Berlin/Düsseldorf (Reuters) - Durch das Niedrigwasser am Rhein droht der von Materialengpässen, hohen Energiekosten und schwächelnden Weltwirtschaft geplagten deutschen Industrie neues Ungemach.

"Seit Mitte Juli sind die Pegelstände im Rhein so niedrig, dass sie den Frachtverkehr spürbar beeinträchtigen", sagte der Konjunkturexperte des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Nils Jannsen, am Freitag. In der Vergangenheit sei die Industrieproduktion um etwa ein Prozent gedrückt worden, wenn die Pegelstände eine kritische Marke für einen Zeitraum von 30 Tagen unterschritten. "2018, als die Schifffahrt auf dem Rhein zuletzt für längere Zeit durch Niedrigwasser behindert wurde, wurde die Industrieproduktion in der Spitze um etwa 1,5 Prozent gedrückt", sagte der Experte. "Zusätzliche Belastungen könnten allerdings daraus resultieren, dass die Binnenschifffahrt ein relativ wichtiges Transportmittel für Energierohstoffe ist."

Der Wasserstand auf dem Rhein ist zuletzt wegen des heißen Sommerwetters und ausbleibender Regenfälle weiter gesunken. Besonders niedrig ist der Wasserstand an der Engstelle Kaub bei Koblenz: Der Referenzwasserstand liegt bei nur noch 56 Zentimetern. Schiffe brauchen aber etwa 1,5 Meter, um voll beladen fahren zu können. "Wir fahren weiter, können aber nur etwa 25 bis 35 Prozent der Schiffskapazität beladen", sagte der Direktor der Schifffahrtsgenossenschaft DTG, Roberto Spranzi, die rund 100 Schiffe auf dem Rhein betreibt. "Das bedeutet, dass Kunden oft drei Schiffe benötigen, um ihre Fracht zu transportieren - statt nur einem."

Die Spotpreise für ein Flüssigtankschiff von Rotterdam nach Karlsruhe, südlich von Kaub, stiegen am Freitag auf etwa 94 Euro pro Tonne. Das ist ein Plus von zwei Euro zum Vortag, sagten Schiffsmakler. Noch im Juni mussten nur 20 Euro pro Tonne bezahlt werden.

Die Behörden machen den Fluss bei Niedrigwasser nicht dicht. Sie überlassen es den Schiffsbetreibern, ob diese den Rhein weiter befahren wollen oder nicht. "Wir werden weiter machen, solange es navigatorisch möglich ist", sagte Spranzi. Die Schiffskapazitäten seien bereits knapp, da die Nachfrage gestiegen sei. Ein Grund dafür sei, dass Deutschland die Stromerzeugung aus Kohle erhöhen wolle, um sich für reduzierte Gaslieferungen aus Russland zu wappnen.

BASF - DROSSELUNG DER PRODUKTION NICHT AUSGESCHLOSSEN

Der Rhein ist ein wichtiger Schifffahrtsweg für Rohstoffe wie Getreide, Chemikalien, Mineralien, Kohle und Ölprodukte einschließlich Heizöl. Unternehmen beobachten die Pegelstände genau. Am Pegel Kaub seien für die nächsten zwei Wochen Pegel im Bereich von 30 bis 35 Zentimetern prognostiziert, so dass dann einige Schiffstypen nicht mehr eingesetzt werden könnten, sagte eine BASF-Sprecherin. Aktuell sei die Produktion des Chemiekonzerns nicht beeinträchtigt. "Wir können aber für die nächsten Wochen Reduktionen in den Produktionsraten einzelner Anlagen nicht vollständig ausschließen."

Der Stahlkonzern Thyssenkrupp hat nach eigenen Angaben wegen des Niedrigwassers verschiedene Maßnahmen ergriffen. "Unsere Rohstoffbedarfe sind auf dieser Basis derzeit gesichert", so der Konzern. Der Chemiekonzern Evonik erklärte, die Produktion laufe. "Gegenwärtig bestehen bei Evonik durch Rhein-Niedrigwasser keine signifikanten Einschränkungen für unsere Logistikketten." Wo sinnvoll und technisch möglich sorge Evonik etwa durch Lagerbestände von Rohstoffen vor.

Der Energiekonzern Uniper hatte bereits am Donnerstag gewarnt, dass das Niedrigwasser den Kohlenachschub für wichtige Kraftwerke gefährde. Deshalb könne es bei der Stromproduktion in den Kraftwerken Staudinger in Hessen und Datteln in Nordrhein-Westfalen bis zum 7. September zu Unregelmäßigkeiten kommen.

In der Schweiz beeinträchtigen Kühlwasserprobleme derweil die Stromproduktion. Weil die Wassertemperaturen in der Aare zu hoch sind, muss das Energieunternehmen Axpo die Produktion im Kernkraftwerk Beznau mit seinen zwei Blöcken mit jeweils 365 Megawatt bis voraussichtlich 12. August drosseln - und zwar jeweils bis zur Hälfte, wie aus einer Notiz der Großhandelsbörse EEX hervorgeht.

(Bericht von Annelie Palmen, Vera Eckert, Michael Hogan, Matthias Inverardi und Rene Wagner, bearbeitet von Hans Seidenstücker, redigiert von Hans Busemann; Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com)