Von Olaf Ridder

FRANKFURT (Dow Jones)--Bayer-Chef Bill Anderson muss am Dienstag erklären, wie er den angeschlagenen Pharma- und Agrarchemiekonzern aus der Krise führen will. Vor neun Monaten ist der ehemalige Roche-Manager mit Vorschusslorbeeren gestartet, konnte den Niedergang des Aktienkurses bislang aber nicht stoppen. Rund 45 Prozent an Wert hat das Papier allein seit seinem Amtsantritt eingebüßt, umso mehr wird der Kapitalmarkttag zu einem Lackmustest dafür, ob der Markt dem unprätentiösen Texaner glaubt, das Ruder herumreißen zu können.

Bayer legt seine Bilanz am frühen Dienstagmorgen vor. Am Nachmittag wollen Anderson und der Vorstand den Kapitalmarkt im Detail über die neue Strategie informieren.


   Bilanzzahlen eher nachrangig 

Die Zahlen für 2023 dürften deshalb eine untergeordnete Rolle spielen. Analysten haben eine leichte Enttäuschung eingepreist: Beim bereinigte EBITDA wird die im Sommer gesenkte Konzernprognose nach ihrem Konsens um etwa 300 Millionen Euro verfehlt und beim bereinigten Ergebnis je Aktie liegen die Erwartungen um fast 20 Cent unter der Spanne. Was nicht so bedeutsam ist, da Bayer die Dividende ja schon auf ein Minimum zusammengestrichen hat.

Mit Blick auf das neue Jahr fehlt dem Markt aktuell fast jede Wachstumsfantasie. Abgesehen vom Geschäft mit Gesundheitsprodukten und freien Arzneien rechnen Analysten im Konsens damit, dass Bayer für 2024 rückläufige Umsatz- und Ergebniskennziffern ankündigen wird.


   Wird Consumer Health zu Geld gemacht? 

Umso mehr wird es auf Andersons Pläne für die Zukunft von Bayer ankommen. Dass er einen großen Wurf mit einer Zerschlagung des Unternehmens ankündigen wird, ist insofern ausgeschlossen, als er im November zur Quartalsbilanz schon erklärt hat, dass eine komplette Aufspaltung in drei Teile nur als zweistufiger Prozess denkbar sei. Bliebe neben der Beibehaltung von drei Divisionen eine Trennung vom Agrargeschäft oder von Consumer Health, dem Geschäft mit rezeptfreien Gesundheitsprodukten.

Letzteres erscheint den Analysten von Barclays als "praktischste und plausibelste" Option, Geld in die Kasse zu bekommen und den Bedenken der Anleger Rechnung zu tragen. "Obwohl das Geschäft relativ klein ist, hat es sich den letzten Jahren gut entwickelt", schrieben sie. Für einen solchen Schritt spricht auch, dass Bayer am Donnerstag ankündigte, den bisherigen Chef Heiko Schipper vorzeitig per Ende April auszutauschen. Der gebürtige Niederländer führte Consumer Health seit 2018 und hat die Sparte wieder auf Kurs gebracht.


   Crop Science fehlt nach wie vor eine Lösung für Glyphosat-Risiken 

Das Agrargeschäft Crop Science dürfte in seiner jetzigen Verfassung mit den fortbestehenden Glyphosat-Risiken aber wohl unverkäuflich sein, auch ein Börsengang wäre kaum möglich. Zuletzt hatte Bayer in den USA wieder einige Schadensersatzprozesse im Zusammenhang mit dem Unkrautvernichter verloren. Eine Jury verdonnerte Bayer kürzlich zu einer Rekordstrafe von 2,25 Milliarden Dollar. Auch wenn die Summe ziemlich sicher revidiert wird, tragen derartige Urteile dazu bei, dass sich Unsicherheit breit macht, ob die vor Jahren gebildeten milliardenschweren Rückstellungen ausreichen werden. In diesem Zusammenhang bedeutsam ist die Nachricht, dass US-Juristin Lori A. Schechter, eine Litigation-Expertin, in den Aufsichtsrat einziehen soll.

Die 63 Milliarden Dollar schwere Übernahme von 2018 belastet die Bayer-Bilanz so massiv, dass sich der Vorstand kürzlich entschloss, die Dividende für die nächsten drei Jahre auf das Minimum von 11 Cent zu beschränken. Denn es gelingt Bayer angesichts hoher Glyphosat-Auszahlungen zunehmend weniger, die Schulden von zuletzt knapp 39 Milliarden Euro zu reduzieren.


