LEVERKUSEN (dpa-AFX) - Die Aktionäre des Pharma- und Agrarchemiekonzerns Bayer erleben seit Monaten ein Auf und Ab. Nach langer Kurstalfahrt im Sog der teuren Glyphosat-Streitigkeiten in den USA trieb die Hoffnung auf eine Einigung mit den Klägern eine Kurserholung an. Die Corona-Pandemie macht all das zunichte, obwohl die Leverkusener laut Experten vergleichsweise wenig unter der Krise leiden und sich das Tagesgeschäft nach teils schwierigen Zeiten sogar weiter erholt. Was bei Bayer los ist, was die Analysten sagen und wie die Aktie zuletzt lief.

DAS IST LOS BEI BAYER:

Derzeit ächzen viele Konzerne unter den Lasten der Corona-Krise. Anders bei Bayer: Zwar könnte die Krise im Jahresverlauf Kratzer hinterlassen, insgesamt stehen die Leverkusener aber recht gut da.

Gerade in den USA dürfte das Geschäft mit Mais- und Sojasamen dieses Jahr besser laufen, nachdem 2019 Überschwemmungen in Teilen des Mittleren Westens den Bauern das Leben schwergemacht hatten. Zugleich bleibt das Geschäft mit rezeptfreien Medikamenten der Sparte Consumer Health auf Erholungskurs. Der Umbau des Segments inklusive des Verkaufs schwächelnder US-Geschäftsteile rund um Sonnenschutz und Fußpflege zahlt sich aus. Im Pharmageschäft bleibt abzuwarten, ob die Verschiebung nicht dringend notwendiger Behandlungen wegen des Platzbedarfs der Krankenhäuser für Corona-Patienten gebremst haben. Am ehesten könnte sich das Experten zufolge auf das Augenmedikament Eylea und - weniger stark - auf den Gerinnungshemmer Xarelto auswirken.

Zu Xarelto gab es zuletzt positive Nachrichten: Analysten lobten Studiendaten zu Patienten mit Durchblutungsstörungen in den Beinen, die sich deswegen einem Eingriff unterziehen mussten. Sie hoffen nun auf noch mehr Umsatz für einen der wachstumsstärksten Kassenschlager von Bayer. Und auch zum Hoffnungsträger Vericiguat gegen Herzinsuffizienz gab es zuletzt positive Studiensignale.

Die Leverkusener stärken zudem beständig das Arsenal an Mitteln zur Behandlung von Krebs. So darf Darolutamid seit jüngstem auch zur Behandlung von Prostatakrebs in der Europäischen Union verkauft werden. Überdies sicherte sich Bayer vor einiger Zeit die Rechte am Krebswirkstoff Larotrectinib (Vitrakvi), der in den USA und der EU zur Behandlung bestimmter Tumore zugelassen ist.

Abseits des Tagesgeschäfts treibt Investoren und Analysten das Thema Glyphosat weiter um. Eigentlich rechneten Experten mit einer Lösung im US-Rechtsstreit um angebliche Krebsrisiken des Unkrautvernichters vom übernommenen US-Saatgutkonzern Monsanto bis zur Hauptversammlung am 28. April. Dem Vernehmen nach dürfte dies das Ziel von Bayer gewesen sein, auch um Druck von Konzernchef Werner Baumann zu nehmen.

So hatte das "Wall Street Journal" Mitte März über einen Vergleichsentwurf berichtet, auf den sich Bayer mit sechs Anwaltskanzleien geeinigt habe. Der Kompromiss sehe laut Insidern eine Zahlung in der Größenordnung von zehn Milliarden US-Dollar vor, hatte es geheißen.

Ob der Zeitplan angesichts der Virus-Krise zu halten ist, scheint aber fraglich. Ein erneutes Misstrauensvotum der Aktionäre wie im vergangenen Jahr muss Baumann dieses Jahr wohl dennoch nicht fürchten. Dass ein Vergleich womöglich nicht vor der Hauptversammlung gefunden werden konnte, sei kein Malus, sagt Mark Tüngler von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) . "Entscheidend ist, dass ein nicht zu schmerzhafter Vergleich kommt, nicht wann er kommt."

Zudem stellen sich einflussreiche angelsächsische Aktionärsberater dieses Jahr nicht offen gegen die Konzernspitze. Der Institutional Shareholder Services (ISS) fürchtet zwar weitere Belastungen für Wert und Reputation durch den Glyphosat-Rechtsstreit, rät aber, für Baumanns Entlastung zu stimmen. Glass Lewis rät zur Stimmenthaltung.

Mit Blick auf die Kosten eines möglichen Vergleichs sieht Bayer sich jedenfalls gut gerüstet. Das hatte Finanzchef Wolfgang Nickl bereits Ende Februar betont. Allein der Verkauf der Tiermedizin soll Bayer 7,6 Milliarden Dollar (rund 7 Mrd Euro) einbringen - den Großteil davon in bar, einen kleineren Teil in Aktien des Käufers Elanco.

Womöglich kommt alles im Falle einer coronabedingten Verzögerung auch ganz anders als gedacht, und Bayer wartet die Berufungsverhandlungen in den erstinstanzlich verlorenen Prozessen ab. Sollte hier eine Entscheidung zugunsten der Leverkusener fallen, könnte das alles ändern.

