FRANKFURT (Dow Jones)--Nach den jahrelangen Prozessen um die angeblich krebserregende Wirkung des Unkrautvernichters Glyphosat steht Bayer jetzt vor einer womöglich richtungsweisenden Entscheidung. Voraussichtlich am Montag wird der Oberste Gerichtshof der USA verkünden, ob er sich mit einem Berufungsantrag in einem Einzelfall befasst, den der Pharma- und Agrarkonzern im August vergangenen Jahres zur Begutachtung vorgelegt hat. Eine Annahme ist allerdings nicht sehr wahrscheinlich, da die Generalstaatsanwältin Elizabeth Prelogar als Vertreterin der US-Regierung beim Supreme Court Anfang Mai bereits eine Ablehnung empfahl.

Konkret geht es um den Fall des Rentners Edwin Hardeman, der seine Krebserkrankung auf die jahrelange Nutzung des unter dem Namen Roundup vertriebenen glyphosathaltigen Herbizids zurückgeführt und den Hersteller Monsanto noch vor dessen Übernahme durch Bayer verklagt hatte. Hardeman bekam 25 Millionen Dollar Entschädigung zugesprochen. Bayer unterlag nicht nur vor einer Geschworenenjury, sondern anschließend auch in der kalifornischen Berufungsinstanz.

Bayer hofft, dass sich der Supreme Court trotz negativen Votums der US-Regierung mit dem Fall beschäftigt und anschließend die bisherigen Urteile kippt. Vorstandschef Werner Baumann setzt darauf, mit einer höchstrichterlichen Entscheidung zugunsten seines Unternehmens alle künftigen Rechtsstreitigkeiten im Prinzip vermeiden zu können. Er sieht dafür gute Chancen. Nachdem die US-Umweltbehörde EPA Herbizide auf Glyphosatbasis als sicher und nicht krebserregend bezeichnet hat, wären Warnhinweise wegen möglicher Krebsrisiken auf den Roundup-Packungen falsch gewesen, so die Argumentation.

Bayer hat allerdings vorgesorgt, sollte der Supreme Court den Fall nicht annehmen oder im Sinne Hardemans entscheiden. Dafür wurde im vergangenen Sommer eine Rückstellung über 4,5 Milliarden Dollar gebildet. Mit dem Geld soll ein Programm finanziert werden, um in den nächsten 15 Jahren die Forderungen potenzieller neuer Kläger in den USA in Eigenregie zu lösen.

Krebserkrankten, die künftig eine Klage gegen Bayer erwägen, soll unter bestimmten Bedingungen die Teilnahme an einem Verfahren angeboten werden, bei dem sie außergerichtlich eine Entschädigung bekommen können. Auch wenn die Summen deutlich geringer ausfallen dürften, als die bisher von Jurys verhängten Schadensersatzzahlungen, könnten dies attraktiv sein, weil die Betroffenen sich jahrelange, unwägbare Gerichtsverfahren ersparen und ihre Entschädigung nicht mit Anwälten teilen müssten.

Überdies soll es den Unkrautvernichter Roundup ab dem nächsten für Privatleute in den USA nur noch ohne den Wirkstoff Glyphosat geben. Da Gärtner und Hausbesitzer das Gros der bisherigen 138.000 Kläger ausmachten, dürfte auch dies zu einem Ende der Rechtsstreitigkeiten führen.

Nach der 63 Milliarden Dollar schweren Übernahme des Roundup-Entwicklers Monsanto im Juni 2018 hatten große US-Anwaltskanzleien eine beispiellose Klagewelle gegen Bayer losgetreten. Sie beriefen sich dabei auf die Krebsforschungsagentur IARC, die den Wirkstoff Glyphosat 2015 als "wahrscheinlich krebserregend" einstufte. Bayer hat diesen Vorwurf immer wieder zurückgewiesen und bekam dabei auch immer wieder Unterstützung von den Behörden.

Bayer ist bislang bei drei Verfahren in erster Instanz zu millionenschweren Schadenersatzzahlungen verdonnert worden und war auch in den folgenden Berufungsverfahren nicht erfolgreich. Neben dem Fall Hardeman hat Bayer im März auch den des Ehepaars Pilliod vor den Obersten Gerichtshof gebracht. Auch hier dürfte im Sommer eine Entscheidung fallen, ob das Gericht sich damit befasst.

Seit Bayer im Sommer 2020 einen Vergleichsplan über 11,6 Milliarden Dollar auf den Tisch gelegt hat sind bislang 107.000 Verfahren per Vergleich beigelegt worden. Mit den restlichen rund 31.000 Klägern will Bayer künftig einvernehmliche Lösungen nur noch eingehen, die aus Sicht des Konzerns finanziell vernünftig sind. Ansonsten müssen die Anwälte ihre Verfahren durchklagen. Jüngste Erfolge machen Bayer hier selbstbewusst: Erstinstanzlich wurden Ende 2021 zwei Glyphosat-Fälle vor Geschworenen gewonnen, am Donnerstag nun noch ein dritter.

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June 10, 2022 03:50 ET (07:50 GMT)