   Baader bringt Kapitalerhöhung als Option ins Spiel 

So bezahlten die Anleger nun nicht mehr nur mit einem schwächeren Aktienkurs für frühere Fehlentscheidungen des Managements, konstatierte Baader Helvea. Doch der Dividendenschnitt wird nach Einschätzung von Baader-Analyst Martin Schnee nicht reichen, um das Investment-Grade-Rating zu erhalten. Bayer könnte eine Kapitalerhöhung nachschieben, ungefähr 5 Milliarden Euro seien nötig, wenn alternativ auf den Verkauf größerer Vermögenswerte verzichtet werde, hat er berechnet. "Eine externe Finanzspritze wird keine leichte Aufgabe sein, ist aber machbar", so Schnee.

Lüften wird Anderson das Geheimnis, wie viele Hierarchieebenen und Manager mit dem vereinfachten Organisationsmodell ihren Job verlieren werden und wie hoch die erhofften Einsparungen ausfallen. Bayer will seinen Teams etwa größere Freiräume geben, Budgets für 90 Tage und das gültige interne Regelwerk um 99 Prozent entschlacken. Produktentwicklungen sollen so erheblich beschleunigt werden. Zunächst wird ein Personalabbau aber wohl kosten, denn bis Ende 2026 sind betriebsbedingte Kündigungen in Deutschland ausgeschlossen.

Im Pharmageschäft wird Bayer erklären müssen, wie es nach dem Rückschlag beim Gerinnungshemmer Asundexian weitergeht. Der vielversprechende Nachfolger für den Bestseller Xarelto, dessen Patentschutz in Kürze ausläuft, hat sich im Sommer in einer entscheidenden klinischen Studie als Ausfall erwiesen. Weiterer Nachschub aus der Pharma-Pipeline lässt nach bisherigem Stand der Dinge auf sich warten.


Nachfolgend eine Auswertung der Prognosen von Analysten zum vierten Quartal und für das Gesamtjahr 2023:


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.                                  PROG  PROG  PROG 
4. QUARTAL                         4Q23  ggVj  Zahl    4Q22 
Umsatz Konzern                   11.649   -3%    14  12.000 
-Pharmaceuticals                  4.806   -1%    14   4.855 
-Consumer Health                  1.569   +3%    14   1.524 
-Crop Science                     5.228   -6%    14   5.569 
EBITDA bereinigt Konzern          2.274   -8%    14   2.462 
-Pharmaceuticals                  1.277  -11%    14   1.433 
-Consumer Health                    357  +14%    14     313 
-Crop Science                       835   +2%    14     820 
Ergebnis nach Steuern u Dritten     634   +4%    14     611 
Ergebnis je Aktie Core             1,46   +8%    14    1,35 
 
.                                  PROG  PROG  PROG 
GESAMTJAHR                         Gj23  ggVj  Zahl    Gj22 
Umsatz Konzern                   47.424   -7%    14  50.739 
-Pharmaceuticals                 18.308   -5%    14  19.252 
-Consumer Health                  6.018   -1%    14   6.080 
-Crop Science                    22.868   -9%    14  25.169 
EBITDA bereinigt Konzern         10.957  -19%    14  13.513 
-Pharmaceuticals                  5.200  -11%    14   5.873 
-Consumer Health                  1.384   +1%    14   1.367 
-Crop Science                     4.803  -30%    14   6.867 
Ergebnis nach Steuern u Dritten  -3.644 -188%    14   4.150 
Ergebnis je Aktie Core             6,01  -24%    14    7,94 
 
.                                  PROG  PROG 
GESAMTJAHR                         Gj24  Zahl 
Umsatz Konzern                   47.337    14 
-Pharmaceuticals                 18.262    14 
-Consumer Health                  6.184    14 
-Crop Science                    22.672    14 
EBITDA bereinigt Konzern         10.690    14 
-Pharmaceuticals                  5.028    15 
-Consumer Health                  1.449    15 
-Crop Science                     4.718    15 
Ergebnis nach Steuern u Dritten   3.345    14 
Ergebnis je Aktie Core             5,57    14 
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ERLÄUTERUNGEN:

- Angaben in den Tabellen in Millionen Euro, Ergebnis je Aktie in Euro

- Bilanzierung nach IFRS

- Quellen: Angaben des Unternehmens. Prognosen von Vara Research (Stand: 7. Februar 2024).

- ggVj = Veränderung in Prozent gegenüber dem entsprechenden Vorjahreszeitraum

- das Geschäftsjahr entspricht dem Kalenderjahr

- alle Angaben ohne Gewähr

Kontakt zum Autor: olaf.ridder@wsj.com

DJG/rio/mgo

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March 04, 2024 23:45 ET (04:45 GMT)