BERLIN (dpa-AFX) - Impfwillige sollen sich nach dem Willen von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) künftig ohne Rücksicht auf die gültige Vorrangliste gegen Corona impfen lassen können - wenn sie sich für Astrazeneca entscheiden. Einen entsprechenden Vorstoß machte Spahn am Donnerstag bei Beratungen der Fachministerinnen und

-minister von Bund und Ländern. Damit könnten mehr Menschen früher

von einem vollständigen Impfschutz profitieren. Derzeit sind 7,1 Millionen oder 8,6 Prozent der Bundesbürger voll geimpft. Fast jeder Dritte hat mindestens eine Spritze bekommen: 30,6 Prozent. Im Sommer sollen auch alle 12- bis 15-Jährigen ein Impfangebot erhalten. Erwartet wird, dass der Impfstoff von Biontech/Pfizer im Juni ab 12 Jahren zugelassen wird.

ASTRAZENECA FÜR ALLE:

Bundesweit soll für die Impfung mit dem Astrazeneca-Impfstoff künftig keine Priorisierung mehr gelten. Das sieht ein der Deutschen Presse-Agentur vorliegender Beschlussentwurf von Spahn für die Beratungen mit seinen Länderkollegen vor: "In den Arztpraxen können Impfungen mit diesem Impfstoff an Impfwillige (...) ausschließlich nach ärztlichem Ermessen erfolgen." Der Bund beruft sich dabei auf einen Passus der Impfverordnung. Demnach kann von der Reihenfolge etwa nach Alter, Vorerkrankungen und Berufsgruppen abgewichen werden, wenn dies für eine effiziente Organisation oder eine zeitnahe Verwendung vorhandener Impfstoffe notwendig ist. Spahn hatte den Vorstoß am Vortag im WDR angekündigt. Mehrere Bundesländer wie Berlin haben für den Impfstoff bereits die Priorisierung aufgehoben. In Berlin kann man sich Termine dafür bei Hausärzten geben lassen.

NUTZEN UND RISIKEN VON ASTRAZENECA:

Der britisch-schwedische Hersteller war immer wieder in den Schlagzeilen - obwohl Experten dessen Impfstoff Vaxzevria für gleichermaßen geeignet halten wie die Vakzine anderer Hersteller. Beim Einsatz in jüngeren Altersgruppen traten 4 bis 16 Tage nach der Impfung selten teils tödliche Blutgerinnsel im Gehirn auf. Deshalb empfiehlt die Ständige Impfkommission (Stiko) den Einsatz für Menschen ab 60 Jahren. In der Altersgruppe falle die Nutzen-Risiko-Abwägung "eindeutig zu Gunsten der Impfung" aus. Denn mit dem Alter steigt das Risiko für schwere und tödliche Verläufe. Auch für Jüngere ist die Impfung mit dem Präparat aber möglich - "nach ärztlicher Aufklärung und bei individueller Risikoakzeptanz durch den Patienten", so die Impfkommission.

Laut Robert Koch-Institut wurden inzwischen rund 6,3 Millionen Astrazeneca-Dosen geimpft. Nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums wurden 9,3 Millionen Astrazeneca-Dosen an Länder und Großhändler ausgeliefert.

PRIORISIERUNG:

Die Impfkommission plädiert dafür, zunächst weiter an der Bevorzugung besonders gefährdeter Gruppen bei den Impfungen festzuhalten. Es gebe bei anhaltend hoher Impfbereitschaft einen "noch beträchtlichen Anteil an impfbereiten Personen mit hohem Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf, die noch keine Möglichkeit zur Impfung hatten". Das betreffe viele 70- bis 79-Jährige und noch mehr 60- bis 69-Jährige - insgesamt Millionen Menschen. Auch bei jüngeren Vorerkrankten sei nur etwa ein Viertel einmal geimpft. Wenn zunehmend Impfstoff verfügbar werde, könnten in den nächsten Monaten Priorisierungsstufen regional zeitversetzt angepasst werden. Auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur erklärte der Stiko-Vorsitzende Thomas Mertens, diese Erklärung beziehe sich auf die aktuelle Stiko-Empfehlung - "also auch auf Astrazeneca". Voraussichtlich im Juni soll die Priorisierung laut Spahn in Deutschland aufgegeben werden.

FLEXIBILITÄT BEI ASTRAZENECA:

Künftig soll es dem Arzt laut Entwurf Spahns in Absprache mit dem Impfling freigestellt werden, den Abstand für eine Astrazeneca-Zweitimpfung zwischen vier und zwölf Wochen festzulegen. "Die Zweitimpfung haben jetzt viele lieber früher, auch mit Blick auf den Sommer - das geht mit Astrazenca auch innerhalb der Zulassung", sagte Spahn im WDR. Astrazeneca-Geimpfte müssten dann weniger lang warten bis zum Wegfall von Corona-Einschränkungen. Erleichterungen für Geimpfte passierten nun den Bundestag und sollen an diesem Freitag im Bundesrat besiegelt werden. Allerdings hätten Astrazenca-Geimpfte im Fall einer früheren zweiten Spritze den Nachteil einer womöglich geringeren Wirksamkeit.

Die Impfkommission empfiehlt für das Präparat nämlich einen Abstand von 12 Wochen zwischen erster und zweiter Dosis. Hintergrund sind Beobachtungen, dass der längere Abstand zu einer besseren Wirksamkeit führt. Die Wirksamkeit einer zweimaligen Impfung im Abstand von vier bis acht Wochen liege laut einem Bericht der europäischen Zulassungsbehörde EMA bei 50,4 Prozent. Bei 12 und mehr Wochen steige sie auf 72,1 Prozent bis 82,4 Prozent an.

IMPFUNGEN FÜR 12- BIS 16-JÄHRIGE:

In Kanada darf der zunächst erst ab 16 freigegebene Impfstoff von Biontech/Pfizer bereits 12- bis 15-Jährigen verabreicht werden. In den USA könnte die Zulassung ab 12 schon in den kommenden Tagen erfolgen. Die europäische Zulassungsbehörde EMA will ihr Votum im Juni abgeben. Eine klinische Studie in der Altersgruppe von 12 bis 15 Jahren in den USA hatte eine Wirksamkeit von 100 Prozent gezeigt. Laut Beschlussentwurf des Bundes für die Runde mit den Ländern soll das Ziel beschlossen werden, allen 12 bis 18-Jährigen bis zum Ende der Sommerferien ein Impfangebot mit Biontech zu machen. Für Erst- und Zweitimpfung dieser Jahrgänge seien etwa zehn Millionen Dosen notwendig. Die Länder sollen entsprechende Konzepte erstellen - beispielsweise mit ausdrücklichen Einladungen in die Impfzentren oder Reihenimpfungen in den Schulen./bw/ggr/sam/trö/ctt/DP/he