keine konkrete Antwort: wann mit einer Einigung in den Vergleichsverhandlungen zur Glyphosat-Klagewelle in den USA zu rechnen sei. "Entscheidend ist nicht der Zeitfaktor", betonte Baumann und bekräftigte, dass Bayer einer Lösung nur zustimmen werde, wenn diese "wirtschaftlich sinnvoll und so strukturiert ist, dass zukünftige Fälle effizient zum Abschluss gebracht werden". Ein teurer Vergleich würde aber dazu führen, dass der Konzern seine Rentabilitätsziele später erreiche als geplant und der Abbau der Schulden länger dauere. Die Schulden waren mit der 63 Milliarden Dollar schweren Monsanto-Übernahme gestiegen - mit der sich Bayer die Klagewelle erst ins Haus geholt hatte.

Unzufriedene Aktionäre hatten der Bayer-Führungsetage im vergangenen Jahr eine schwere Niederlage zugefügt: Der Vorstand um Baumann wurde nicht entlastet - ein bis dahin einmaliger Vorgang im Dax. Diesmal lief es besser: Wichtige Anteilseigner und Aktionärsberater hatten angekündigt, für eine Entlastung zu stimmen, letztlich bekam der Vorstand eine Mehrheit von gut 85 Prozent des vertretenen Kapitals, knapp acht Prozent enthielten sich. Kritik gab es gleichwohl: Bayer habe zwar einen Kurswechsel eingeleitet, der in die richtige Richtung gehe, sagte Janne Werning von der Fondsgesellschaft Union Investment. Der Reputationsschaden wiege aber immer noch schwer. Auch Ingo Speich, Leiter Corporate Governance und Nachhaltigkeit beim Wertpapierhaus Deka, sieht den Monsanto-Deal kritisch: "Die Bayer-Aktie war einmal ein Stabilitätsgarant in Krisenzeiten - das ist nun Geschichte. Die Taktik, Bayer durch Monsanto krisenfester und stärker zu machen, ist bisher gescheitert."