DAS SAGEN ANALYSTEN:

Analysten sind Bayer gegenüber mehrheitlich positiv gestimmt. Neun der 13 seit der Vorlage der Jahreszahlen für 2019 Ende Februar im dpa-AFX-Analyser erfassten Experten raten zum Kauf der Aktien, vier sagen "Halten". Eine Verkaufsempfehlung spricht keiner aus.

Das durchschnittliche Kursziel der Analysten liegt bei rund 81 Euro, also mehr als 35 Prozent über dem aktuellen Niveau. Dabei sehen alle durch die Bank Luft nach oben. Zu den zumindest mit Blick auf das Kursziel eher vorsichtigen Experten gehört dabei Ulrich Huwald von Warburg Research. Er sieht mittelfristig Luft bis 66 Euro.

Huwald rechnet mit einen guten Jahresstart des Dax-Konzerns und geht von einer Bestätigung der Jahresziele bei der Vorlage der Zahlen für das erste Quartal aus. Bayer dürfte die Jahresprognosen trotzt der Corona-Krise erreichen, glaubt Huwald. Das Unternehmen sei mit rezeptfreien und verschreibungspflichtigen Medikamenten gut positioniert, um die geringere Nachfrage nach Medikamenten im Zusammenhang mit chirurgischen Eingriffen wie dem Gerinnungshemmer Xarelto sowie nach dem Augenmittel Eylea auszugleichen. Gleichzeitig sollte das Agrargeschäft stabilisierend wirken, auch weil die Anbauflächen der Farmer in Nordamerika dieses Jahr größer sein dürften, nachdem ihnen letztes Jahr schlechtes Wetter einen Strich durch die Rechnung gemacht hatte.

Insgesamt erscheine Bayer recht robust, was die Folgen der weltweiten Coronavirus-Pandemie angeht, sagt auch Analyst Markus Mayer von der Baader Bank. Zwar würden viele nicht dringend notwendige Operationen in Krankenhäusern verschoben, was auf der Nachfrage etwa nach dem Gerinnungshemmer Xarelto lasten könnte. Bei anderen Medikamenten - gerade bei denen gegen Krebs - könnte das aber anders aussehen. Die Nachfrage nach rezeptfreien Mitteln gegen Erkältungen und Grippe dürfte vom Coronavirus profitiert haben. Mit Blick auf das Agargeschäft sieht Mayer zumindest vorerst kaum Einschränkungen, da Landwirtschaft zur kritischen Infrastruktur zähle.

Mayer zählt mit einem Kursziel von 105 Euro zu den größten Optimisten. Das Potenzial von Bayer erscheine auf dem aktuellen Niveau nicht ausreichend eingepreist, erklärt er. Das gelte auch mit Blick auf die erwartete Einigung im Glyphosat-Streit, wenngleich die Virus-Krise einen Vergleich verzögern könnte. Der Experte rechnet mit der Einigung zwischen April und Juni und sieht sie als möglichen größeren Kurstreiber. Für Bayer spricht in seinen Augen zudem die Dividendenrendite - also, dass Bayer anders als viele anderen Unternehmen dieses Jahr überhaupt die Aktionäre am Gewinn teilhaben lässt.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Bis zum Beginn des Corona-Crashs an den Aktienbörsen waren die Bayer-Papiere auf Erholungskurs. Mit etwas mehr als 78 Euro kosteten sie Anfang Februar so viel wie zuletzt im Herbst 2018. Im Sog des Corona-Kurssturzes, der ab dem 24. Februar so richtig Fahrt aufnahm, ging es dann bis auf weniger als 45 Euro nach unten.

Aktuell kosten die Anteilsscheine knapp 60 Euro. Mit einem Plus von rund 34 Prozent seit dem Corona-Tief liefen die Bayer-Papiere damit dem deutschen Leitindex Dax sogar ein wenig voraus. So erholte sich das Börsenbarometer vom Crash-Tief bislang um gut 27 Prozent.

Längerfristig bleibt das Bild trüb: Seit der ersten Glyphosat-Prozessschlappe im August 2018 steht auf dem Kurszettel immer noch ein Minus von rund 36 Prozent. Vom Rekordhoch von 146,45 Euro von aus dem Frühjahr 2015 ging es sogar um fast 60 Prozent abwärts.

Immerhin schafft es Bayer mit einem Marktwert von 59 Milliarden Euro noch unter den Top 10 im Dax. Allerdings bringen die Leverkusener damit auf Basis des aktuellen Euro-Dollar-Wechselkurses nun in etwa so viel auf die Börsenwaage, wie sie für Monsanto gezahlt haben. Im April 2015 auf Kurs-Rekordniveau hatten sie mit einer Marktkapitalisierung von 120 Milliarden Euro noch den Spitzenplatz im Dax inne.

Damals konnte in Sachen Börsenwert nur Volkswagen den Leverkusenern knapp das Wasser reichen. Nach Dieselskandal und Autoflaute ist der Wert der Wolfsburger aber auch eingebrochen, und zwar auf zuletzt rund 63 Milliarden Euro. Damit hinken die Börsenwerte der beiden Konzerne dem einsamen Dax-Spitzenreiter SAP, der es auf rund 132 Milliarden Euro bringt, sogar zusammen hinterher./mis/eas/fba