BRÜSSEL (dpa-AFX) - Bis zu 70 Milliarden Euro jährlich gehen den EU-Staaten Schätzungen zufolge durch Steuervermeidung großer Konzerne verloren - aus Sicht der EU-Kommission untragbar in Zeiten großer Haushaltslöcher und Pandemiekosten. Die Brüsseler Behörde plant deshalb einen neuen Anlauf, mit einheitlichen Regeln Schlupflöcher zu stopfen und das Aufkommen zwischen den EU-Staaten fairer zu verteilen. Unternehmen verspricht sie Kostenersparnis durch weniger Bürokratie. Der Erfolg der Initiative ist allerdings fraglich. Wieder einmal, muss man sagen.

Die Kommission hatte schon 2011 ein ähnliches Konzept vorgelegt: die Gemeinsame Konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage, abgekürzt GKKB oder auch CCCTB nach dem englischen Begriff. 2016 erneuerte die EU-Behörde den Vorstoß - schon damals mit dem Hinweis auf jährlich 50 bis 70 Milliarden Euro Mindereinnahmen durch Steuervermeidung beziehungsweise "aggressive Steuerplanung", meist durch Verschiebung von Gewinnen in Länder mit niedrigen Steuersätzen. Beide Vorlagen versandeten, weil sich die EU-Staaten nicht einig wurden.

Kurzfristig kündigt die Kommission in ihrem Plan zur "Unternehmensbesteuerung für das 21. Jahrhundert" jetzt zunächst einige kleinere Initiativen an. So will sie in den nächsten Monaten eine neue Regel auf den Weg bringen, nach der große Konzerne ihre tatsächliche Steuerquote offen legen müssen. Eine zweite Initiative soll den Missbrauch von Briefkastenfirmen für Steuerzwecke eindämmen. Darüber hinaus soll es einen Vorschlag zur Verlustverrechnung geben sowie einen zur Absetzbarkeit von Kosten für Kapitalerhöhungen.

Mittelfristig will die Kommission dann das große Rad drehen: Der CCCTB-Vorschlag soll zurückgezogen und 2023 durch ein Konzept namens BEFIT ersetzt werden. Vorerst nennt die Behörde nur Eckpunkte: Geplant sei ein einheitliches Regelwerk für Unternehmen, die in mehreren EU-Staaten tätig sind. Basis sei eine einheitliche Bemessungsgrundlage und eine Verteilformel. Diese Formel ist vor allem eine Methode, die Rechte zur Besteuerung zwischen den 27 EU-Staaten aufzuteilen. Die Steuersätze würden national bleiben.

Die EU-Kommission wirbt mit dem Argument der Verlässlichkeit sowohl für Unternehmen als auch für die EU-Staaten. Der Binnenmarkt würde besser funktionieren, und die steuerpflichtigen Unternehmen hätten es leichter. "Firmen, die in der EU Geschäfte betreiben, müssen immer noch mit bis zu 27 verschiedenen nationalen Steuersystemen fertig werden", erklärt die Kommission. Das sei kompliziert und lasse Schlupflöcher - zulasten anderer Steuerzahler. Das behindere Investitionen und Wachstum.

Allerdings nützten diese Argumente bisher wenig, da die Interessen der EU-Staaten weit auseinander laufen. Länder wie Irland, Luxemburg oder die Niederlande haben in den vergangenen Jahren große Konzerne mit günstigen Steuern angelockt, oft zum Verdruss ihrer Nachbarn und der EU-Kommission. Die versuchte immer wieder wettbewerbsrechtlich gegen Steuersparmodelle vorzugehen, erlitt aber erst vergangene Woche im Streit mit Luxemburg und dem Digitalriesen Amazon wieder eine Schlappe vor dem EU-Gericht.

Luxemburg wehrt sich regelmäßig gegen Vorwürfe unlauterer Steuerpraktiken. Aber eine Untersuchung des Instituts der deutschen Wirtschaft zur GKKB zeigte 2019 deutlich, wer bei einer gemeinsamen Bemessungsgrundlage am meisten zu verlieren hätte: Irland vor den Niederlanden und Luxemburg. Gewinner wären hingegen Frankreich, Italien, Spanien und auch Deutschland. Genau diese Umverteilung macht eine Einigung so schwierig, zumal eine Entscheidung der 27 Staaten einstimmig fallen müsste.

Die EU-Kommission gibt sich zuversichtlich, dass die für den Sommer anvisierte Einigung auf globale Regeln zur Unternehmensteuer im Rahmen der Industriestaatenorganisation OECD die Fronten aufweicht und BEFIT zum Durchbruch verhilft. Denn auch hier geht es um Verteilformeln, um ähnliche Prinzipien im globalen Maßstab.

Der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber ist skeptischer. "Ein neuer einheitlicher Rahmen für die Unternehmensbesteuerung in der EU ist im Grundsatz ein vernünftiger Ansatz und wäre ein echter Mehrwert für den Binnenmarkt", erklärt der Finanzpolitiker. "Allerdings hat sich die Kommission mit ähnlichen Vorschlägen bereits mehrfach eine blutige Nase geholt."

Der Grünen-Finanzexperte Sven Giegold sieht das ähnlich: "Die Vorschläge sind gut, aber es fehlt an einem Plan für die Durchsetzung. Pläne für mehr Steuergerechtigkeit sind nichts wert, wenn sie von einzelnen Steueroasen per Veto blockiert werden können."/vsr/DP/fba