Von Anna Hirtenstein und Paul J. Davies

NEW YORK (Dow Jones)--Anleger stürzen sich derzeit in US-Staatsanleihen mit längeren Laufzeiten. Sie spekulieren schlichtweg darauf, dass die US-Notenbank Fed schneller gegen die Inflation vorgehen wird, was längerfristig zu einem langsameren Wachstum und niedrigeren Zinssätzen führt.

Die Renditen von Anleihen mit kürzerer Laufzeit nahmen zuletzt zu und ihre Preise fielen, was die höheren Zinserwartungen nach der Fed-Sitzung in der Vorwoche widerspiegelt. Gleichzeitig ging es für die Renditen von Anleihen mit längeren Laufzeiten nach unten, da höhere Zinssätze auf kurze Sicht wahrscheinlich ein langsameres Wachstum und niedrigere Zinssätze auf längere Sicht bedeuten würden. Diese Verschiebungen führten zu einer Abflachung der Renditekurve, die auch als "Flattening" bezeichnet wird.


   Massive Abflachung der US-Zinsstrukturkurve 

"Sie verflacht sich massiv. Die Bewegung war ziemlich brutal auf dem Markt", meint Laurent Crosnier, Chef Investor bei der Londoner Niederlassung von Amundi. Die Fed signalisierte vergangene Woche, dass einige Entscheidungsträger zwei Zinserhöhungen im Jahr 2023 erwarten. Zudem gebe es Stimmen in der Fed, die ein eventuell früheres Zurückfahren der Anleihekaufprogramme wollen, obwohl der Zeitpunkt ungewiss bleibt. Die Fed erhöhte auch die Inflationsprognosen und erklärte, dass, wenn die Erwartungen höherer Preise das Verhalten von Verbrauchern und Unternehmen beeinflussen, sie handeln könnte, um diese zu kontrollieren. Dies stellt eine Abkehr von der vorherigen Betonung dar, dass die Inflation überschießen darf, bis die Erholung sicherer ist.

Die größten Bewegungen seit der Fed-Sitzung gab es bei der Differenz zwischen den 2-jährigen und den 30-jährigen Renditen. Diese ist laut Factset um 0,25 Prozentpunkte gefallen, was hauptsächlich auf einen Rückgang der 30-jährigen Renditen um 0,2 Prozentpunkte auf 2,023 Prozent zu Wochenauftakt zurückzuführen ist. Der Abstand zwischen der 2-jährigen und der 10-jährigen Rendite ist ebenfalls deutlich gesunken. Beide Lücken sind nun wieder auf dem engsten Niveau seit Anfang Februar, bevor ein Ausverkauf an den US-Staatsanleihe-Märkten die längerfristigen Renditen stark ansteigen ließ.


   Früher als erwartet wohl Vollbeschäftigung in den USA 

Eine wichtige Änderung, die Fed-Chef Jerome Powell hervorhob, kam in seinen Kommentaren zu den Arbeitsmärkten und der hohen Anzahl von Menschen, die während der Covid-Krise in den Ruhestand gegangen sind, wodurch die Zahl der Arbeitskräfte schrumpfte. Dies bedeutet, dass die Wirtschaft wahrscheinlich früher als erwartet die Vollbeschäftigung erreicht. Die hohe Arbeitslosigkeit war die Rechtfertigung der Fed dafür, die Inflation in den vergangenen Monaten heiß laufen zu lassen. "Die Beschäftigung ist die Schlüsselvariable", argumentiert Alberto Gallo, Leiter der globalen Kreditstrategien beim Fondsmanager Algebris.

Engpässe auf dem Arbeitsmarkt und mehr Pensionierungen könnten zu einer stärkeren Lohninflation führen, die sich längerfristig auch auf andere Preise auswirkt als etwa auf die von Rohstoffen. Aber es bleibt schwer vorherzusagen, wie viele neue Arbeitsplätze geschaffen werden und wie viele Pensionierungen sich als dauerhaft erweisen, sagt Gallo weiter. "Lohninflation ist keine schlechte Sache für die Gesellschaft, aber sie könnte mehr Volatilität für die Finanzmärkte bedeuten."


   Fed dürfte kaum eine sehr hohe Inflation in Kauf nehmen 

Insbesondere die Anleihemärkte könnten mehr Volatilität erleben, da die Toleranz der Fed für Inflation geringer ist, als die Leute dachten, so Seamus Mac Gorain, Leiter des Bereichs Global Rates beim JP-Morgan-Asset-Management. "Das bedeutet, dass der Markt von nun an sehr empfindlich auf die Inflationsdaten und das Beschäftigungswachstum reagiert." Der US-Verbraucherpreisindex stieg im April um 4,2 Prozent und im Mai sogar um 5 Prozent. Letzteres war der größte Anstieg seit fast 13 Jahren.

Investoren müssen schnell Positionen auflösen, die darauf schielen, dass die Fed die Inflation hoch bleiben lässt, ohne die Anleihenkäufe zu verlangsamen oder die Zinssätze zu erhöhen, wenn die Wirtschaft wieder anzieht. Geldmanager, die aus diesem so genannten Reflationshandel aussteigen, treiben die Bewegungen an, so James Athey, ein Investmentmanager bei Aberdeen Standard Investments. "Der Markt hat sich die Finger in die Ohren gesteckt bei all den Anzeichen, dass die Fed sich bewegt", sagte James Athey. "Die Positionierung war stark in Reflationstrades, eine Menge Positionen werden jetzt bereinigt."


   Flachere Zinsstrukturkurve schädlich für Banken 

Insgesamt waren die Inflationserwartungen, gemessen am US-Staatsanleihe-Markt, in den vergangenen Wochen gesunken. Die fünfjährigen Inflationserwartungen waren von einem Höchststand von etwa 2,77 Prozent Mitte Mai auf weniger als 2,4 Prozent gesunken, während die zehnjährige Prognose laut Tradeweb von 2,57 Prozent auf weniger als 2,25 Prozent nachgegeben hatte. Positionen auf steigende US-Staatsanleihe-Renditen wurden laut den von der Bank of America befragten Anlegern im Vorfeld der Fed-Sitzung in der vergangenen Woche als einer der am stärksten frequentierten Trades angesehen. Gleichzeitig war der Anteil der Anleger, die eine steilere Renditekurve erwarteten, stark zurückgegangen. Die Abflachung der Kurve, die einen geringeren Unterschied zwischen kurz- und langfristigen Zinsen bedeutet, wird zudem als schlecht für die Bankgewinne angesehen. Aktien wie Citigroup, JP Morgan Chase und Bank of America standen in diesem Monat stark unter Verkaufsdruck.

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June 21, 2021 10:55 ET (14:55 GMT)