WOLFSBURG (awp international) - Für den Chefhistoriker im Volkswagen -Konzern hat eine kritische Rezension zu einer Studie über die NS-Verstrickungen des Audi -Vorgängers Auto Union ein folgenreiches Nachspiel. Der Wissenschaftler Manfred Grieger und der VW -Konzern gehen künftig getrennte Wege. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur hatte sich VW-intern ein Streit über Griegers eigenen Umgang mit seiner Rezension ergeben. Der Konflikt sei derart festgefahren, dass eine Fortsetzung der Zusammenarbeit für beide Seiten unmöglich erschien. Das erfuhr die dpa übereinstimmend aus mehreren Quellen. Zuerst hatte die "Braunschweiger Zeitung" über die Trennung berichtet.

Der VW-Chefhistoriker hatte als Experte in einem Fachmagazin eine Studie kritisiert, die Audi über den eigenen Vorgänger Auto Union und dessen Verstrickungen während der Nazi-Diktatur mit den NS-Eliten in Auftrag gegeben hatte. Beteiligt war daran auch ein Kollege Griegers bei Audi. Grieger attestiert dem Werk handwerkliche Fehler, verengte Sichtweise, lückenhaften Umgang mit Quellen und Unschärfen in der Sprache. Der Studie mangele es an Unvoreingenommenheit. Grieger sieht "argumentative Windungen", die "eine abwehrende Haltung" nahelegten.

Der Historiker erklärte auf Anfrage, er nehme keine Stellung und verwies an die Konzern-Pressestelle. Die erklärte am Wochenende, der Grund für die Trennung sei ein unterschiedliches Verständnis zwischen Grieger und Volkswagen über die Zusammenarbeit. Konzern-Kommunikationschef Hans-Gerd Bode dankte dem Historiker "für seine in den vergangenen Jahren geleistete Arbeit".

Insider sagen: Nicht der kritische Inhalt von Griegers Rezension sei Auslöser für das Zerwürfnis. Demnach wurde Volkswagen vom Sprengstoff der Rezension kalt erwischt. Grieger hätte sich besser abstimmen müssen, soll einer der Vorwürfe gelautet haben. Er sei zwar frei in seiner wissenschaftlichen Arbeit, müsse aber fraglos an seinen Arbeitgeber denken. Entsprechenden Auflagen für seine künftige Vorgehensweise soll der Forscher abgelehnt haben.

Grieger war Leiter der Historischen Kommunikation, er kam 1998 zu VW. Der gelernte Buchhändler promovierte 1996 über "Das Volkswagenwerk und seine Arbeiter im Dritten Reich". Seine Aufgaben übernimmt vorübergehend Archivarin Ulrike Gutzmann.

In manchen Betrieben der Auto Union soll laut der Audi-Studie zeitweise ein Sechstel der Belegschaft aus KZ-Häftlingen bestanden haben. Der Ingolstädter Autobauer nahm die Analyse 2014 zum Anlass, Darstellungen zur NS-Verstrickung seines Vorgängers anzupassen. So seien etwa Texte im Firmenmuseum und im Internet verändert worden, hatte ein Sprecher damals erklärt.

In der Rezension des VW-Chefhistorikers hiess es nun, die Studie unterschlage zwar nicht "die Beziehungen zu den NS-Eliten durch die Vorstände Richard Bruhn, William Werner und Carl Hahn", allerdings werde dieser Aspekt "in der Bedeutung heruntergespielt".

Die Audi-Mutter Volkswagen hatte die eigene NS-Geschichte bereits in den 1990er Jahren untersuchen lassen. Der Konzern beteiligte sich zudem für alle seine Marken auch an der 2000 gegründeten Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ), die bis 2007 etwa 4,4 Milliarden Euro an fast 1,7 Millionen ehemalige Zwangsarbeiter der NS-Diktatur auszahlte. Wirtschaft und Bund speisten den Etat./loh/DP/tos