(neu: Bundesverfassungsgericht und Astrazeneca-Priorisierung im 2.-4. Abs.)

BERLIN (dpa-AFX) - Mit sinkenden Infektionszahlen und der Aussicht auf den Wegfall von Regeln für Geimpfte und Genesene wird mehr Normalität in Deutschland trotz Corona greifbarer. Die Zahl der registrierten Neuinfektionen innerhalb eines Tages ging am Mittwoch binnen einer Woche um 19 Prozent auf 18 034 Fälle zurück. "Seitdem wir die Notbremse in Kraft gesetzt haben, sehen wir jetzt eine deutliche Umkehr", sagte Kanzleramtschef Helge Braun (CDU) im Bundestag. An diesem Donnerstag will sich das Parlament mit der geplanten Lockerung der Regeln für vollständig Geimpfte und Genesene befassen. Erwartet wird, dass die Erleichterungen verabschiedet werden.

Gegner der bundesweiten nächtlichen Ausgangsbeschränkungen haben einen Dämpfer hinnehmen müssen: Das Bundesverfassungsgericht hält ihre Klagen nicht für eilbedürftig und lehnte die Eilanträge ab. "Damit ist nicht entschieden, dass die Ausgangsbeschränkung mit dem Grundgesetz vereinbar ist", teilte das Gericht am Abend in Karlsruhe mit. Dies müsse im Hauptsacheverfahren geklärt werden. Die Beschränkung sei zwar ein tiefer Eingriff in die Lebensverhältnisse, andererseits diene sie "einem grundsätzlich legitimen Zweck", nämlich dem Infektionsschutz, und sei nicht offensichtlich unangemessen.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) will für den Corona-Impfstoff von Astrazeneca die Priorisierung sofort aufheben. Am Donnerstag wolle er mit seinen Länderkollegen darüber reden. Man werde dann "bei Astrazenca eindeutig sagen für Arztpraxen wie für Impfzentren, dass es dort keine Priorisierung mehr gibt", kündigte er in der WDR-Fernsehsendung "Aktuelle Stunde" an. Für Astrazeneca gelte das dann sofort. Zudem solle das Intervall zwischen Erst- und Zweitimpfung mit Astrazeneca - derzeit zwölf Wochen - flexibler gehandhabt werden können.

8,3 Prozent der Menschen in Deutschland sind mit einem der vier zugelassenen Impfstoffe durchgeimpft. 29,5 Prozent haben mindestens eine Impfung erhalten.

Braun sagte, es zeige sich "momentan wirklich eine extrem schnelle Entlastung von den Infektionszahlen, was uns auch die Hoffnung gibt, dass das Gesundheitswesen seine Überlastung reduziert". Die Zahl der bundesweit binnen sieben Tagen gemeldeten Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner sank von 141,4 auf 132,8. Die Frankfurter Virologin Sandra Ciesek sagte: "Ich denke, wir sind auf dem richtigen Weg." Sie führte die positive Entwicklung auf das Impfen zurück, aber auch auf das veränderte Verhalten der Menschen und den beginnenden Sommer. "Das ist immer ein Zusammenspiel", sagte sie am Dienstagabend im NDR-Podcast "Das Coronavirus-Update".

In der vergangenen Woche sank die 7-Tage-Inzidenz laut Robert Koch-Institut (RKI) erstmals wieder in allen Altersgruppen. In drei Bundesländern - Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein - liegt die 7-Tage-Inzidenz nun unter 100. Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Berlin sind kurz vor Erreichen dieser Marke.

Auch auf den Intensivstationen, wo positive Entwicklungen erst mit einiger Verspätung spürbar werden, scheint sich die Lage zu stabilisieren. Am Dienstag lag die Zahl der versorgten Patienten bei 4955 Fällen. "Der Anstieg bei der Zahl an intensivpflichtigen Patientinnen und Patienten scheint aktuell gestoppt", schreibt das RKI. Der Präsident der Intensiv- und Notfallmedizin-Vereinigung, Gernot Marx, sagte, noch sei die Lage auf den Stationen angespannt. Man hoffe aber, dass bis Ende des Monats die Zahl der Intensivpatienten deutlich sinke. "Das ist unser Licht am Horizont."

Damit die Lockerung der Corona-Regeln für Geimpfte und Genesene an diesem Wochenende wie geplant kommen kann, will sich der Bundestag an diesem Donnerstag mit der entsprechenden Verordnung befassen. Der Rechtsausschuss empfahl am Mittwoch die Annahme. Geimpfte und genesene Menschen sollen von Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen befreit werden. Getesteten sollen sie gleichgestellt werden - etwa für einen Friseur- oder Zoobesuch. Geimpfte und Genesene sollen sich mit weiteren Geimpften treffen dürfen. Bei Treffen mit Ungeimpften sollen sie im Familien- oder Freundeskreis nicht mitgezählt werden. Die Pflicht zum Tragen einer Maske an bestimmten Orten sowie das Abstandsgebot im öffentlichen Raum sollen aber weiter gelten.

Kanzleramtsminister Braun betonte, dass Schwangere und Kinder noch gar nicht geimpft werden könnten. "Wir sollten in den nächsten Wochen eine so klare Politik machen und die Infektionszahlen so stark reduzieren, dass es sowohl für Kinder als auch für Schwangere, nämlich für die Gesamtbevölkerung als solches, kein großes Ansteckungsrisiko mehr gibt, wenn sie Kontakte haben", sagte Braun.

Die Grundfrage der kommenden Wochen sei: "Schaffen wir es, die Pandemie wirklich zu besiegen?" Braun sagte mit Blick auf die Debatte um Rechte für Geimpfte: "Und wenn wir das schaffen, dann brauchen wir überhaupt nicht zwischen solchen und solchen in der Gesellschaft zu unterscheiden." Wenn es aber fortgesetzt ein hohes Infektionsgeschehen gebe, dann bleibe es als Dilemma bestehen, dass Geimpfte ein deutlich reduziertes Risiko bei Kontakten hätten, es aber andere Gruppe gebe, die ein sehr hohes Risiko hätten./bw/DP/he