BERLIN (dpa-AFX) - In der Hochkonjunktur beim Online-Einkauf während des Shutdowns vor Weihnachten wachsen die Sorgen um die Situation der Beschäftigten. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Versandhandel zählten auch schon vorher häufig zu den Niedrigverdienern, wie eine der Deutschen Presse-Agentur vorliegende Antwort der Bundesagentur für Arbeit auf eine Anfrage der Linken im Bundestag zeigt. Nun mehren sich zudem Stimmen, die vor Corona-Ansteckungen und großem Stress warnen.

Seit 2008 hat sich die Zahl der Beschäftigten im Versandhandel von 60 022 auf 161 331 im März 2020 nahezu verdreifacht. Das mittlere Einkommen der im Versandhandel voll Beschäftigten lag im vergangenen Jahr laut den Angaben der Bundesagentur bei 2663 Euro brutto pro Monat - und somit um 738 Euro niedriger als über alle Branchen hinweg. Jeder dritte Vollzeitbeschäftigte im Versandhandel arbeitete zum Niedriglohn mit weniger als zwei Drittel des mittleren Gehalts, verdiente also weniger als 2267 Euro im Monat. Der Anteil der Niedriglohn-Beschäftigten lag fast 15 Prozentpunkte höher als bei den Beschäftigten insgesamt.

Die Arbeitsverhältnisse, die im vergangenen Jahr im Versandhandel begonnen wurden, waren laut Bundesagentur zu rund 60 Prozent befristet. Über alle Branchen hinweg waren dies nur 40,7 Prozent. Zudem arbeiteten noch im März fast 29 000 Versandhandelsbeschäftigte als Minijobberinnen und Minijobber.

Schon laut einer Befragung von Mitte November verschicken in diesem Jahr deutlich mehr Bundesbürger Weihnachtspakete wegen Corona. Während 2019 nur etwa jeder Vierte mindestens eine Sendung mit Blick auf den Advent oder auf Heiligabend aufgegeben hat, so sind es dieses Jahr 33 Prozent. Das ermittelte das YouGov-Institut im Auftrag des Paketdienstleisters Hermes. Zum Zeitpunkt der Umfrage hatte der Einzelhandel im Deutschland noch gänzlich geöffnet.

Die Verbraucher in Deutschland haben laut Bundesverband E-Commerce und Versandhandel im Oktober und November für insgesamt 17,4 Milliarden Euro Waren online bestellt - 17,5 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum 2019.

Die Gewerkschaft Verdi schlägt seit Tagen wegen nach ihren Angaben vermehrten Corona-Ansteckungen in Sortier- und Versandzentren von Amazon Alarm. Infektionen seien etwa in Garbsen bei Hannover, in Bayreuth und in Borgstedt in Schleswig-Holstein bekannt geworden. Verdi-Vorstandsmitglied Stefanie Nutzenberger meinte, der Shutdown verschlechtere bei vielen Onlinehändlern die Arbeitsbedingungen, weil die Beschäftigten ein erhöhtes Aufkommen an Bestellungen bewältigen müssten.

Amazon hat zuletzt Vorwürfe über angeblich mangelhaften Gesundheitsschutz zurückgewiesen. Das Unternehmen gehe bei den Corona-Schutzmaßnahmen teilweise über die einzelnen Länderregelungen hinaus, sagte eine Unternehmenssprecherin. "Bei uns gilt zum Beispiel der Mindestabstand von zwei Metern", fügte sie hinzu.

Die Linke-Abgeordnete Sabine Zimmermann, die die Anfrage bei der Bundesagentur gestellt hatte, sagte: "Unternehmen wie Amazon und Zalando machten schon bislang Milliardenumsätze und gehören nun zu den Profiteuren der Pandemie." Amazon habe im dritten Quartal 2020 seinen weltweiten Gewinn gegenüber dem Vorjahr verdreifacht. "Bei den Beschäftigten, die diese Umsätze und Gewinne erarbeiten und dieses Jahr noch härter arbeiten mussten, kommt aber wenig davon an." Gute Arbeitsentgelte ließen sich nur durch mehr Tarifbindung gewährleisten.

Auf die Frage, ob Verbraucher verstärkt auf Onlinehändler setzen sollten, die mit fairen Bedingungen für sich werben, sagte Zimmermann: "Wenn Menschen sich informieren und im Onlinehandel bewusst bei solchen Unternehmen kaufen, die ihren Beschäftigten gute Arbeitsbedingungen bieten, ist das natürlich sehr begrüßenswert." Ein solches Einkaufsverhalten könnten sich jedoch nicht alle leisten. "Außerdem kann bewusster Konsum nicht die strukturellen Rahmenbedingungen des Arbeitsmarkts verändern." Die Regierung dürfe die Verantwortung jedenfalls nicht auf die Konsumenten abzuwälzen. Gefragt seien Sozial- und Nachhaltigkeitsstandards per Gesetz.

Auch der AfD-Bundestagsabgeordnete Jürgen Pohl bemängelte vor wenigen Tagen die Lage bei Zustellern: "Zwar sind die Missstände in der Paketbranche seit Jahren bekannt, doch gelang es der großen Koalition bislang nicht, die Beschäftigten vor (Selbst-)Ausbeutung, unbezahlten Überstunden sowie systematischen Verstößen gegen das Arbeits- und Sozialrecht wirksam zu schützen."

Der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel wirbt in der Corona-Krise für ein Umdenken bei Mobilität und Einkaufen hin zu dauerhaft mehr Digitalisierung. Städte und Gemeinden sollten etwa mit Co-Working-Flächen leerstehende Bereiche in der Innenstadt beleben und auch die Zustellung von Lieferungen erleichtern, heißt es in einem Sechs-Punkte-Plan des Verbands. Die Trennung von Wohnen und Arbeiten, von Wohnen und Einkaufen, von Wohnen und Gewerbe sollte wo möglich aufgegeben werden./bw/DP/zb