Von Jon Sindreu

NEW YORK (Dow Jones)--Billigfluganbieter wurden in der Krise der Luftfahrt nach dem 11. September zum unangefochtenen Marktführer bei Urlaubsflügen. Covid-19 könnte Billigfliegern auch den Schlüssel für Dienstreisen geben.

Große Fluggesellschaften wie United Airlines, Delta Air Lines, Southwest Airlines und Deutsche Lufthansa haben kürzlich angesichts der herannahenden Wintersaison vor rückläufigen Umsätzen gewarnt. Allerdings könnte sich die Nachfrage nach billigen Urlaubsflügen wieder erholen, sobald ein Impfstoff verteilt wird, wie dies bereits bei der Lockerung der Lockdowns im Sommer der Fall war.

Bei Geschäftsreisen liegt die Sache anders. Nach Ansicht von Airline-Führungskräften könnte der verstärkte Einsatz von Videokonferenzen den Markt dauerhaft um 15 Prozent schrumpfen lassen. Der Kampf um diesen - schrumpfenden - Kuchen könnte den profitabelsten Teil der Branche völlig umkrempeln.

In einer kürzlich durchgeführten Umfrage stellte Barclays fest, dass mehr als die Hälfte der Amerikaner, die 2019 dienstlich geflogen sind, nach der Pandemie mit einem Rückgang solcher Reisen um mindestens 20 Prozent rechnen. Am häufigsten wurde Technologie als Grund genannt, an zweiter Stelle standen Budgetbeschränkungen. Daten der Firma Coupa Software, die sich auf das Ausgaben-Management von Unternehmen spezialisiert hat, zeigen, dass von den wenigen Tickets, die von Firmenkunden im dritten Quartal gekauft wurden, der durchschnittliche Flugpreis 45 Prozent günstiger war als ein Jahr zuvor.


Größere Preissensibilität bei Firmenbuchungen Chance für Billigflieger 

Eine größere Preissensibilität bei Firmenbuchungen ist eine Chance für Billigfluglinien. Southwest verstärkt bereits seine Präsenz in Chicago O'Hare, einem Drehkreuz sowohl von United als auch von American Airlines. Southwest bedroht United auch in Houston und American in Miami.

"Wir sind jetzt auf dem Unternehmensmarkt so positioniert, dass wir ein echter Akteur sein können", sagte Gary Kelly, Chief Executive von Southwest, vergangenen Monat vor Analysten.

Southwest hat bereits im vergangenen Jahrzehnt die Position an den wichtigsten Flughäfen ausgebaut, insbesondere seit der Übernahme von Airtran Airways 2011. In den vergangenen Jahren hat sie ihre Netzwerkverbindungen stärker auf die wichtigsten Flughäfen konzentriert, darunter auch auf die traditionellen Drehkreuze in Atlanta und Washington, D.C., wie eine Datenanalyse zeigt.

Nicht immer waren solche Strategien erfolgreich. Geschäftsreisen sind das Terrain der traditionellen Fluggesellschaften, die den Verkehr zu den Hubs leiten. In den USA machten im vergangenen Jahr Flughäfen mit Kapazitätsengpässen 22 Prozent des Flugverkehrs aus, wie offizielle Daten zeigen. In Europa waren es 74 Prozent. Covid-19 hat das Bild grundlegend verändert, indem selbst die verkehrsreichsten Flughäfen nun viel Platz haben. Billigfluglinien sind gut in der Lage, diesen Platz auszufüllen, denn sie verfügen über mehr Liquidität und haben weniger Schulden.

Extrem-Billigflieger wie Spirit, Allegiant, Ryanair und Wizz Air könnten davor zurückscheuen, Geschäftsdrehkreuze anzugreifen, da dort die Kosten höher sind. Sie könnten sich stattdessen auf ihre traditionelle Taktik konzentrieren und bereits geschwächte Flughäfen in der zweiten Reihe unter Druck setzen. Doch Southwest richtet sich an ein etwas höherpreisiges Segment. Es gibt dort sogar Business-Tarife mit zusätzlichen Vergünstigungen. Barclays schätzt, dass 2019 35 Prozent von Southwests Umsatz von Unternehmen stammten, was etwa mittig liegt zwischen den 50 Prozent von traditionellen Fluglinien und den 10 Prozent von Spirit und Allegiant.

Jetblue ist mit seinem erfolgreichen Premium-Produkt Mint ein weiterer US-amerikanischer Billiganbieter, der gut positioniert ist, um an diesem Markt zu knabbern.


Hybrid-Strategie hat auch ihr Risiko 

In Europa setzt Easyjet mit Sitz in London auf diese "Hybrid"-Strategie". Easyjet kombiniert niedrige Kosten mit Angeboten wie zusätzlicher Beinfreiheit auf bestimmten Sitzen und einer Konzentration auf große Wirtschaftsmetropolen. Vor Covid-19 hatte Easyjet seine Verbindungen in Drehkreuzen wie Paris Charles de Gaulle und Amsterdam Schiphol auf Kosten des übrigen Netzes ausgebaut. Bisher hat sich Easyjet jedoch eher zum Rückzug als zum Angriff entschlossen, weil seine Bilanz nicht tadellos ist.

Ein Risiko für die Hybridanbieter besteht darin, dass ihr eigenes Urlaubsgeschäft von den Niedrigstpreisanbietern unterboten werden könnte. Diese Wettbewerber verzichten derzeit auf Umbuchungsgebühren - typischerweise einer der Kundenvorteile bei Southwest.

Unabhängig davon ist das Fliegen nicht länger ein Markt mit zwei Strömungsrichtungen. Die traditionellen US-Fluggesellschaften selbst haben Jahre damit verbracht, First-Class-Kabinen auslaufen zu lassen und die Kunden in eine breitere Produktpalette zu segmentieren. Diese Strategie brachte Geld ein, hat aber möglicherweise auch den Firmenkunden Appetit auf billigere Optionen gemacht.

"Das ist eine Abwertung des Premium-Produkts", sagt Pere Suau-Sánchez, Dozent für Luftverkehrsmanagement an der britischen Universität Cranfield. "Ein großer Teil des Aufschwungs bei den 'Premium Economy'-Sitzen kommt von Unternehmen, die nicht für die Business Class bezahlen wollen".

Selbst ein kleiner Verlust an Unternehmenskunden an wichtigen Flughäfen könnte die sorgfältig aufgebauten Netzwerke der traditionellen Fluggesellschaften zerstören und einige internationale Routen unrentabel machen. Nach einer lukrativen Zeit des Waffenstillstands könnte die Luftfahrtindustrie reif für einen neuen Konflikt sein.

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November 23, 2020 10:34 ET (15:34 GMT)