San Francisco (Reuters) - Metaversum und NFTs sind Schnee von gestern. Die neue Obsession der Technologiebranche heißt Künstliche Intelligenz (KI).

Seit der Vorstellung der Software ChatGPT, die Interaktion mit Menschen simulieren und Texte auf Grundlage weniger Eckpunkte eigenständig erstellen kann, stürzen sich die Unternehmen auf dieses Thema. Sie erhoffen sich sprudelnde Gewinne von dieser zukunftsträchtigen Technologie. In ihren Telefonkonferenzen anlässlich der aktuellen Bilanzsaison nutzten Manager Begriffe wie "KI", "Generative KI" und "Maschinenlernen" zwei bis sechs Mal so häufig wie im vorangegangenen Quartal. Dies ergibt sich aus einer Durchsicht der Mitschriften durch Reuters.

Spitzenreiter in diesem Wettkampf sind Alphabet und Microsoft: In der Telefonkonferenz der Google-Mutter wurde 45 Mal auf KI verwiesen, gut drei Mal so häufig wie zuvor. Bei Microsoft fiel der Begriff 39 Mal, nach 15 Mal im Vorquartal. Der Software-Konzern hat sich für zehn Milliarden Dollar gerade knapp die Hälfte am ChatGPT-Macher OpenAI gesichert. Experten zufolge könnte die Einbindung dieser Technologie in die Suchmaschine Bing die marktbeherrschende Stellung von Google in diesem Bereich gefährden.

Alphabet hält mit "LaMDA" dagegen, einer eigenen KI-Software, die in den kommenden Wochen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden soll. "Wir werden diese Arbeit mutig, aber mit großem Verantwortungsbewusstsein fortsetzen", betont Alphabet-Chef Sundar Pichai. Kritiker warnen vor den Risiken der neuen Technologie. So lassen sich mit ChatGPT oder ähnlichen Programmen erstellte Hausarbeiten nur schwer als solche identifizieren. Außerdem werfen sie gelegentlich faktisch Falsches aus. Daher plant die EU eine Regulierung.

SOZIALE MEDIEN NEU GEDACHT

Evan Spiegel, Chef des Snapchat-Betreibers Snap, sieht in generativer KI, die in Echtzeit Bilder oder Texte erstellt, einen Schlüssel zum Erfolg seiner Firma. Vor allem bei "Augmented Reality" (AR) könne die Technologie wertvolle Dienste leisten. In der sogenannten erweiterten Realität werden digitale Objekte in die reale Welt eingefügt, die ein Nutzer an einem Bildschirm oder durch eine spezielle Brille betrachtet. Ein bekanntes Beispiel für AR ist das Videospiel "Pokemon Go". Bei einigen Autos werden Informationen des Navigationssystems scheinbar auf die Straße vor dem Fahrzeug projiziert.

Bislang sind die Möglichkeiten von AR begrenzt, weil Künstler die benötigten digitalen Objekte erst erstellen müssen. Generative KI werde die Entwicklung beschleunigen, sagt Snap-Chef Spiegel. "Stellen Sie sich vor, Sie spielen mit Ihren Kindern, die eine AR-Brille tragen, und sagen: 'Oh mein Gott, da ist ein Piratenschiff und ein großes Monster'. Wir können diese Dinge mit generativer KI-Kunst zum Leben erwecken."

VOM METAVERSUM ZU GENERATIVER AI

Auch für Mark Zuckerberg, Gründer und Chef der Facebook-Mutter Meta, ist KI ein "extrem spannender neuer Bereich". Er erwähnte diesen Begriff im Rahmen der Präsentation der Meta-Quartalsergebnisse 30 Mal und stellte die "Vorstellung einer Anzahl unterschiedlicher Dinge" in Aussicht. Die Technologie solle über alle Produkte des Konzerns hinweg zum Einsatz kommen, unter anderem bei der Erstellung von Videos, 3D-Objekten und Avataren - digitalen Alter-Egos der Nutzer. "Eines meiner Ziele für Meta ist es, ein führendes Unternehmen im Bereich der generativen KI zu werden", betont Zuckerberg. In den vergangenen Jahren hatte er vor allem in die virtuelle Welt "Metaversum" investiert und dabei Milliardenverluste aufgehäuft.

Auch für den Elektronik-Anbieter Apple spielt KI eine wichtige Rolle. Angesprochen auf dieses Thema sagte Firmenchef Tim Cook, der Konzern nutze diese Technologie, um die Unfall-Erkennung des iPhones und der Apple Watch zu verbessern. Sie solle mittelfristig bei sämtlichen Produkten und Dienstleistungen zum Einsatz kommen. "Wir sehen in diesem Bereich ein enormes Potenzial, das praktisch alles, was wir tun, beeinflusst."

(Bericht von Sheila Dang, Greg Bensinger, Stephen Nellis, Nivedita Balu, Tiyashi Datta, Chavi Mehta, Yuvraj Malik und Jeffrey Dastin; geschrieben von Hakan Ersen.; redigiert von Sabine Wollrab. Bei Rückfragen wenden Sie sich bitte an unsere Redaktion unter berlin.newsroom@thomsonreuters.com (für Politik und Konjunktur) oder frankfurt.newsroom@thomsonreuters.com (für Unternehmen und Märkte).)

- von Jeffrey Dastin